Baiae

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Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris.
Nescio, sed fieri sentio et excrucior.
- Catull: Carmen 85

Das tosende Rauschen und das Zischen der brechenden Wellen mischten sich in ihre Gedanken, als sie Sophia mit einem Lächeln dabei zusah, wie sie zusammen mit Julia voller Freude am Strand entlang tobte. Ihre wunderschöne, aufgeweckte, kleine Tochter. Wie sehr sie sie liebte, konnte sie nicht in Worte fassen. Umso schlimmer wiegten die Schuldgefühle auf ihr, weil sie Sophia anfangs nicht gewollt hatte. Schuldgefühle, weil sie ihr Kind dazu verdammt hatte, das Leben einer Sklavin zu führen. Erst vor ein paar Wochen hatte Sophia begonnen zu laufen, weshalb sie in dem groben Sand andauernd nach vorne überkippte. Doch ihre kleine Tochter quittierte das jedes Mal nur mit einem vergnügten Lachen, stand wieder auf und rannte weiter. Dicht hinter den beiden Mädchen folgte Antheia, das Kindermädchen. Mittlerweile war Kiana froh um die ältere Frau, die sich so liebevoll um Sophia kümmerte. Antheia interessierte es nicht, dass Sophia ein Bastard und eine Sklavin war. Sie machte keinen Unterschied zwischen ihr und Julia, sondern umsorgte sie mit derselben Hingabe, wie die Tochter des Hausherrn. Sophia selbst hatte sich ebenfalls daran gewöhnt, dass ihre Mutter nicht mehr den ganzen Tag über bei ihr war. Ihr gefiel es, tagsüber mit Julia und Antheia spielen zu dürfen, bis Kiana sie nach dem Abendessen ins Bett brachte. Spätestens seit ihrer Ankunft in Baiae blühte ihre Tochter regelrecht auf und genoss es, mit Julia am Strand herumzutollen. So auch an diesem Tag. Antheia selbst griff nur wenig in das Geschehen ein. Lediglich, wenn Julia oder Sophia zu nah am Wasser waren, ermahnte das Kindermädchen die beiden, sich nicht von den Wellen verschlucken zu lassen. Durch den starken Wind war auch das Meer heute besonders aufgepeitscht, was die Strömungen gerade für Kinder umso gefährlicher machte.

Kiana löste ihren Blick von Sophia und starrte auf den Horizont, wobei ihre Gedanken zu ihrem Herrn und Geliebten abschweiften, der irgendwo am anderen Ende des Meeres seinen Kampf gegen Sextus Pompeius austrug. Mehrere Wochen waren nun schon vergangen, seitdem sie seinen letzten Brief erhalten hatte. In diesem hatte Marcus ihr davon berichtet, dass das Wetter ihnen nicht wohlgesonnen war und sie einige Verluste einstecken mussten. Doch was seine taktischen Überlegungen betraf, so hielt er sich äußerst Vage. Kiana verstand zu wenig von Militärführung, um seinen Brief einordnen zu können. Sie erinnerte das alles an die verheerende Schlacht der Veneter gegen Caesar, von der ihr ihre Tante einst berichtet hatte. Trotz ihrer Überlegenheit auf See musste sich der Stamm ihrer Mutter geschlagen geben. Versklavung und Tod waren die Folge gewesen. Nur dank des Opfers ihrer Schwester konnte Fabala sich aus Fängen der Römer befreien und hatte es zu dem Dorf von Kianas Eltern geschafft. Wenn Kiana an den leeren Blick ihrer Tante dachte, dann hätte sie aus Wut am Liebsten die Bibliothek dieses einen Mannes, der dafür verantwortlich war, zerstört. Xenia hatte ihr bei ihrer Ankunft in Baiae erklärt, dass es seine Villa war, in der sie hier lebten. Dort hatte sie auch Caesars Aufzeichnungen zum gallischen Krieg gefunden, doch sie schaffte es nur, ein paar Zeilen zu lesen, da sie bei jedem Wort unbändiger Zorn ergriff.

Wenigsten gewöhnte sie sich langsam daran, dass sie in dem Haus von Caesars Erben zu Gast war. Jedenfalls meinte Xenia, dass sie nicht als einfache Sklavin, sondern als Gast mit ihnen nach Baiae gekommen war. Livia hatte ihr darüber hinaus freigestellt, die Dinge zu machen, die ihr gefielen. Nachdem sie sich nun nicht mehr ausschließlich um Sophia kümmern musste, konnte sie wieder ihrer größten Leidenschaft nachgehen: dem Reiten. Pferde waren für sie nie nur ein Fortbewegungsmittel gewesen. Sie liebte es, den Wind in den Haaren und die Freiheit auf dem Rücken der majestätischen Tiere zu spüren. Seit ihrer Versklavung und den wenigen Ausritten mit Marcus in Gallien war es ihr nicht mehr möglich gewesen, einfach nur aus Spaß und schon gar nicht ohne Begleitung auszureiten. Zugleich erinnerte es sie schmerzhaft an das Leben, was sie vor ihrem Verkauf geführt hatte. In ihrem alten Leben war sie oft alleine zu den benachbarten Dörfern geritten, die ebenfalls zu ihrem Stamm zählten. Nur das Dorf, in dem ihr Onkel lebte, hatte Vater ihr verboten aufzusuchen. Doch es hatte sie nie gestört, da sie in diesem Dorf ohnehin nicht willkommen gewesen wäre. Obwohl die Erinnerungen immer weiter verblassten und sie nur noch schemenhaft die Landschaft ihrer Kindheit vor ihrem geistigen Auge sehen konnte, so vermisste sie gerade an diesen freien Tagen am Golf von Neapel, ihre alte Heimat und ihre Familie um so mehr.

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt