vierundzwanzig

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Eine warme Brise strich sanft über meine Haut und ließ die Baumkronen über meinem Kopf leise rascheln, und die strahlende Mittagssonne spiegelte sich auf den unzähligen Autos, die die kleine Straße vor dem Haus herabrasten.

Es war ein herrlicher Spätsommertag.
Nur nicht für mich.
Für mich hatte das Schicksal eine Überraschung parat gehabt, damit ich bloß nicht vergaß, wie das Leben spielte.

Oh ja, das Leben war wahrlich ein brillanter Spieler.
Es verführte dich mit seinem traumhaften Schein - und dann, wenn sein Zauber dich vollkommen gefangen genommen hatte, schlug es urplötzlich zu.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die alte Backsteinfassade und wagte einen kümmerlichen Versuch, meine Gedanken zu ordnen.

Ich war nicht traurig.
Es fühlte sich eher so an, als hätte man mir eine Augenbinde abgenommen.
Die Realität hatte mich mit voller Wucht getroffen und ließ mich endlich all das sehen, was ich bisher zu sehen verweigert hatte.

Thomas liebte Isabella, er liebte sie über alles, und das würde sich wohl kaum ändern, nur weil eine ganz normale, unscheinbare Frau in sein Leben spaziert kam.

Gott, wie hatte ich nur so dumm sein können?

Ich zuckte erschrocken zusammen, als sich plötzlich neben mir die Haustür öffnete.

Thomas trat aus ihrem Schatten hervor, eine unangezündete Zigarette im Mundwinkel, und quittierte meine Reaktion mit einem müden Lächeln.
"Ach, hier bist du. Kannst du es dort drin auch nicht mehr aushalten?"

Ich nickte benommen und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie die Flamme seines Feuerzeugs das Ende der Zigarette zum Glimmen brachte.
"Aber garantiert nicht aus dem selben Grund wie du.", sagte ich, eher zu mir selbst als zu ihm.

Er inhalierte einen tiefen Zug.
"Was macht dich da so sicher?"
Eine kleine Wolke aus weißem Qualm entwich seinem leicht geöffneten Mund, bevor seine Augen mich fest ins Visier nahmen.
Zum ersten Mal lag eine gewisse Wärme in ihrem intensiven Braun, welche meinen Puls ungemein in die Höhe schießen ließ.

Bevor mein Verstand eingreifen konnte, gewann meine Zunge die Oberhand.

"Die Tatsache, dass du mich hasst.", rutschte es mir heraus, und sofort verfluchte ich mich selbst für diese viel zu ehrliche Antwort.

Mit großer Mühe wendete ich meinen Blick von ihm ab und starrte verbissen auf meine Zehenspitzen.
Ich fürchtete mich zu sehr vor seiner Antwort, als dass ich ihn jetzt ansehen konnte.

Eine Weile wies nichts auf Thomas' Antwort hin, sodass das einzige, was ich vernahm, das Geräusch von rotierenden Autoreifen auf Teer war.
Also wartete ich.
Beobachtete ein paar wenige Ameisen bei ihrem waghalsigen Ausflug über die hellen Betonplatten vor meinen Füßen.
Lauschte den entfernten Vogelstimmen, die soeben unbeschwert ein Lied angestimmt hatten.
Bis sich auf einmal Thomas' nussbraune Bugatti-Stiefel in mein Blickfeld schoben und mich dazu verleiteten, den Kopf zu heben.

Eine falsche Entscheidung.

Thomas stützte sich mit beiden Händen an der Wand hinter mir ab, so, dass seine Arme jeweils links und rechts von meinen Schultern einen nahezu unentrinnbaren Käfig bildeten; sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt.

"Ich hasse dich nicht", murmelte er, wobei sein heißer Atem eine glühende Spur auf meinen Wangen hinterließ.

Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort wieder im Haus, und das einzige, was von ihm zurückblieb, war ein ausgetretener Zigarettenstummel auf dem Bürgersteig.

Mein armes Herz hämmerte so heftig gegen meinen Brustkorb wie niemals zuvor.

Ich versuchte wirklich, aus Thomas' Worten und Taten schlau zu werden, doch es war mir vollkommen schleierhaft, weshalb er mich dermaßen zurückwies und dann behauptete, er würde mich nicht hassen.

Vielleicht hatte er ein noch stärkeres Wort gesucht als 'hassen'...?
Aber was in aller Welt hätte ihn dazu veranlasst, mir systematisch die kalte Schulter zu zeigen?
Diese Frage schwirrte mir nun schon entschieden zu lange im Kopf herum.

Ich würde Thomas zur Rede stellen müssen.
Dabei aber nicht schwach werden - weder wegen seinen Augen, noch von sonst irgendetwas.

Okay, das würde schwer werden.
Schwer, aber nicht unmöglich.

"Genug geträumt?"

Zum wiederholten Male zuckte ich zusammen.

Ich war eindeutig eine Spur zu schreckhaft.

Harvey stand neben mir, unser Gepäck in den Händen, und grinste mich amüsiert an.

"Du hast viel verpasst.", meinte er.

Ich zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen.
"Wirklich?"

"Ja." Sein Grinsen füllte sich langsam mit Ironie.
"Viel Gerede über die Hochzeitsgäste, die Torte und natürlich Isabellas Kleid."

Lachend verdrehte ich die Augen, bevor wir ins nächste Taxi stiegen und endlich ins Hotel fuhren.

THE WAY IT GOES ϟ t.b.sWhere stories live. Discover now