Der Feigenbaum

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Bäume wachsen nicht, sie fließen
nach Oben wie ein frischer Brunnen,
bis sie ihr Wasser an den Wald zurückgeben.
Alles steckt in den Bäumen,
was in den Bäumen steckt, steckt in uns.
~ Esus, Druidenmeister

Marcus Agrippa hatte in den letzten Wochen kaum geschlafen und doch fühlte er sich voller Energie. Sein Herz pochte vor Vorfreude, als er sein Haus in der Ferne erblickte. Vor drei Wochen war er nach Ostia aufgebrochen und hatte seine hochschwangere Geliebte zurücklassen müssen. Die Hebamme meinte damals, es könne jederzeit so weit sein und so fragte er sich, ob Kiana ihr gemeinsames Kind bereits geboren hatte oder nicht.

Die letzten Monate waren anstrengend gewesen, da er, kaum dass er das Amt des Konsuls angetreten hatte, sich schon an die Arbeit machte. Ein Krieg stand bevor und das Letzte, was er entbehren konnte, war Zeit. Livias Einschätzungen, dass Sextus Pompeius nicht selbst den offenen Krieg suchen würde, gab ihm Zeit, seinen Plan akribisch in die Tat umzusetzen. Und das hatte er von der ersten Sekunde an gemacht.

Er hatte damit angefangen, eine Kriegsflotte für Gaius aufzubauen, wofür er die letzten drei Wochen in Ostia verbracht hatte, um die Bauarbeiten zu beaufsichtigen. Zudem hatte er damit begonnen, neue Soldaten zu rekrutieren.

Im Gegensatz zu Gaius besaß er zwar keinerlei militärische Erfahrung, was die Kriegsführung auf dem Wasser betraf, doch das hinderte ihn nicht daran, sich voller Tatendrang an die Arbeit zu machen. Seine Stärken lagen darin, dass er Dinge zu Ende bringen konnte und dass er schlichtweg über ein natürliches Verständnis für militärische Operationen und Taktiken verfügte. Das hatte bereits Caesar bei ihm erkannt und so setzte nun auch sein bester Freund sein ganzes Vertrauen in ihn. Innerhalb weniger Wochen hatte er es geschafft, ein neues Heer an Soldaten zusammenzustellen, über das er auch das Oberkommando ausübte.

Sein Hauptaugenmerk lag gleichwohl auf einer vernünftigen Vorbereitung. Er hatte die vergangenen Schlachten zwischen Sextus Pompeius und Gaius genau studiert und nach Schwachstellen gesucht. Dabei erkannte er schnell, dass sie vor allem eine stärkere Flotte benötigen würden. Die Schiffe, die er unter diesen Umständen bauen ließ, konnten mutmaßlich nicht mit der Schnelligkeit und Wendigkeit der Flotte des Sextus Pompeius mithalten, aber dafür verfügten sie über eine enorme Feuerkraft. Zudem war er in Begriff, eine neue Waffe zu konstruieren, die ihnen das Entern erleichtern sollte. Er nannte sie die Harpax. Dabei handelte es sich um eine etwa fünf Ellen lange Harpune, an deren Ende mehrere Widerhaken befestigt wurden, die sich in den Aufbauten des gegnerischen Schiffes verfangen sollten. Dieses konnte dann mithilfe einer Winde am Fuß der Balliste an das eigene Schiff herangezogen werden. Der Schaft des Hakens war zudem aus Eisen gefertigt, sodass die feindliche Besatzung die Enterseile nicht so einfach durchtrennen konnten.

Es war schon später Abend, als Marcus Agrippa endlich sein Atrium betrat. Wie immer um diese Jahreszeit war es unerträglich heiß in Rom und er vermisste fast die kühle Brise, die ihm stets am Meer entgegen wehte.

Er wischte sich gerade die Schweißperlen von der Stirn, als seine Schwester das Atrium betrat, um ihn zu empfangen.

„Bruder", rief sie und raffte ihren Rock, um schneller zu ihm zu rennen.

„Was ist los? Ist etwas passiert?", fragte er sofort und sah seine Schwester dabei besorgt an. Doch diese schüttelte nur den Kopf.

„Nein, es ist nichts passiert", sagte sie. „Kiana..."

„Was ist mit ihr? Geht es ihr und meinem Kind gut?"

Polla nickte, um ihn zu beruhigen. Ihr Gesichtsausdruck blieb allerdings ernst.

„Ja, Kiana und dem Kind geht es gut. Kiana hat sie vor zwei Tagen zur Welt gebracht", klärte sie ihn auf.

„Sie?"

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWhere stories live. Discover now