43.

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POV Jane

Seit Tagen habe ich nicht mit meinen Eltern geredet und mich fast nur draußen aufgehalten. Heute ist der erste Schultag nach den Ferien und ich sitze schweigend bei den anderen Cheerleadern. Sie reden über irgendwelche Jungs und den neuesten Klatsch, doch es interessiert mich nicht. Lynn hat einige Male versucht, ein Gespräch mit mir anzufangen, es dann jedoch aufgegeben. Sie spürt meistens, wenn ich Zeit für mich brauche. Ich will mit niemandem über Jordan reden, weil ich selber nicht weiß, was ich sagen soll. Ich bin mir sicher, dass sie mich hasst und ich daran rein gar nichts ändern kann. Ich habe mehrmals überlegt, zu ihr zu fahren und mich zu entschuldigen. Letztendlich glaube ich jedoch, dass Jordan mich nicht sehen will. Ich weiß, wie schwer es ihr fällt, mit ihren Gefühlen umzugehen und gerade ist es einfach zu viel. Ich will ihr Zeit geben, aber es fällt mir schwer, mich von ihr fernzuhalten. Der Urlaub mit ihr war so schön und mit jedem Tag habe ich mein Herz mehr an sie verloren. Die Gefühle, die ich mittlerweile für sie habe, sind nicht mit denen vom Anfang vergleichbar. Die verletzliche Seite, die sie mir gezeigt hat, hat meine Gefühle noch unendlich mehr werden lassen. Ich bin mir sicher, dass ich niemanden treffen könnte, der mich so faszinieren würde wie sie.

Im Unterricht bin ich mit meinen Gedanken ständig bei ihrem Gesicht und sehe vor mir, wie sie mich anlächelt. Ich denke daran, wie oft ich ihr beim Zeichnen zugesehen habe und wie sehr es mich in den Bann gezogen hat. Ihre Hände erschufen aus dem Nichts Kunstwerke mit solch einer Leichtigkeit, dass es mich immer wieder verblüffte. „Miss Adams, sind Sie noch bei uns?", holt mich die Stimme meines Lehrers in die Gegenwart zurück. Ich nicke und laufe rot an, weil mich alle anstarren. Josh mustert mich und ich schaue schnell weg, um zu verstecken wie geschwollen meine Augen sind. Ein Blinder könnte sehen, dass ich das ganze Wochenende geweint habe. Zum Glück ist die Stunde nach einigen Minuten vorbei und wir haben nur noch Training. Der Sport lenkt mich etwas ab und einmal muss ich sogar dank Sarah lachen.

In den nächsten Tagen nimmt Lynn mich meistens mit zu sich nach der Schule, sodass ich nicht ständig allein bin. Es tut gut unter Menschen zu sein, weil meine Gedanken dann nicht so laut sind. Die Schuld wiegt schwer auf meinen Schultern und ich weiß wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich bin schuld daran, dass Menschen gestorben sind. Auch ohne Jordans Wut auf mich würde mich diese Tatsache fertig machen. Meine Eltern haben mehrmals versucht mit mir zu reden, doch ich will ihre Ausreden nicht hören. Sicher wollten sie mich beschützen, aber sie hätten es mir sagen müssen. Spätestens in dem Moment, in dem meine Mutter Jordan die Wahrheit über ihrer Mutter erzählt hat. Meine Eltern haben vermutlich die Chance, eine echte Familie für Jordan zu sein, zunichte gemacht. An einem Abend schreibe ich Paul, ob es Jordan okay geht. Er antwortet recht schnell, dass sie nicht in der Schule war. Nachdenklich betrachte ich das Profilbild des Mädchens, das ich liebe und seufze. Ich weiß nicht, ob sie je wieder mit mir reden wird. Ich könnte verstehen, wenn sie es nicht tut.

POV Jordan

„Was machst du denn hier? Hast du keine Schule?", ist das erste, was meine Schwester von sich gibt, als sie mit ihrem Koffern ins Haus kommt. Ich werfe ihr nur einen wütenden Blick zu, worauf sie die Augen verdreht. „Ich habe dir gesagt, dass du dich anstrengen sollst. Mama hätte gewollt, dass du anständig bist", meint sie und macht sich einen Kaffee. „Hätte sie auch gewollt, dass du mich anlügst?" Verwirrt zieht Megan eine Augenbraue hoch und stellt den Kaffee beiseite. Sie trägt wie immer einen schicken Rock und Blazer. „Wie konntest du mir nicht sagen, dass sie wegen ihnen gestorben sind?", frage ich mit zitternder Stimme. In Megans Augen tritt Erkenntnis und sie kommt zu mir. Seufzend setzt sie sich auf das Sofa und überschlägt ihre Beine. „Jo, ich habe dich zum ersten Mal seit ihrem Tod wieder glücklich gesehen. Vielleicht ist dir das selbst nicht so aufgefallen, aber du warst wieder du selbst." Ich verdrehe die Augen, meine Wangen sind längst nass. Ich bin so wütend auf meine Schwester und auf mich selbst. Weil ich so dumm war, mich auf ein Mädchen mit meinem ganzen Herzen einzulassen.

„Es ändert nichts. Niemand hätte vorhersehen können, was in dieser Nacht passiert ist. Die Adams sind vielleicht ignorant, aber sie sind nicht schuld. Es ändert nichts, jemandem die Schuld zu geben. Ich habe sie auch gehasst, aber mittlerweile weiß ich es besser. Davon kommen Mom und Dad nicht zurück." Den letzten Teil sagt sie eher zu sich selbst und ich kann mein Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Meine Schwester setzt sich zu mir und zieht mich in ihren Arm. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir uns das letzte Mal umarmt haben. Diese Geste bricht all meine Dämme und ich sacke in mich zusammen wie ein Häufchen Elend.

Egal wie blöd meine Schwester war, sie ist die Einzige, die mich niemals verlassen wird.

The girl from the other sideWhere stories live. Discover now