einunddreißig

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Ich kam nicht weit, denn sobald ich die ersten paar Meter außerhalb der Suite überwunden hatte, hatte Dylan mich bereits eingeholt und schloss seine warmen Finger fest um mein Handgelenk.
Ich blieb stehen, um ihm wenigstens eine Chance geben zu können, wieder geradezubiegen, was er vermasselt hatte.

"Blair."
Aus seinem Mund hörte sich mein Name plötzlich unglaublich kostbar an.

"Es tut mir so leid."

"Das weiß ich.", murmelte ich, unentschlossen darüber, ob ich es ihm wirklich so leicht machen und ihm verzeihen sollte.
Wenn ich es nicht tat, müsste ich mir monate-, wenn nicht sogar jahrelang, von den Gedanken an Thomas das Herz in Stücke reißen lassen.
Wollte ich dieses Risiko eingehen?

Dylans perfekt geschwungener Mund verzog sich zu einem zaghaften Lächeln, welches seine großen Augen zum glitzern brachte.

Herrgott, es war zum verrückt werden.

Zögernd schlang ich meine Arme um seinen noch immer entblößten Oberkörper und legte sanft meine Lippen auf seine.

Ich tat das richtige.
Wenn ich es mir lang genug einredete, würde ich es glauben.

Anstatt meinen Kuss zu erwidern, verflocht er unsere Finger miteinander, wobei er mit dem Daumen kleine, unsichtbare Kreise auf meinen Handrücken zeichnete.
"Du bleibst also hier?"

Während wir langsam zurück zur Suite schlenderten, verstärkte ich meinen Griff um seine Hand.
"Nein. Ich werde gehen.", machte ich seine Hoffnung schweren Herzens zunichte.
"Heute."

Ich schloss zum zweiten Mal an diesem Tag hinter uns die Tür, während Dylan sich auf die Bettkante setzte und etwas unbeholfen sein T-Shirt anzog.

Daraufhin herrschte eine Weile lang Schweigen.
Es war nicht unangenehm; wir beide hingen bloß jeweils unseren eigenen Gedanken nach.

"Wieso hat Isabella eine Affäre mit dir? Sie ist doch verlobt", sprach ich schließlich die Frage aus, die mich in diesem Moment beschäftigte.

Ich konnte beobachten, wie Dylans Gesicht binnen kürzester Zeit eine ungesunde Farbe annahm.
"Sie wird heiraten?", fragte er völlig überrumpelt.
Hätte er nicht bereits auf dem Bett Platz genommen, wäre es jetzt dringend nötig geworden.

Auch mich ließ der Schock nicht ungeschoren davonkommen, sodass er mir für eine unangenehme Sekunde die Fähigkeit zu atmen raubte.

"Du weißt es nicht?!"

Er schüttelte wie gelähmt den Kopf.

Ich wusste, was er in diesem Moment empfand:
Das selbe wie ich.

"Aber", stammelte ich verwirrt,
"Isabella würde so etwas doch nicht-"

Ich stockte.
Doch, das würde sie. Es wurde Zeit, dies endlich einzusehen.
Wenn Isabella dazu in der Lage gewesen war, ihren mittlerweile Verlobten mit seinem guten Freund zu betrügen, dann war sie auch ein zweites Mal dazu fähig.
Ich hatte ein völlig falsches Bild von dieser Frau gehabt.

"So eine kleine Hure", zischte ich.

Sofort fühlte ich mich besser.
Das musste einfach mal gesagt werden.

Dylans Augen registrierten jede kleinste Bewegung meinerseits, erforschten jegliche verborgene Winkel meiner Seele, und ich fragte mich unwillkürlich, ob er darin erkennen konnte, wie gern ich Isabella einfach Isabella sein lassen und dort weitermachen wollte, wo wir vor kurzem so abrupt aufgehört hatten.

"Jetzt hast du ja mich.", munterte ich ihn auf, jedoch angesichts der Tatsache, dass ich in nur wenigen Stunden das Land verlassen würde, nur mit wenig Erfolg.

Ich startete einen erneuten Versuch, ihn etwas abzulenken, indem ich mich vorwärts auf seinem Schoß platzierte, sodass ich ihn ungehindert ansehen konnte.

Aber warum bloß gucken, wenn ich auch anfassen durfte?

Also schlang ich meine Arme um seinen Nacken und legte all meine Hingabe in unseren darauffolgenden Kuss.

Das hier fühlte sich so falsch und doch irgendwie richtig an.
Dylan war umwerfend, aber nicht das, was ich brauchte.
Er war nur ein Hilfsmittel.

Die Hormone übermannten meinen Körper und zwangen mich dazu, Dylan auf die Matratze zu drücken und mich eng an seine starke Brust zu schmiegen.

"Du bist unglaublich", raunte er mir mit belegter Stimme ins Ohr.

Wir verweilten ein paar Sekunden lang in dieser Position, ehe ich meinen Kopf leicht anhob und fragte: "Wie spät ist es?"

Er seufzte leise.
"Halb elf."

"Mein Wagen kommt in zehn Minuten.", meinte ich, und allein bei dem Gedanken an die mir bevorstehenden Tage ohne jegliche Ablenkung von Thomas zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen.

Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, ehe ich aufstand und mich ins Badezimmer zurückzog, um mich für die Reise ein wenig frisch zu machen.
Nachdem ich mit einem nassen Waschlappen mein Gesicht gesäubert hatte, bürstete ich mir mit fahrigen Bewegungen die Haare und trug, sozusagen als kleines i-Tüpfelchen, einen Hauch von Lipgloss auf.
Einigermaßen zufrieden betrachtete ich das Gesamtbild im Spiegel, griff nach meiner Kosmetiktasche und ging dann zurück in den Schlafbereich.

Dylan war weg.

Enttäuschung machte sich in mir breit.
Hatte er es etwa nicht für nötig gehalten, sich angemessen von mir zu verabschieden?
Würde er sich überhaupt wieder bei mir melden?

Vielleicht war ich ihm doch nicht so wichtig, wie es schien.
Aber das war er mir ja auch nicht.
Trotzdem hatte sein überstürztes Aufbrechen eine kleine Wunde in meinem Herzen hinterlassen.

Meine Armbanduhr verriet mir, dass ich nur noch wenige Minuten Zeit hatte, um ins Erdgeschoss zu gelangen und den für mich bestellten Wagen zu finden.
Also stopfte ich die Kosmetiktasche achtlos in meinen Rollkoffer und verließ das Hotel, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

"Zum Flughafen, richtig?", vergewisserte sich der Fahrer der kleinen aber sehr eleganten Limousine. Er hatte einen leichten englischen Akzent, welcher mich zum Schmunzeln brachte, obwohl ich in diesem Moment viel lieber weinen würde.

Ich nickte stumm und sah ein letztes Mal an der barocken Fassade des Hotels hinauf.

Mit einer leisen Melodie auf den Lippen löste der Fahrer die Handbremse und startete den Motor.

Da ertönte ein gellender Schrei.

Er hallte von der Mauer des Gebäudes wider und ließ meinen Herzschlag einen winzigen Augenblick lang aussetzen.

"Stopp!!!", brüllte Dylan immer wieder, in der einen Hand eine schwarze Reisetasche, die andere wild in der Luft herumfuchtelnd.
Kein Marathonläufer der Welt konnte ihm in diesem Moment das Wasser reichen.

"Warten Sie", sagte ich, und ein unendlich erleichtertes Lächeln fand ganz plötzlich seinen Weg auf meine Gesichtszüge.

"Wir sind noch nicht komplett."

THE WAY IT GOES ϟ t.b.sWhere stories live. Discover now