achtundzwanzig

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Noch vierzig Minuten bis zur Pause.

Eigentlich wären diese vierzig Minuten völlig akzeptabel gewesen; wäre da nicht eine Person, die mich mit ihrer enormen Neugier aus der Ruhe zu bringen drohte.

"Moment mal", brach Harvey das seit einer Weile zwischen uns herrschende und zugegebenermaßen recht wohltuende Schweigen, wobei er seine mittlerweile leere Coladose in den naheliegenden Mülleimer warf und sich dann wieder zu mir umdrehte.
"Wie genau hat sich Dylan dir gegenüber geäußert?"

Augenblicklich schoss mir die Röte ins Gesicht.
"Äh...Er sagte nur, du hättest ihm alles erzählt.", stammelte ich, wobei meine Stimme mindestens zwei Oktaven höher rutschte.

Er hob erwartungsvoll eine Augenbraue.
"Und dann?"

"Gar nichts.", log ich und investierte all meine Konzentration in den Versuch, die verräterische Röte meines Gesichts nicht noch stärker werden zu lassen.
Falls das überhaupt möglich war.

Leider dachte Harvey gar nicht daran, sich mit dieser Antwort zufrieden zu stellen.

"Du bist niedlich, wenn du verlegen bist.", zog er mich auf und legte grinsend seinen starken Arm um meine Schultern.
"Jetzt sag' schon. Meine Lippen sind versiegelt."

Ich schnaubte abfällig.
"Klar. Das hast du ja mit den aktuellsten Geschehnissen wunderbar unter Beweis gestellt."

Daraufhin war er endlich still.

*

Thomas und Dylan betraten pünktlich zu Beginn der Pause gut gelaunt den Raum und lieferten sich ein Wettrennen zum Billiardtisch.
Während sie lachend die Kugeln auf der dunkelgrünen Filzfläche platzierten, beobachteten Harvey und ich die beiden Freunde aus sicherer Entfernung.

Der ernste, ruhige Thomas, den ich vor wenigen Wochen kennengelernt hatte, war schlagartig verschwunden und machte einem völlig neuen Thomas Platz, dessen warmes, kehliges Lachen den gesamten Raum ausfüllte.
Anders als sonst war seine Körperhaltung locker und entspannt, während er und Dylan wie kleine Kinder herumalberten und sich angeregt unterhielten.

Es war nahezu beängstigend und dennoch unglaublich anziehend.

Mein Blick wanderte unaufhörlich über Thomas' schlanken, trainierten Körper, seine markanten Gesichtszüge, auf die das Licht ein paar weniger altmodischen Deckenleuchten sanfte Schatten zeichnete.

"So verhält er sich nur bestimmten Menschen gegenüber.", erklärte Harvey, und für eine Sekunde glaubte ich, in seinen Augen so etwas wie Neid aufflammen zu sehen.
"Menschen, in deren Anwesenheit er sich wirklich wohl fühlt."

Anstatt etwas zu erwidern, zeichnete ich mit der Spitze meiner Chelsea Boots unsichtbare Kreise auf den vor mir liegenden Fußboden.
Was ich Thomas zu sagen hatte, würde ich zweifelsohne nicht mühelos über die Lippen bringen können.

"Du bist nervös", stellte Harvey fest.

Ich nickte stumm.

Dann gab ich mir selbst einen kräftigen Ruck und ging direkt auf Thomas zu.

Ich versuchte, mich nicht hoffnungslos in den unergründlichen Tiefen seiner Augen zu verlieren und ihn gleichzeitig anzusehen, was sich als schier unmöglich erwies.

"Thomas, können wir reden?", fragte ich mit überraschend fester Stimme, trotz meines hektisch steigenden Pulses.

"Selbstverständlich", willigte er mit einem reservierten Kopfnicken ein und lehnte sein Queue an den Rand des Billiardtisches.

Unauffällig schielte ich herüber zu Dylan, welcher es vermied, in jeglicher Weise von mir Notiz zu nehmen, und sich stattdessen angestrengt seinem nächsten Spielzug widmete.
Eigentlich hatte ich mit Thomas unter vier Augen sprechen wollen, doch dann entschied ich, dass Dylan ruhig dabei sein könnte. Immerhin betraf es in gewisser Weise auch ihn.

Also holte ich tief Luft und sprach aus, was ich mich fürchtete, auszusprechen.

In meiner Seele tobte ein erbitterter Kampf der Gefühle, als ich leise sagte:

"Ich kündige."

Thomas' Reaktion war einfach, aber unendlich schmerzhaft.

Seine schönen Gesichtszüge waren wie eingefroren und ließen mein Herz von tausend Eiszapfen durchbohrt auf dem steinharten Grund der Realität zurück, als er ebenso leise erwiderte:

"Gut."

THE WAY IT GOES ϟ t.b.sWhere stories live. Discover now