Massilia

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Die nächsten Tage rasten nur so dahin. Kiana war zwar immer noch nicht glücklich mit den Entwicklungen und hatte Angst vor dem, was sie in Rom erwarten würde, doch war sie intelligent genug, um zu wissen, dass sie das Thema ‚Freilassung' bei Marcus nicht noch einmal ansprechen brauchte. Zudem war sie wieder in seinem Schlafgemach eingezogen, etwas, was er stillschweigend ebenfalls von ihr verlangte. Jede weitere Nacht, die sie nicht bei ihm verbringen würde, hätte er nur als zusätzliche Trotzreaktion gewertet und Kiana wollte ihn lieber nicht noch mehr herausfordern. Aber er respektierte ihren Wunsch, dass sie bis zur Geburt keine Form des Geschlechtsverkehrs wollte, die ihr Kind gefährden würde. 

Dabei war hilfreich, dass Marcus die Tage über so sehr mit den Vorbereitungen für die Abreise beschäftigt war, dass er abends oft müde ins Bett fiel und es ihm genügte, sie wieder in den Arm nehmen zu können. Der neue Statthalter – Marcus Vinicius, war bereits wenige Tage nach der Nachricht aus Rom in Burdigala eingetroffen und Marcus verbrachte die meiste Zeit des Tages damit, ihm die Unterlagen und die politischen Strukturen zu erklären. 

Als der Tag der Abreise schließlich gekommen war, vertraute Marcus Kiana erneut Ariadne an. Er hatte ihr die Stute ohnehin mehr oder weniger bereits geschenkt. Und auch Ariadne wollte nur noch von Kiana geritten werden. Sie wieherte jedes Mal vor Freude, wenn sie ihre Herrin sah.

Wenn sich seine Soldaten, die sich mit ihnen auf den Weg nach Rom machten, darüber wunderten, dass Agrippa einer Sklavin ein eigenes Pferd überließ, dann behielten sie ihre Meinung für sich. Sie ritten in einem schnellen Tempo an den verschiedenen Städten vorbei, bis sie vor den Toren Massalia's hielten. Hier teilte Marcus seinen Soldaten mit, dass sie drei Tage Rast machen würden. Auf diese Weise konnten sich sowohl die Legionäre als auch die Pferde erholen. 

„Und was machen wir", fragte Kiana, als sie aus der Unterkunft traten. Die Römer hatten schon seltsame Sitten. Früher, wenn Kiana's Vater sie mal mitgenommen hatte, dann übernachteten sie meistens bei anderen Stämmen. Es war üblich, dass man Fremden, die in friedlicher Absicht kamen, Gastfreundschaft gewährte. 

„Wir besuchen einen alten Freund von mir", sagte Marcus und sah sie grinsend an. Er nahm ihre Hand und führte sie durch die schmalen Gassen der Stadt. An jeder Ecke konnte man den griechischen Einfluss bewundern. Ein Grund mehr, warum Marcus die Stadt seit seinem ersten Besuch so in sein Herz geschlossen hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Städten hier in Gallien, wurde Massalia von den Griechen vor hunderten von Jahren gegründet. Zwar gehörte die Stadt mittlerweile auch zur Provinz Gallia Narbonensis, doch hatte sie noch ihren griechischen Charme behalten. 

Endlich kamen sie an einem mehrstöckigen Haus an und Marcus lief mit Kiana die Treppen hoch in den dritten Stock. Er klopfte dann an einer Tür und ein Mann, mit zotteligem schwarzem Haar und Bart öffnete die Tür. Er schien im selben Alter wie Marcus zu sein. Der Mann brauchte, da der Gang nur spärlich beleuchtet war, kurz, um zu erkennen, wer da vor seiner Tür stand. Als er Marcus erkannt, breitete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht aus. 

„Ich dachte nicht, dass du mich noch einmal besuchen kommst", sagte er. „Du hättest dich vorher ankündigen können."

„Wir sind auf der Durchreise nach Rom", klärte Marcus seinen Freund auf. „Kiana, darf ich dir meinen alten Freund Nicolaos vorstellen", sagte er und lüftete endlich das Geheimnis um die Identität des Mannes. Jetzt erst schien der Mann Kiana zu bemerken. 

„Deine Penelope", fragte er überrascht. Marcus schüttelte den Kopf und griff nach Kiana's Hand. 

„Meine Briseis", sagte er und lächelte Kiana dabei an. Diese lächelte scheu zurück. Sie hatte keine Ahnung, wer Briseis war. Aber anscheinend schien Nicolaos zu verstehen, wer sie für Marcus war, denn er warf ihrem Herrn einen kurzen, abschätzigen und intensiven Blick zu. Dann drehte er sich zu Kiana und lächelte sie ebenfalls freundlich an. 

Römische Verhältnisse - Die Diener RomsWhere stories live. Discover now