Die Ankunft

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Als sie aufbrachen, wollte ihr neuer Herr nach ihrer Hand greifen, doch Kiana hatte sie ihm blitzschnell entzogen. Es kam so instinktiv, dass sie gar nicht darüber nachdachte, dass sie nun eine niedere Sklavin war und nicht das Recht hatte sich ihrem Herrn zu entwinden. Sie war jetzt sein Eigentum und allein für diesen kleinen rebellischen Akt könnte er sie bereits auspeitschen lassen. Daher schluckte sie und sah ängstlich zu ihm auf. Die Peitschenhiebe auf ihrer Haut brannten immer noch entsetzlich und sie verspürte kein Verlangen danach, weitere zu erhalten. Tränen bildeten sich in ihren Augen, als sie daran dachte, welche Torturen sie in Zukunft wohl von ihrem neuen Herrn zu erwarten hatte, doch sehr zu ihrer Erleichterung lachte ihr Herr amüsiert auf. Er hob seine Hände und meinte nur «Schon gut», ohne allzu verärgert zu klingen. Widerwillig musste sie zugeben, dass er ein angenehmes Lachen hatte und sie die Grübchen mochte, die sich um seine Augen formten. Er beließ es bei diesem einmaligen Versuch und nahm sie zwischen seine bedrohlich aussehenden Männer.

Kiana hatte versucht, eine Lücke zu finden, durch die sie schnell hätte entfliehen können, doch es war unmöglich. Stattdessen blieb ihr nichts anderes übrig, als ihrem neuen Herrn zu folgen. Seine Männer machten ihm einen Weg durch die dichten Menschenmengen frei, in dem sie mit diesen komischen Rutenbündeln in ihren Händen wild um sich schlugen. Die einfachen Männer und Frauen sprangen daraufhin sofort zur Seite. Es war nur ein kurzer Weg, der sie raus aus dem belebten Teil der Stadt und einen kleinen Hügel empor führte. Scharf zog Kiana die Luft ein, als sich vor ihr ein imposantes, zweistöckiges Gebäude dem Himmel emporhob. Sie hatte noch nie ein so prächtiges Haus aus Stein und Terrakottaziegeln gesehen. In ihrem Heimatdorf wohnten die Dorfbewohner in bescheidenen Hütten aus Holz und Stroh.

Es handelte sich um ein alleinstehendes Anwesen, das nur durch diverse verschiedene Bäume eingerahmt wurde, die allesamt eine prachtvolle Allee zum Haus bildeten. Durch die erhöhte Lage hatte man zudem einen wunderschönen Blick auf das Treiben innerhalb der Stadt. Darüber hinaus konnte man auch den Fluss sehen, der sich zusammen mit einem Aquädukt auf die Stadt zu schlängelte.

Kiana wollte kurz stehen bleiben und diesen Anblick in sich aufsaugen, doch ihr neuer Herr schob sie erbarmungslos in Richtung der hohen, zweiflügligen Holztür mit großen Bronzebeschlägen. Im Zentrum jedes Flügels war ein Wolfskopf angebracht, der ebenfalls aus Bronze bestand und der einen großen, als Türklopfer dienenden Ring im Maul hält. Die zwölf Männer hinter ihm verneigten sich und wandten sich ab zum Gehen. Nachdem ihr Herr zweimal gegen die Tür klopfte, wurde diese auch schon durch einen Sklaven, der dahinter platz genommen hatte, geöffnet.

Hinter dem Tor befand sich ein kurzer, kleiner Korridor, auf dessen Boden sich das Bild eines bedrohlich aussehenden Hundes befand. Unter dem Hund befand sich der Schriftzug cave canem – Vorsicht vor dem Hund, wie Kiana sich schnell im Kopf übersetzte. Instinktiv schaute sich das Mädchen nach einem echten Hund um, doch fand zu ihrer Erleichterung nur den Sklaven, der die Tür geöffnet hatte in dem kleinen Vorraum vor. Dieser nahm ihrem neuen Herrn den Umhang ab und verneigte sich nochmal tief vor ihm, während ihr Herr sie ein paar Schritte weiter durch den Korridor in das Atrium schob. Das Atrium war imposanter, als alles, was Kiana jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Es war ein rechteckiger, großzügiger bunter Saal, der durch lebhafte Fresken geschmückt war und durch das Licht, das durch die Decke in den Raum trat, erhellt wurde. Keine einzige Wand war leer, sondern sie alle waren mit mythologischen Figuren der Römer in leuchtenden Farben bemalt. Kiana hatte in ihrer Kindheit zwar das ein oder andere über die Römer gelernt, doch mit ihren Mythen kannte sie sich nicht aus, weshalb sie die Bilder auch nicht einordnen konnte.

In der Mitte des Raumes und direkt unter der quadratischen Öffnung im Dach befand sich ein kleines rechteckiges Becken, das impluvium, das mit Wasser befüllt war und auf dessen Oberfläche diverse bunte Blütenblätter schwammen. Wie ein Spiegel reflektierte das Wasser im Becken den blauen Himmel und wirkte auf Kiana durch die erhabene Schönheit wie ein weiteres Gemälde an der Wand. Die leichte Kräuselung des Wassers, ausgelöst durch eine zarte Brise, warf tanzende Wellen auf die Wände des Hauses, die sich in die Fresken mischte und dessen Schönheit noch einmal zu betonen schienen.

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt