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Ich fahre nicht direkt nach Hause, sondern einfach durch irgendwelche Straßen.

Wie von selbst treibt es mich zum Hof der PSA. Ich stelle mein Fahrrad ab und gehe zu der Wand mit Jordans Bild daran. Ich muss an unsere erste Begegnung denken und weiß wieder, was ich damals gedacht hatte. Meine Eltern würden genau das gleiche denken, wenn sie sie sehen. Selbst wenn sie Jordans Eltern kannten, würden sie das, was sie geworden ist, nicht tolerieren. Mal davon abgesehen, dass sie meine Sexualität nicht gut fänden. Als einige Leute aus dem Gebäude kommen, fahre ich schnell wieder weg. Einige Straßen entfernt bleibe ich stehen und checke mein Handy nach Nachrichten von Jordan. Sie war das letzte Mal gestern Abend online, enttäuscht seufze ich. Mein Blick fällt auf die andere Straßenseite, im Fenster leuchtet das Wort „Open" in grünen Buchstaben.

POV Jordan

Dieser Tag hat sich schon wieder unglaublich gezogen und ich bin froh in meinem Zimmer zu sein. Schnell schnappe ich mir mein Handy und sehe, dass Jane mir eine Nachricht geschrieben hat, sie danach aber wieder gelöscht hat. Ich wähle ihre Nummer und nach einigen Sekunden geht sie ran.

„Hey Jordi, was geht?"

Verwirrt schaue ich auf die Uhr, bei Jane ist es fünf Uhr und sie klingt total betrunken.

„Hast du etwas getrunken?"

Ein Kichern erklingt am anderen Ende der Leitung und sie meint: „Und wenn? Sei nicht so eine Spaßbremse." Ihr Verhalten passt überhaupt nicht zu ihr, irgendwas muss passiert sein.

„Was ist los?"

„Du bist ein Lügner und ich bin betrunken."

„Was?"

„Ja, aber morgen bin ich wieder nüchtern und du bist immer noch ein Lügner."

Was redet sie da für wirres Zeug? Ich habe sie nicht angelogen, wieso bin ich bloß so weit von ihr weg.

„Wo bist du?", frage ich sie.

„Die Frage ist eher, wo bist du? Jedenfalls nicht hier bei mir. Ich will dich küssen."

Ich muss etwas schmunzeln und die Schärfe aus meiner Stimme verschwindet: „Ich will dich auch küssen. Sagst du mir, wo du bist?"

Ich höre sie noch ein Getränk bestellen, dann sagt sie: „Kommst du mich dann holen?"

„Ja", wenn ich sie anlügen muss, um sie in Sicherheit zu bringen, ist das wohl so. Sie sagt mir tatsächlich den Namen der Bar und ich schreibe sofort Paul. Der bekommt die Nachricht allerdings nicht, sodass mir nur noch eine Person einfällt.

POV Jane

„Auf weiße Schokobons!" Bryan und ich prosten uns zu und trinken unseren Shot aus. Bryan ist mein neuer bester Freund, weil er genauso verzweifelt ist wie ich. Er ist zwar schon älter als ich und hat Eheprobleme, aber am Ende geht es um das gleiche. Wir trinken schon einige Stunden auf die dämlichsten Sachen und mittlerweile ist alles etwas verschwommen. Es tut gut, an nichts ernstes denken zu müssen und einfach zu lachen. Bryan fängt an, ein Lied zu singen und ich stimme ein, obwohl ich den Text nicht kenne. Er legt seinen Arm um mich und wir wiegen uns hin und her. Nach einigen Sekunden wird er allerdings von mir weggezogen. „Das wars mit der Party." Verschwommen erkenne ich eine Person vor mir und dunkle Augen, die mich wie immer in ihren Bann ziehen. Sofort lächele ich, ziehe sie zu mir und gebe ihr einen Kuss. „Ähm okay, komm mit", sagt sie, hebt mich hoch und trägt mich raus aus der stickigen Bar. Die frische Luft knallt mir ins Gesicht und sofort merke ich den Alkohol doppelt so heftig. Das letzte, was ich sehe, ist die Autotür, die hinter mir zufällt.

Sonne strahlt in mein Gesicht, als ich die Augen öffne und sofort zieht ein stechender Schmerz durch meinen Kopf. Als ich mich aufrichte, überkommt mich Übelkeit und ich bin froh über den Eimer neben dem Bett. Nachdem mein ganzer Mageninhalt mich verlassen hat, sehe ich mich um. Ich liege in Jordans Bett, keine Ahnung, was gestern passiert ist. Mit schweren Gliedern schleppe ich mich herunter in die Küche und trinke etwas Wasser.

„Kater?", ertönt eine Stimme hinter mir, die mich zusammenzucken lässt. Es ist Megan, Jordans Schwester und sie mustert mich amüsiert. Ich laufe rot an: „Wo ist Jordan?" Sie grinst und nippt an ihrem Kaffee: „In ihrer Reha, wo sie hingehört." Verwirrt versuche ich die Erinnerung an Jordans Augen einzuordnen, bis ich Megan ansehe. Sie hat genau die gleichen Augen, wie ihre Schwester. Meine Augen weiten sich und ich will am liebsten im Erdboden versinken. Megan lacht: „Ach du erinnerst dich? Keine Angst, ich verrate Jordan nicht, dass ich besser küsse als sie." Ich weiß nicht, ob ich jemals in meinem Leben schon mal peinlicher berührt war als in diesem Moment. Der gestrige Abend ist ein absolutes Rätsel für mich und Megan scheint das zu wissen. Sie stellt mir einen Smoothie vor die Nase und lehnt sich dann auf die Kücheninsel. Sie trägt schicke Klamotten und sieht aus, als würde sie jeden Moment zur Arbeit gehen. Als ich auf die Uhr sehe, bemerke ich wie spät ich bin und renne sofort wieder hoch. Wenn ich wieder zu spät komme, bekomme ich einen Eintrag. Meinen Eltern schreibe ich schnell, dass ich bei Lynn geschlafen habe. Bevor ich aus der Tür stürme, drehe ich mich noch kurz zu Megan und murmle: „Danke, dass du mich geholt hast."

Der Tag war der schlimmste meiner ganzen bisherigen Schulbahn. Lynn hat mich in der Pause in die Toilette gezogen und etwas zurecht gemacht. Zum Glück musste ich ihr noch nicht erklären, was passiert ist. Im Unterricht habe ich kein bisschen mitgemacht und beim Training musste ich mich fast wieder übergeben. Lynn hat die Leitung übernommen, mittlerweile könnte sie eigentlich auch gleich erste Cheerleaderin werden. Ich bin zwar die bessere Cheerleaderin, aber in Sachen Organisation bin ich ihr klar unterlegen. Josh hat mir von Weitem ständig Blicke zugeworfen, die ich nicht einordnen konnte. Ich bin absolut froh, als ich in meinem Bett liege und eine Kopfschmerztablette einwerfen kann. Als mein Handy klingelt, werde ich sofort rot.

„Hey", melde ich mich schüchtern und höre förmlich, wie Jordan schmunzelt.

„Geht es dir besser?", fragt sie und ich erzähle ihr von meinem Tag. Sie erklärt mir, dass ich betrunken mit ihr telefoniert habe und sie schließlich ihre Schwester geschickt hat, um auf mich aufzupassen. Beschämt entschuldige ich mich bei ihr, doch sie tut es mit einem „schon gut" ab.

„Erzählst du mir, was los ist?", fragt sie schließlich und mein Blick fällt auf ein Bild von mir und meinen Eltern, das auf meinem Schrank steht. „Nichts Besonderes. Hatte nur Stress mit meinen Eltern." Jordan brummt, gibt sich mit meiner Antwort aber erstmal zufrieden. „Erzähl mir von der Reha", fordere ich sie auf und gehe weiteren Fragen damit aus dem Weg.

Wir telefonieren noch eine ganze Stunde, dann fallen meine Augen wie von selbst zu.

The girl from the other sideحيث تعيش القصص. اكتشف الآن