Traum und Wirklichkeit

258 23 18
                                    

Nachdem ihr Herr abgereist war, verbrachte Kiana ihren Alltag wieder damit, den Aufgaben einer gewöhnlichen Sklavin nachzugehen. Zusammen mit Laura war sie gerade dabei im Gemüsegarten das Unkraut zu zupfen. Wegen der Sonne hatten die Mädchen sich Strohhüte aufgesetzt. Neben ihnen stand eine Amphore mit kühlem Wasser.

„Was macht der Herr denn eigentlich mit dir", fragte Laura währenddessen und ging somit ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nach: Kiana über ihre Beziehung zu Agrippa auszufragen. Natürlich tuschelten die anderen Sklaven und Sklavinnen über die neuerlichen Entwicklungen im Haus des Statthalters, doch Kiana war nicht gewillt, zu viel preiszugeben. Ein Vorteil hatte ihre Beziehung zu Marcus allerdings. Ihr Herr hatte es Olympia verboten, sie zu bestrafen. Sollte sie sich wirklich so daneben benehmen, dass das notwendig war, wollte er, dass man ihre Vergehen sammelte und ihm nach seiner Rückkehr berichtete. Er war der Einzige, der Kiana noch bestrafen durfte. Im Grunde wusste Kiana aber, dass sie sich schon sehr stark daneben benehmen musste, um eine Strafe von ihm zu riskieren. Das schlimmste Verbrechen für eine Sklavin hatte sie bereits begangen, indem sie vor ihrem Herrn davongelaufen war. Doch das war mittlerweile das Letzte, was sie wollte. Im Gegenteil, sie sehnte sich mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers nach ihm und betete jeden Tag zu den Göttern, dass er gesund zu ihr zurückkehren würde.

„Kannst du dir das nicht denken?", antwortete Kiana und konzentrierte sich darauf, eine Distel samt Wurzeln aus dem Beet zu ziehen, ohne sich dabei in die Finger zu stechen.

„Oh, wir haben schon so grobe Vorstellungen davon, was er mit dir macht, aber ich möchte es von dir hören! Und ich will wissen, ob du es denn magst." Kiana hörte den sanften, zurückhaltenden Tonfall in der Stimme ihrer Freundin. Unweigerlich musste sie sich selbst fragen, ob die anderen Sklavinnen davon ausgingen, dass ihr Herr sie einfach zu sich rief, weil er es konnte. Sie war seine Sklavin und somit war es nicht wichtig, ob sie es auch wollte oder nicht. Sie selbst hatte sich nie darum geschert, ob die Mädchen, die ihr Bruder sich ins Bett holte, es wollten oder nicht. Aber wieder einmal erkannte sie, dass sie nun auf der anderen Seite des Flusses stand und es rührte sie, dass sich Laura offensichtlich darum sorgte, wie viel ihr von dem gefiel, was ihr Herr mit ihr machte. Nicht, dass das Mädchen etwas hätte ändern können, aber Kiana war ihr trotzdem dankbar für ihre Anteilnahme. Auch wenn sie nicht notwendig war. Sie wollte mit ihm zusammensein. Doch eine andere Sache nagte an ihr und Laura war ihre Freundin. Ihr konnte sie ihre Zweifel mitteilen, oder?

„Ich mag es, wenn er mich in seinen Armen hält und streichelt. Er ist wirklich rücksichtsvoll und versucht, auf meine Ängste Rücksicht zu nehmen." Kiana schluckte. Er hatte nicht mehr mit ihr seit ihrer ersten Nacht geschlafen. Er hatte Andromeda beauftragt, sie einmal zu sich zu holen und ihr alles über Verhütung beizubringen, und sie hatte erst gestern Vormittag eine Nachricht von ihr erhalten, dass sie sie heute Abend zu ihr kommen sollte. Sie wusste, dass er nicht vorhatte, ewig auf sie zu verzichten. Nicht jetzt, wo sie sich ihm so bereitwillig hingegeben hatte. Unweigerlich musste sie sich bei diesem Gedanken fragen, ob das jetzt nicht auch zu ihren Pflichten als seine Sklavin zählte.

„Bist du in ihn verliebt", wollte Laura vorsichtig wissen.

„Ich weiß es nicht. Woher weiß man so etwas? Er ist mein Herr! Er besitzt mich! Ich kann ihn nicht lieben. Er sieht mich als sein Eigentum. Ich bin nur eine Sklavin. Wie kann ich dann frei in meiner Entscheidung sein, ihn zu lieben?", fragte Kiana verzweifelt. Sie konnte ihre Gefühle nicht einordnen. Alles in ihr verzehrte sich nach ihm, doch gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass ihre Gefühle für ihren Herrn auch ein Verrat an den Werten ihrer Kindheit waren. Als Sklavin durfte sie sich nicht in ihren Herrn verlieben. Als Gallierin durfte sie sich nicht in einen Römer verlieben. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr Vater sie anschreien würde, wenn er es wüsste. 

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWhere stories live. Discover now