33.

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Das Wochenende ist wunderschön und geht viel zu schnell vorbei.

Am Montagmorgen setzt Jordan mich vor meiner Schule ab. Nervös lasse ich meinen Blick über den Schulhof schweifen und möchte am liebsten gar nicht aussteigen. „Hey", meint Jordan und streichelt meine Hand, „du schaffst das." Ich seufze und nicke, um mir selbst Mut zu machen. Ich drücke meiner Freundin noch einen Kuss auf die Wange, schnappe meine Tasche und steige aus. Auf dem Weg über den Schulhof sehen mich einige Leute an und sofort wird geredet. Ich bin mir unsicher, ob ich zu den Cheerleadern gehen soll, die auf einer Bank in der Mitte des Hofes sitzen.

„Jane!", ruft Kira fröhlich, die mich als erstes bemerkt hat. Sofort springt Lynn auf und lächelt übers ganze Gesicht. Sie kommt zu mir gelaufen und zieht mich in eine feste Umarmung. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht, du Idiot", sagt sie mit lieber Strenge im Ton. „Tut mir leid", meine ich und sehe sie entschuldigend an. Sie lächelt, Lynn ist mir nie wirklich böse. Als ich mich zu den anderen setze, heißen sie mich nett willkommen und keiner scheint sauer auf mich zu sein. „Mit Lynn ist das Training übrigens tausendmal schlimmer als bei dir", meint Sarah zu mir und ich muss schmunzeln. Meine beste Freundin kann ziemlich fordernd sein, doch ich weiß, dass sie perfekt in diese Position passt. „Jetzt bin ich ja wieder da, bei mir traut sie sich das sicher nicht", meine ich grinsend und Lynn zieht eine Augenbraue hoch. „Das glaubst aber auch nur du. Du hast Training verpasst, das wird alles nachgeholt", droht sie mir und ich lache. Ich bin wirklich froh, dass mein Team so nett mit meiner Aktion umgeht.

Lynns Drohung war nicht wirklich gelogen, das Training ist absolut hart. Die Saison geht in die heiße Phase und eigentlich hätte ich mir meine Aktion gar nicht leisten dürfen. Meine Eltern haben dem Direktor vermutlich einiges gezahlt, um mich im Team zu behalten. An unserer Schule wird alles so geregelt, denn schlechte PR kann sich keiner leisten. Nach dem Training liege ich völlig fertig im Gras und versuche meinen Körper herunterzufahren.

„Du trägst echt immer noch diese Uniform und fühlst dich dabei nicht mal schlecht", ertönt eine Stimme über mir. Ich setze mich auf und sehe Josh genervt an. „Was willst du?" Er mustert mich und ich fühle mich ausnahmsweise unwohl in unserem knappen Outfit. „Du hast die falsche Entscheidung getroffen", meint er arrogant. Ich will etwas erwidern, merke jedoch wie jemand hinter mich tritt. „Runter von unserem Trainingsplatz", sagt Lynn nachdrücklich und blickt Josh dabei direkt in die Augen. „Dir ist schon klar, dass Ben nicht mehr lange bei dir bleibt, wenn du dich mit denen abgibst", provoziert Josh sie. Lynn lacht daraufhin allerdings nur und verschränkt ihre Arme: „Du bist der Einzige, der bald ganz alleine ist. Lass Jane in Ruhe oder ich erzähle deinen Eltern, wie ihr Sohn wirklich drauf ist." Josh verzieht wütend das Gesicht, er weiß genau, dass er dagegen nicht ankommt. Lynn ist die Vorzeigeschülerin der Royal und wird von allen Lehrern und Eltern geschätzt. Wenn Joshs Eltern sich eine Schwiegertochter wünschen könnten, wäre es sie, nachdem ich jetzt wohl in ihrem Ansehen ziemlich gesunken bin. Lynn hat ein außergewöhnliches Talent dafür, Menschen von ihren guten Absichten zu überzeugen. Nur wer sie wirklich kennt, weiß, dass sie nicht immer das anständige Aushängeschild der Schule ist. Sie fährt viel zu schnell Auto, trinkt sehr gerne sehr viel und ist mehr am Sport als an ihrem bevorstehenden Medizinstudium interessiert. Die Intelligenz fliegt Lynn schon immer einfach zu, sodass sie nicht wirklich viel dafür machen muss, einen super Notenschnitt zu haben.

„Das wirst du noch bereuen", zischt Josh und es sieht aus, als hätte er in Lynn seine neue Erzfeindin gefunden. Dann stapft er wütend davon, keine Ahnung, was ich mal an ihm gefunden habe. Meine beste Freundin schaut meinem Exfreund hinterher und schüttelt den Kopf: „So ein Vollidiot." Ich lächele und lasse mir von ihr aufhelfen: „Danke." Sie zwinkert mir zu und reicht mir eine kühle Wasserflasche: „Ruh dich erstmal aus. Soll ich dich mitnehmen?" Ich erzähle ihr, dass ich im Moment bei Jordan wohne und Lynn besteht darauf, mich zu fahren. Nach dem Duschen zeige ich ihr den Weg und ihr Mund klappt auf, als wir vor dem großen Anwesen halten. „Äh, willst du mich verarschen?" Ich zucke die Achseln: „Ich habe dir doch erzählt, dass ihre Eltern Geld hatten." Sie steigt mit mir aus und betrachtet die Villa: „Ja, aber nicht, dass die Wellingtons scheinbar das Non Plus Ultra dieser Stadt waren. Ernsthaft, selbst euer Haus stinkt dagegen ab." Ich werfe ihr einen gespielt bösen Blick zu und Lynn lacht: „Ist doch so." Dann reicht sie mir meine Tasche und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns morgen", meint sie lächelnd und winkt mir noch, bevor sie mit quietschenden Reifen wegfährt. Das arme Auto, aber dem Geldbeutel ihrer Eltern wird es wohl nicht wehtun.

Ich gehe hinten über die Terrasse ins Haus und laufe fast in Megan hinein. „Oh, hey Kleines. Jordan ist unten, aber sie hat keine gute Laune", meint sie und geht an mir vorbei raus. Ich lege meine Sachen ab und laufe in den Keller zum Trainingsraum. Tatsächlich liegt Jordan auf dem Boden und macht Bauchmuskelübungen. Ich mustere sie und mir fällt ein Bluterguss an ihrer Hüfte auf. Als sie mich bemerkt, steht sie schnell auf und zieht sich ein Shirt über. „Was ist mit dir passiert?", frage ich und lasse sie nicht an mir vorbei gehen. Sie verdreht die Augen: „Nichts besonderes." Ich will ihr Shirt hochziehen, doch sie weicht vor mir zurück. Sie hält mein Handgelenk fest und seufzt: „Auf unserer Schule werden Angelegenheiten halt anders geregelt als bei euch." Ich runzele besorgt die Stirn: „Wer war das?" Jordan schnappt sich eine Trinkflasche und setzt sich auf eines der Trainingsgeräte. „Es ist nur ein Trainingsunfall. Beim Football bekommt man schon mal was ab." Ich werfe ihr einen wütenden Blick zu, weil sie meiner Frage ausweicht. Da greift sie nach meiner Hand und zieht mich in ihre Arme. „Mach dir keine Sorgen", haucht sie und streichelt meine Wange. Ich werde mir auf jeden Fall weiter Sorgen machen, aber ihre Berührung beruhigt mich etwas. „Wie war dein Tag?", fragt sie mich und versucht damit vermutlich abzulenken. Trotzdem erzähle ich ihr alles, was passiert ist und sie hört mir aufmerksam zu. „So schlimm ist es also gar nicht, ehrlich zu sein", meint sie lächelnd und gibt mir einen Kuss. Ich will sie näher zu mir ziehen, doch sie hält meine Hände fest. „Ich gehe jetzt duschen und danach kochen wir zusammen was." Ich würde gerne mit ihr ins Bad gehen, doch ich merke, dass sie sich für die Verletzung schämt. Also gehe ich wieder hoch und bereite schon mal alles vor.

„Siehst du, das könnte fast ein Football sein", meint Jordan und ich muss lachen. Wir liegen draußen im Garten auf einer Liege und schauen in die Sterne. „Ich bekomme langsam das Gefühl, du hast gar keine Ahnung von Football", necke ich sie und sie fängt an, mich zu kitzeln. „Nicht", versuche ich sie aufzuhalten, doch muss gleichzeitig lachen. Als ich mich wieder beruhigt habe, kuschele ich mich an Jordan und höre ihrem gleichmäßigen Atem zu. Sie streichelt meinen Arm und meint: „Jane?" Ich brumme als Antwort und sie murmelt: „Ich liebe es, wenn du hier bist, aber ich glaube du solltest mit deinen Eltern reden." Sofort richte ich mich auf, sodass ich ihr in die Augen sehen kann. „Muss das sein?", frage ich gequält, es graut mir schon die ganze Woche davor. Meine Freundin streichelt meine Hand und nickt: „Ich sehe doch, dass es dich beschäftigt. Ich kann nicht zulassen, dass du deine Familie für mich aufgibst." Ich seufze und reiße einige Grashalme aus dem Rasen, sie hat ja Recht. Ich vermisse meine Eltern, aber ich habe auch Angst, sie wiederzusehen. Ich kann nicht einschätzen, wie sie reagieren werden. Zuvor hat so etwas wie Homosexualität in unserer Familie nie eine Rolle gespielt. Jordans sanfte Finger an meiner Wange holen mich aus meinen Gedanken und ich verliere mich in ihren dunklen Augen. Die Wärme in ihren Augen, die nur dort ist, wenn sie mich ansieht, ist definitiv einer der Gründe, warum ich mich in sie verliebt habe. Ich nicke seufzend: „Okay."

Jordan lächelt und gibt mir einen Kuss: „Du bist nicht allein."

The girl from the other sideWhere stories live. Discover now