Gallien

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Burdigala (Gallien) – März 38 v. Chr.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und begann damit, den Himmel in ein sanftes orange-rotes Licht zu tauchen, das sich auf den etlichen Steinen der Häuser spiegelte. In den mittlerweile achtzehn Jahren, in denen Burdigala nun schon zum Römischen Reich gehörte, verschwanden nach und nach die kleinen Hütten aus Zweigen und Lehm, in welchen die einheimischen gallischen Stämme einst lebten. An ihre Stelle traten die prächtigen Villen und Thermen. Im Zentrum hatte man ein Forum nach römischem Vorbild erbaut. Ringsherum breiteten sich diverse Tempel aus, die gleichermaßen für römische als auch für keltische Götter errichtet wurden. Doch die pulsierende Lebensader stellte immer noch der Hafen dar. Aufgrund seiner geostrategischen Lage wurde Burdigala schnell zu einem beliebten Knotenpunkt für sowohl griechische, bretonische, iberische als auch keltische Schiffe. In der ganzen Welt bekannt war Burdigala vor allem für ihr breites Angebot an Zinn, Kupfer und Keramik. Ihr Exportschlager war aber zweifelsohne der phänomenale Wein – der Cuvée Biturica. Durch ihren regen Handel wurde die kleine gallische Siedlung schnell zu einer der reichsten Provinzen des Römischen Reiches. Der weltoffenen und wohlhabenden Stadt wurde sogar der Beiname „kleines Rom" verliehen.

Zu dieser Stunde neigte sich das rege Treiben der Stadt seinem Höhepunkt zu. Man hörte das Rollen und Knarzen der Karren, das emsige beenden von Geschäften zwischen den Stadtbewohner und die verschiedenen Düfte der diversen Garküchen auf den Straßen. Vom naheliegenden Atlantik wehte der Wind die salzige Luft in die Stadt. Viel unterschied Burdigala nicht mehr zu Rom, doch es waren die Gerüche der Stadt, die ihn daran erinnerten, dass er nicht in Rom war, sondern in einer der westlichsten Provinzen des Reiches.

Auch für Marcus Vipsanius Agrippa war es ein langer und anstrengender Tag, der sich langsam dem Ende zuneigte, als er sich an diesem Abend auf den Rückweg zu seinem Stadthaus machte. Den halben Tag war er damit beschäftigt gewesen, bei einem Streit zwischen zwei Stadtbewohnern zu vermitteln. Als Statthalter war es vorrangig seine Aufgabe, für Ordnung in der gallischen Provinz zu sorgen. Hierfür hatte er die alleinige Kontrolle über die Lokalverwaltung und konnte unabhängig vom Rechtsstatus der Stadt in diese eingreifen. Neben dem traditionell einheimischen Recht galten in den Provinzen alle römischen Gesetze. Doch zählte es hauptsächlich zu seinen Aufgaben solche Streitereien, wie sie ihm heute zugetragen wurden, zu schlichten.

Bis jetzt hatte er ein ruhiges Jahr hinter sich. So grausam der Gallische Krieg auch gewesen sein mag, so friedlich lebten die Gallier nun mit den Römern zusammen. Seit gut einem Jahr war er nun schon hier und mittlerweile mit seinen Ämtern bestens vertraut. An manchen Tagen konnte er es immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet er, Marcus Agrippa, Statthalter einer römischen Provinz geworden war.

Seine eigene Familie zählte lediglich zum Ritterstand. Zwar gehörte er damit auch zur Oberschicht und verfügte über ein großes Vermögen, doch war er eben nicht Teil des römischen Senatsadels, deren Angehörige auf Menschen wie ihn voller Arroganz wegen ihre berühmten Ahnen herabsahen.

Ihm war bewusst, dass er es hauptsächlich seiner Freundschaft mit Gaius verdankte, dass sich sein Schicksal so wesentlich verändert hatte. Vor rund zehn Jahren hatten sie sich kennengelernt, als sie beide Schüler des großen Apollodor von Pergamon waren. Gaius' Großonkel Julius Caesar hatte sie schließlich zur Vorbereitung seines Parthienfeldzuges nach Apollonia geschickt, wo sie zusammen die hohe Kunst der Rhetorik studieren sollten. Für diese einmalige Gelegenheit war Marcus Caesar immer noch dankbar. Nachdem er damals mit seinem eigenen Vater gebrochen hatte, hätte er sich ein solches Studium niemals leisten können. Doch Caesar kam nicht nur für die Studienkosten seines Neffen, sondern auch für die seines besten Freundes auf.

Marcus erinnerte sich gerne an die gemeinsame Zeit mit Gaius in der makedonischen Küstenstadt. Vor allem ein Ereignis war ihm all die Jahre in Erinnerung geblieben. Er musste immer noch lachen, wenn er daran dachte.

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt