Weiblicher Rat

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Kiana und Laura waren gerade dabei das Atrium zu putzen. Es waren jetzt schon vier Monate vergangen, seitdem man sie in die Sklaverei verkauft hatte und so langsam gewöhnte sie sich an ihre Arbeit. Ihre Knochen schmerzten nicht mehr ganz so sehr wie am Anfang und die Arbeit half ihr dabei, nicht zu viel über ihre Vergangenheit nachzudenken. Auch wenn immer noch die nagende Ungewissheit über das Schicksal ihres Bruders und ihrer Tante sie innerlich aufzufressen drohte.

Doch zu der Angst um ihre Familie mischten sich auch neue Gefühle. Komische Gefühle. Gefühle, die Kiana nicht einordnen konnte und die ihren Herrn betrafen. In den vergangenen Tagen hatte er viel Zeit mit ihr verbracht und sie oft eingeladen, am Abend mit ihm im Triclinium zu speisen. Wie an dem ersten Abend, las er ihr die Briefe seiner Klienten vor und fragte sie nach ihrer Meinung. Sein Sekretär Linus hatte die Briefe schon vorsortiert, so dass es sich nur um Anliegen gallischer Mitbürger handelte, die Probleme mit ihren römischen Nachbarn hatten. Ihr Herr war wirklich bemüht eine Lösung zu finden, mit der am Ende beide Seiten leben konnten. Zwischen ihnen herrschte eine angenehme Atmosphäre und Kiana genoss es in vollen Zügen bei ihm zu liegen und mit ihm zu sprechen. Von Tag zu Tag schien ihr Latein besser zu werden. Doch spürte sie auch, wie sie sich mehr und mehr zu ihm hingezogen fühlte. Manchmal fantasierte sie darüber, wie er begann sie zu küssen, so wie sie es zuweilen verstohlen bei ihren Eltern hatte beobachten können. Sie erinnerte sich an die seltenen Momente, in denen ihr Vater ihre Mutter von hinten umarmte und ihren Nacken zu küssen begann. Wie würde es sich wohl auf ihrer Haut anfühlen, wenn ihr Herr dies bei ihr tat?

Kiana verspürte alleine bei dem Gedanken schon ein angenehmes Ziehen in ihrem Bauch.

„Kiana, du träumst schon wieder", lachte Laura. Kiana drehte sich zu dem Mädchen, die in den vergangenen Wochen zu einer Freundin für sie geworden war, um und spürte, wie das Blut in ihre Wangen schoss.

„Wie kommst du darauf?", meinte sie. Sie versuchte dabei, ihre Stimme neutral zu halten und sich ihr Gefühlschaos nicht anmerken zu lassen. Denn immer wenn sie an ihren Herrn dachte, zog es sie auch unweigerlich in einen Strudel bestehend aus einem schlechten Gewissen ihrem Stamm gegenüber, einer verzweifelten Hoffnungslosigkeit, weil sie nie mehr von ihm erwarten und mehr für ihn sein konnte als eine Sklavin, Hass auf sich selbst, weil sie sich mittlerweile nach Berührungen sehnte, vor denen sie sich vor Monaten noch gefürchtet hatte und von denen sie eigentlich froh sein sollte, dass ihr Herr das nicht von ihr verlangte. Sie dachte an ihre Tante, die nachdem sie aus ihrer römischen Gefangenschaft geflohen war, nie wieder einen Mann in ihrem Bett hatte ertragen können. Doch wirklich den Kopf zerbrach sie sich darüber, dass ihr Herr trotz seiner Freundlichkeit, seiner Güte und seines Charmes in erster Linie immer ein Römer war. Nur zu gut wusste sie, was ihr Vater über ihre Gedanken bezüglich des römischen Statthalters sagen würde.

„Na, du summst schon die ganze Zeit vor dich hin. Ist es der Herr, der dich so glücklich macht?", wollte Laura wissen und sah sie voller Neugier an. „Was macht er denn an all den Abenden mit dir, wenn er dich mit sich speisen lässt?"

„Er liest mir Briefe vor", antwortete Kiana und errötete noch mehr, als Laura anfing, laut zu lachen.

„Nicht mehr?" Lauras Stimme klang ungläubig und sie schüttelte wie zu sich selbst den Kopf. 

„Nein, er will meine Meinung zu Problemen zwischen seinen Klienten hören. Gerade wenn Gallier betroffen sind, interessiert ihn meine Sicht der Dinge", erklärte Kiana und tat so, als wäre ihre niedere Arbeit plötzlich von höchster Wichtigkeit.

„Wie ungewöhnlich für einen Römer", sagte Laura, diesmal klang sie nachdenklich. „Normalerweise interessieren sie sich nicht für die Meinung einer Frau und noch weniger für die Meinung einer Sklavin."

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWhere stories live. Discover now