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Immer wenn das Training nicht zu lange geht, gehe ich in den nächsten Tagen mit Jordan raus.

Sie zeigt mir die schönsten Orte der Stadt und mir fällt auf, dass ich meine heile Diamantenwelt noch nie wirklich verlassen habe. Meine Eltern sind nie groß mit mir rausgegangen und wenn, dann nur in die großen Parks. Jordan zeigt mir all die kleinen, versteckten Dinge, die man leicht übersehen kann. An einem Freitag nimmt sie mich mit zu einem alten Bahnhofsgebäude.

„Hier war ich früher oft und habe stundenlang gezeichnet", erzählt sie und hilft mir auf eine Erhöhung zu klettern. Vor einer großen Steinwand bleiben wir stehen und ich kann den Anblick kaum fassen. Bunte Farben und Formen zieren den Stein, es sieht unglaublich schön aus. „Wow", bringe ich nur heraus und Jordan grinst. Dann öffnet sie ihren Rucksack, holt eine Spraydose heraus und wirft sie mir zu. Verwirrt fange ich sie und blicke ihr in die Augen: „Was wird das?" Sie schmunzelt und zeigt auf die Wand: „Es ist noch unvollendet. Na los, tob dich aus." Ich betrachte das große Bild und sehe dann wieder zu meiner Freundin. „Ich bin künstlerisch eine absolute Niete", gestehe ich. Jordan grinst nur und zieht mich an der Hand zur Wand. „Dann helfe ich dir", haucht sie mir in den Nacken, als sie sich hinter mich stellt. Gänsehaut breitet sich sofort über meinen Rücken aus. Sie legt ihre Hand auf meine und führt damit die Dose. Tatsächlich schafft sie es einen halbwegs gelungenen Diamanten zu sprühen. Ich muss lachen und schubse sie leicht: „Musste es unbedingt so was sein?" Jordan erwidert mein Lachen, stemmt ihre Hände neben meine Schultern gegen die Wand und küsst mich. „Ja, es musste sein", flüstert sie und löst sich wieder etwas von mir.

Sofort ziehe ich sie an ihrem Shirt wieder zu mir und vertiefe den Kuss. Durch den Schwung stoße ich mit dem Rücken gegen die Wand. Jordan lacht und zieht mich in ihre Arme, weg von der Wand. „Du bist so blöd", meint sie grinsend und erst jetzt fällt mehr auf, dass ich mich gegen die frische Farbe gelehnt habe. „Lach nicht", sage ich und haue Jordan gegen ihren Arm. Schnell ziehe ich meine Jacke aus und verziehe das Gesicht, warum musste ich auch weiß anziehen. Jordan lacht immer noch und steckt mich damit an. „Arsch", meine ich zu ihr und sie greift nach meiner Hand. „Ach komm, du Diva", neckt sie mich und bringt mich automatisch zum Lachen. „Ich hasse dich", meine ich und tue so, als würde ich schmollen. „Ich weiß", erwidert sie nur grinsend und legt ihre Lippen auf meine. Wir bleiben noch einige Stunden draußen und ich genieße jede Sekunde. Mit Jordan fühle ich mich genau so, wie ich mich fühlen möchte. Es ist so, als hätten mich mein ganzes Leben schwere Ketten am Boden gehalten. Jetzt sind sie verschwunden und ich fühle mich leicht und frei.

An einem anderen Tag bringt mir Jordan Skateboard fahren bei und Paul gesellt sich zu uns. Er ist wirklich ein netter Kerl und ich verstehe, was Jordan an ihm hat. Ich falle bei den Skateversuchen mehrmals hin und bringe die Beiden damit zum Lachen. "Ey, das tut echt weh", beschwere ich mich. Jordan grinst und nimmt meine Hände in ihre: "Keine Angst, ich bin da. An der Royal bestehen die Menschen ja bekanntlich nur aus Gold und Zucker." Ich verdrehe die Augen, muss aber auch lächeln, als sie über die Schürfwunden pustet. Sie sieht mir in die Augen und zwinkert mir unbemerkt zu. Wenn sie wüsste, was diese kleine Geste in mir auslöst. Neben uns ertönt ein Knall und im nächsten Moment sehe ich Paul auf dem Boden liegen. Er hat eine der größeren Rampen versucht und ist kläglich gescheitert. Wir lachen über ihn und nachdem er uns böse angestarrt hat, stimmt er schließlich mit ein.

Ich wünschte dieses Jahr würde nie enden.

POV Jordan

Die letzte Woche war eine der schönsten meines Lebens. Am Montag in der Schule trifft mich allerdings wieder der triste Alltag. Ich muss einige Klausuren nachschreiben, die ich wegen meiner Reha verpasst habe. Zum Glück kann ich aber auch zum ersten Mal wieder zum Training gehen. Die Jungs begrüßen mich herzlich und mit einer extra üblen Einheit.

In einer Pause stehe ich mit Paul bei Liam und Cole. „Geht ihr zu Halloween Party der Fuzzis?", fragt Liam uns, obwohl ich genau weiß, dass er damit vor allem Paul meint. Die beiden treffen sich jetzt schon mehrere Monate heimlich und meinem besten Freund geht es damit nicht wirklich gut. „Denke schon, kostenloser Alkohol ist immer gut", erwidere ich, weil Paul keine Miene verzieht. Cole grinst: „Ja und die Mäuschen da drüben sind auch nicht schlecht." An unserer Schule und vor allem im Footballteam ist es ein gängiger Scherz über die Leute der Royal zu fantasieren. Wir denken uns meistens skurrile Sachen aus, die die Reichen vermutlich hinter verschlossenen Vorhängen treiben.

„Sarah war nicht schlecht, aber die Eiskönigin ist viel besser", meint Cole und leckt sich die Lippen. Meine Hand ballt sich automatisch zur Faust, als er über Jane redet. Paul bemerkt meine Anspannung wohl, denn er legt seinen Arm über meine Schulter und meint: „Die ist wohl nicht deine Liga." Cole lacht nur und zwinkert: „Meiner ist größer als der von James. Sie wird schon früh genug in meinem Bett liegen." Zum Glück läuft er zurück zu den anderen, länger hätte ich mich nicht zusammenreißen können. Mein Kiefer tut weh, weil ich ihn so sehr angespannt habe. „Beruhig dich, der labert nur scheiße", murmelt Paul, als Liam auch weg ist.

Ich nicke und schnappe mir meinen Helm, jemanden zu rammen, ist jetzt genau das, was ich brauche.

The girl from the other sideWhere stories live. Discover now