Schattendasein

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Rom, März 36 v. Chr.

Fest hielt Kiana ihr Kind in ihren Armen umklammert, während sie ihr tobendes Herz zu beruhigen versuchte. Laut hörte sie ihren eigenen Herzschlag in ihren Ohren pochen. Den ganzen Vormittag hörte sie sie schon streiten. Aus dem Augenwinkel hatte sie wahrgenommen, wie die Sklaven ihre Sachen packten und fortbrachten, während sie mit Sophia auf dem Schoß vor dem Arbeitszimmer saß. Er hatte ihr befohlen, hier auf ihn zu warten, bis er fertig war. Dann würde er auch sie aus seinem Haus wegbringen. Immer wieder musste sie sich ins Gedächtnis rufen, dass er ihr Herr und ihr Besitzer war. Von nun an musste sie so mit ihm umgehen und von ihm reden, wie man es von einer gehorsamen Sklavin erwartete.

Immer wieder schluckte sie ihre Tränen herunter und erinnerte sich daran, dass sie sich ihm zu Fügen hatte und das sie ihn in der Öffentlichkeit nicht blamieren durfte. Denn heute würde er sie in das Haus von Livia Drusilla, der Gattin seines besten Freundes, bringen.

Als Marcus vor ein paar Tagen zurückkam, hatte er ihr von seiner Unterhaltung mit dem jungen Caesar berichtet und ihr mitgeteilt, dass Livia sich bereit erklärt hatte, sie bei sich aufzunehmen, während er weg war. Sie würde die Zeit nutzen, um sie zur Sekretärin auszubilden, damit sie, wenn er aus Sizilien zurückkehrte, für ihn arbeiten konnte.

Kiana erinnerte sich immer noch daran, wie sie ihn ungläubig angesehen und sich gefragt hatte, warum sie denn plötzlich seine Sekretärin werden sollte. Marcus hatte sie liebevoll in den Arm genommen und ihr erklärt, dass er in erster Linie einen Grund brauchte, um sie so Lange in einem anderen Haus unterzubringen. Eine Sklavin in einem anderen Haushalt ausbilden zu lassen, war ein normales Unterfangen in Rom, so dass es nicht weiter auffallen würde, wenn sie zu diesem Zweck bei Livia Drusilla lebte. Er hatte ihr erklärt, dass es sich um eine gute Ausbildung handelte, die es ihr ermöglichte, auch nach seiner Rückkehr wieder eine sinnvolle Aufgabe in seinem Haus zu übernehmen.

Kiana wusste, was er damit andeuten wollte. Von einer Sklavin erwartete man, dass sie arbeitete, ansonsten war sie wertlos. Im Grunde war ihr klar gewesen, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Auch Marcus konnte nicht ewig tolerieren, dass sie nutzlos in seinem Haus in den Tag hinein lebte und nur sein Bett wärmte oder Sophia hinterherrannte. Daher hatte sie sich seinem Befehl stumm gefügt.

Das Brüllen aus dem Zimmer wurde lauter und riss Kiana aus ihren Gedanken. Sie musste stark zusammengezuckt sein, denn nun begann Sophia sich unruhig in ihren Armen zu winden. Vielleicht aber war es ihrem kleinen Mädchen auch zu langweilig geworden. Immer kräftiger fing sie an zu Zappeln und wollte endlich vom Schoß ihrer Mutter gelassen werden. Kiana betrachtete sich ihr Kind und konnte kaum glauben, wo die letzten neun Monate geblieben waren, seitdem sie Sophia geboren hatte. So viel war in der Zwischenzeit passiert.

Mit einem schwachen Lächeln setzte sie ihre Tochter auf dem Boden ab. Sie wusste nicht, wie lange Marcus sich noch mit seiner Frau streiten würde. Es waren immer nur Bruchstücke, die sie mitbekommen hatte. Offenbar hatte Caecilia etwas dagegen, dass er Sophia ebenfalls aus diesem Haus wegbrachte. Vielleicht war die Zuneigung, die Caecilia für Sophia empfand doch nicht nur vorgetäuscht. Vielleicht wuchsen in ihr schon die Muttergefühle, die sie für den Erben Entwickelte, der in ihr heranwuchs. Ein weiteres Thema, das dazu führte, dass der Knoten in ihrem Magen noch mehr verkrampfte. Was würde mit ihr und Sophia passieren, wenn dieses Kind geboren war?

Kiana richtete ihren Blick auf ihre Tochter und beobachtete mit einem wehmütigen Lächeln, wie Sophia vor lauter Freude in dem Haus ihres Vaters herumkrabbelte. Sie liebte es, das Haus zu erkunden und ihren Eltern überall hin zu folgen. Marcus mochte es, wenn Sophia in seiner Nähe war und unterbrach öfters sein Tun für einen kurzen Moment, um seine Tochter in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen. Sophia lachte dann jedes Mal vergnügt und kuschelte sich in die Arme ihres Vaters. Marcus hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie sehr er Sophia liebte. Doch was würde passieren, wenn er endlich ein legitimes Kind hatte? Wie würde sich ihr armes süßes kleines Mädchen fühlen, wenn sie älter wurde und sah, wie ihr Vater sie in der Öffentlichkeit verleugnen musste, während er dieses legitime Kind überall präsentieren konnte. Würde er Sophia erlauben, als große Schwester aufzuwachsen, oder würde er sie von seinen legitimen Nachkommen, so wie es sich für Sklavenkinder gehörte, fernhalten?

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt