Im Haus des Statthalters

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Hektisches Treiben weckte Kiana am nächsten Morgen und sie erwachte in ihrem neuen Leben. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages erhellten den kleinen engen und extrem stickigen Raum nur spärlich. Die Sklavinnen bewohnten das obere Stockwerk des Hauses, wo sie zusammengepfercht auf dünnen Strohmatrazen schlafen mussten. Die Mädchen um sie herum begannen bereits damit, sich anzukleiden und für den anbrechenden Tag fertig zu machen. Offenbar fing der Arbeitstag für sie alle sehr früh an. Unsicher huschten Kianas Augen durch das Zimmer. Fieberhaft überlegte sie, was die Dienerinnen bei ihr zu Hause immer taten, doch es hatte sie nie wirklich interessiert.

Da sie am Vortag zu müde gewesen war, um ihre Kleidung zu wechseln, beschloss sie, eine der Sklavinnen nach einem neuen Kleid zu fragen. Ihr altes Kleid, das sie vor ihrer Versklavung getragen hatte, hatte ihr der Sklavenhändler vom Leib gerissen und sie gezwungen, stattdessen dieses sackförmige Gewand aus grober Wolle zu tragen.

Erleichtert sah sie Freya auf sich zukommen und ging ihr sofort mit eiligen Schritten entgegen. Die andere Sklavin bedachte sie mit einem wohlwollenden Lächeln, dass Kiana scheu erwiderte, auch wenn ihr nicht danach war. Bevor Kiana ihre Frage stellen konnte, ergriff die ältere Sklavin bereits ihre Hand und zog sie mit sich. Während sie durch das riesige Haus des Statthalters liefen, klärte Freya sie darüber aus, dass Brianna, die Heilerin vom Vorabend, sie sehen wollte.

«Ich begleite dich zu ihr und bringe dir dann etwas Neues zum Anziehen. Der Herr wünscht, dass du in diesem Haus anständige Kleidung trägst», fügte die Sklavin noch mit einem Blick auf Kianas momentanes Gewand hinzu. Das Mädchen nickte dankbar, da sie es kaum abwarten konnte, diesen bescheidenen Fummel endlich loszuwerden. Ihre Haut war einen solch rauen Stoff nicht gewöhnt, daher juckte es sie seit Tagen am ganzen Körper. Tief in ihre Gedanken versunken, entging ihr beinahe, dass Freya noch hinzufügte, dass der Herr sie anschließend sehen wolle. Stocksteif blieb Kiana stehen und sah die ältere Sklavin verschreckt an. War ihre Schonzeit so schnell vorbei? Innerlich wollte sie sich schon für ihre Naivität schelten, aber Freya lächelte sie nur aufmunternd an und versicherte ihr, dass der Herr lediglich mit ihr frühstücken wolle. Erleichtert atmete das Mädchen auf. Also hatte er doch noch nicht vor, über sie herfallen. Wobei das nichts heißen musste. Der Tag war jung und die nächste Nacht kam gewiss.

Mit sanftem Druck zog Freya Kiana in das Behandlungszimmer, in dem Brianna sie genauso freundlich wie am Vortag empfing. Fast schon routiniert streifte Kiana ihr Kleid ab und legte sich auf die Behandlungsliege. Mit einem geübten Blick betrachtete sich Brianna die Wundheilung auf ihrem Rücken und versorgte alles erneut mit der wohltuenden Salbe, die ihre Schmerzen linderte. In der Zwischenzeit hatte Freya ihr das versprochene neue Kleid gebracht und wartete in der Ecke des Raumes, bis Brianna mit ihrer Behandlung fertig war.

Kiana zog sich anschließend erleichtert das neue Kleid über. Zwar war auch dieses Gewand nicht mit denen, welche sie früher getragen hatte, vergleichbar, doch fühlte es sich eindeutig angenehmer auf ihrer Haut an. Danach folgte sie Freya durch das Peristyl in das kleine triclinium und wurde mit jedem Schritt zunehmend nervöser. Ihr Magen verkrampfte sich, als sie das Zimmer betrat.

Was konnte ihr Herr nur von ihr wollen?

Der Gedanke, nun einen Besitzer zu haben, missfiel ihr noch immer. Zudem handelte es sich bei ihrem neuen Herrn um einen Römer, was in ihren Augen nichts Gutes bedeuten konnte. Dass er sie am Vortag nicht sofort für ihren so offen zur Schau gestellten Widerwillen bestraft hatte, war eigentlich überraschend gewesen. Die mit grausamer Präzision ausgeführten Peitschenhiebe, hatten sie derart aufgewühlt, dass Kiana für einen Moment nicht darüber nachgedacht hatte, welche Konsequenzen ihr Handeln hätte haben können.

Das Mädchen biss sich fest auf seine Unterlippe. Kiana schwor sich, ihren Stolz in Gegenwart ihres neuen Herrn hinunterzuschlucken, egal was er mit ihr vorhatte. Er würde sie nicht brechen. Sie hatte von ihrem Vater genug Geschichten, über das hinterhältige Volk der Römer erzählt bekommen, um zu wissen, dass ihre einzige Möglichkeit, in diesem Haushalt zu überleben, darin bestand, sich ihrem neuen Besitzer unterwürfig zu präsentieren. Es würde schwer für sie werden, aber ihre Eltern hatten ihr Leben geopfert, um ihres zu retten. Sie konnte ihnen nicht damit danken, dass sie es jetzt wegwarf. Vielleicht würde sich eine günstige Gelegenheit zur Flucht ergeben, wenn sie ihrem Herrn den Eindruck vermittelte, dass sie eine fügsame und brave Sklavin sei? Weiter konnte sie diesen Gedanken nicht verfolgen, da sie in diesem Moment mit Freya das triclinium betrat.

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsOù les histoires vivent. Découvrez maintenant