Kapitel 10

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„Bri!" Brianna fuhr zusammen, als Josie in ihr Zimmer stürzte und sich neben sie auf das Bett warf. „Schau dir das an! Das hab ich grad gefunden!" Sie hielt Brianna ihr Handy vor die Nase, auf dem gerade ein Video abgespielt wurde. Ein Video, das Brianna bereits bekannt war.

Zwei Personen standen in einem Hauseingang, eine davon war wie von schwarzem Rauch eingehüllt. Schwarzem Rauch, der auf die zweite Person übergriff, sie zur Seite zerrte, etwas in die Höhe hob und schließlich zu einer Laterne trug und an diese fesselte.

Es war ein Video von dem Überfall auf sie.

Ihr Glück war nur, dass derjenige, der alles beobachtet hatte, sein Handy erst eingeschaltet hatte, als sie die Schatten um sich gezogen hatte, sonst hätte man ihr Gesicht sicherlich erkannt. Dem Blickwinkel der Kamera nach zu urteilen, wohnte die Person wohl gegenüber des Hauseingangs im zweiten oder dritten Stock. Zumindest hatte sich die Person zu dem Zeitpunkt irgendwo dort aufgehalten.

„Das ist doch um die Ecke", stellte Josie fest, als das Video endete. „Wenn man zur U-Bahn geht. Hier, siehst du, der Baum und da die Schmiererei unter dem Fenster?"

„Ja, ist es wohl."

„Und das ist gestern passiert." Josie sah sie mit großen Augen an. „Hast du was mitbekommen? Das muss ja etwa zu der Zeit gewesen sein, als du losgegangen bist. Zumindest war das laut dem Video ja nach meiner Nachricht."

„Nein, hab ich nicht." Es tat ihr leid, ihre Schwester zu belügen, aber sie konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Sie wusste nicht, wie. Sollte sie ihr plump sagen, dass sie eine Mutantin war? Vermutlich war das die schnellste Methode, kein großes Herumreden und nach Worten suchen, aber dieser Satz wollte ihr Josie gegenüber nicht so einfach über die Lippen kommen, wie es gestern bei dem Mann gewesen war. Da hatte sie diesen Satz das erste Mal einem Fremden gegenüber ausgesprochen und es hatte sich seltsam gut angefühlt.

Aber Josie – Josie war etwas anderes. Kein Fremder, keine Person, die ihr egal sein konnte. Ein Teil von ihr, stellte Brianna fest, fürchtete, dass Josie sich doch von ihr abwenden würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. So wie es ihre Großmutter getan hatte.

„Geschieht dem Kerl aber Recht. Hier, der Typ, der das aufgenommen hat, meinte, der hätte eine Frau bedrängt. Da hätte er eigentlich die Polizei rufen sollen." Josie spielte das Video erneut ab. „Stattdessen nimmt er das hier auf. Aber es ist ja nichts passiert, sie läuft weg."

„Eine Frau?" Brianna hatte sich den Text unter dem Video gar nicht durchgelesen, zu geschockt war sie gewesen, dass es überhaupt ein Video von ihr gab.

„Ja, hör zu: Ich denke ja, der Kerl wollte die Kleine überfallen, aber da hat er sich die Falsche ausgesucht", las Josie den Kommentar desjenigen vor, der das Video ins Netz gestellt hatte. Brianna schnaufte leise.

„Ja, hat er ganz offensichtlich." Es war albern, aber mehr als das Video traf sie die Bezeichnung die Kleine. Sie war zufrieden mit ihrer Größe, auch wenn sie kleiner als Josie oder ihre Mutter und auch als die meisten ihrer Freundinnen war. Vor einigen Jahren war das noch anders gewesen, sie erinnerte sich, wie sie neidisch auf ihre Freundinnen und ihre Mitschülerinnen geguckt hatte, die scheinbar nicht zu wachsen aufhören wollten, während sie über Jahre kaum die 1,60 m überschritt. Es war erstaunlich, was für Gedanken ein solch kurzer Kommentar zutage fördern konnte, überlegte Brianna leicht amüsiert.

„Schade, dass man nicht mehr sieht. Ich wüsste ja gerne, wer das war. Vielleicht ist es jemand von meiner Schule. Ich glaube ja, dass es da Mutanten gibt." Josie schaltete das Video aus und sprang auf. „Wollen wir uns Pizza holen?"

Nur ein SchattenWhere stories live. Discover now