Kapitel 24

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Abbie überzeugte sie, auf ihre Großeltern zu warten. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis die beiden auf den Flur traten, ihr Großvater immer noch mit steinerner Miene, Margaret mit geröteten Augen. Brianna ging sofort zu ihnen und schloss sie in die Arme.

„Das kann einfach nicht wahr sein", murmelte Margaret immer wieder. Brianna löste sich nach einem Moment wieder von den beiden und sah zu Abbie, die ein paar Schritte von ihnen entfernt stand.

„Ich fahre mit meinen Großeltern", erklärte sie und Abbie nickte. Vermutlich hatte sie nichts anderes erwartet. Sie umarmte Brianna zum Abschied, bat sie, sich jederzeit bei ihr zu melden, wenn sie reden wollte, und verabschiedete sich auch von Briannas Großeltern, bevor sie ging.

Die Fahrt zu ihren Großeltern verlief schweigend. Ihr Großvater blickte starr auf die Straße, Margaret hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Brianna ahnte, dass sie sich Ähnliches ausmalte wie sie selbst.

Margaret zog sich sofort ins Schlafzimmer zurück. Ihr Großvater sah ihr nach und der steinerne Ausdruck in seinem Gesicht bröckelte. Er trat an den Wandschrank im Wohnzimmer, holte eine Flasche Scotch heraus und füllte zwei Gläser. Obwohl sie Scotch nicht mochte, nahm Brianna das Glas an und leerte es fast in einem Zug.

Sie unterhielten sich nicht mehr an diesem Abend. Brianna bezog das Gästezimmer, in dem Josie und sie immer schliefen, wenn sie bei ihren Großeltern übernachteten. Schlaf fand sie keinen.

Auch am Samstag sprachen sie und ihr Großvater nicht über Josies Entführung. Margaret verließ das Schlafzimmer nicht und rührte auch die Sandwiches nicht an, die ihr Großvater und sie ihr zwischendurch brachten. So hatte sie auch den Tag nach dem Unfall von Briannas Mutter verbracht, wie Brianna von früheren Erzählungen ihres Großvaters wusste. Sie hoffte, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde.

Informationen von der Polizei kamen nicht. Das wunderte Brianna nicht, sie hatte nicht mit schnellen Erfolgen gerechnet. Auf sie gehofft, ja, aber sie gab sich keinen Illusionen hin.

Abbie, Laney und Mira schrieben ihr zwischendurch und sie antwortete ihnen, war aber nicht in der Stimmung für einen großen Austausch. Es war ähnlich wie nach dem Unfall ihrer Mutter. Auch da hatte sie sich von allen zurückgezogen. Um dies nicht zu wiederholen, bat sie die drei, einfach ganz hartnäckig zu sein und ihr immer wieder zu schreiben.

„Ich will mich nicht wieder in mein Schneckenhaus zurückziehen, das tut mir nicht gut, hab ich festgestellt", schrieb sie in den Gruppenchat, den Abbie erstellt hatte. Abbie war auch die erste, die antwortete und versicherte, dass sie das nicht zulassen würde.

Am Sonntag schließlich führte sie ein längeres Gespräch mit ihrem Großvater. Sie war sich nicht sicher, ob sie am Montag zur Arbeit gehen sollte, da sie ihn und Margaret nicht allein lassen wollte, aber er wehrte direkt ab.

„Liebes, wir kommen zurecht. Mag hat zumindest ein Sandwich gegessen, ich werde zusehen, dass sie nachher noch eins isst. Wenn sie sich weiterhin nicht rührt, rufe ich unseren Hausarzt an. Es ist für dich sicher eine gute Ablenkung, wenn du rauskommst. Geh zur Arbeit, versuch eine Weile an etwas anderes zu denken." Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Außerdem kann ich dich anrufen, wenn wir dich brauchen. Zudem macht die Polizei ihre Arbeit. Wir können da gar nichts machen und ständig nur grübeln bringt uns nichts."

Vielleicht hatte er Recht, doch das bedeutete auch, dass sie in ihre Wohnung zurückkehren musste. Sie hatte keine Kleidung zum Wechseln hier, außer einem alten T-Shirt und einer Sporthose, die sie am Samstag bereits angezogen hatte. In den Sachen konnte sie nicht ins Büro gehen, auch wenn es dort keinen Dresscode gab.

Nur ein SchattenWhere stories live. Discover now