30.

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Lynn und ich zerbrechen uns täglich den Kopf darüber, wie ich Jordan beweisen kann, dass sie mir alles bedeutet.

Ich weiß, dass ich nur eine Chance habe und sie nicht versauen darf. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob sie mir jemals noch eine Chance geben wird. Ich weiß aber, dass ich alles versuchen werde, um sie wiederzubekommen. An diesem Wochenende ist blöderweise der Winterball und ich muss mit meinen Eltern hingehen. Jedes Jahr Mitte November wird eine riesige und teure Veranstaltung auf die Beine gestellt, auf die ich immer mit Josh gegangen bin. Unsere Schule ist stolz auf die Traditionen und meine Eltern würden nie zulassen, dass ich zuhause bleibe. Also ziehe ich mein Kleid an und versuche, eine gute Miene aufzusetzen. Ich weiß noch, wie ich mir das Kleid im Sommer gekauft hatte. Es war noch vor dem Camp gewesen und ich hatte dabei schon an die schöne, glamouröse Nacht mit Josh gedacht. Ich hatte daran gedacht, wie uns alle beneiden würden, weil wir das perfekte Paar waren. In diesem halben Jahr seitdem hat sich so viel verändert, habe ich mich so sehr verändert. Ich bin mir sicher, dass ich ein besserer Mensch bin und das nur durch ein Mädchen, das mir gezeigt hat, wie verflucht egal Geld ist.

Wir fahren ausgerechnet mit den James zusammen hin und Josh setzt sich extra dicht zu mir. Vor meinen Eltern kann ich nicht zeigen, wie unangenehm mir die Situation ist. Also rede ich einfach möglichst wenig und bin froh, als wir schließlich ankommen. Ich flüchte gleich zu Lynn und meinen Freundinnen und tanze mit ihnen ein wenig. Der Abend zieht sich ewig in die Länge und ständig reden Leute über meine tolle Zukunft. Alles ist edel und elegant, aber wenn man ehrlich ist, auch unglaublich steif. Ich muss an Jordan denken, die diese Veranstaltung hassen würde und muss leicht schmunzeln. Dann spüre ich, wie sehr ich das Mädchen mit den dunkelbraunen Augen vermisse und mein Ausdruck wird wieder ernst. Nach dem nächsten Song tritt der Direktor auf die Bühne und hält eine Rede. Zum Schluss verkündet er schließlich die Ballkönigin und wie im letzten Jahr fällt mein Name. Gequält blicke ich zu Lynn, die mir aufmunternd zunickt. Das letzte, was ich jetzt will, ist auf diese Bühne gehen. „Na los, Schatz", meint meine Mutter hinter mir und schiebt mich ein Stück vor. Mir bleibt sowieso nichts anderes übrig, also gehe ich auf die Bühne. Dort setzt der Direktor mir die Krone auf und ich darf zum Mikro gehen. Ich überfliege all die Gesichter, die mich gespannt ansehen und seufze. Diese Schule ist nicht ansatzweise das, was sie vorgibt zu sein. In mir fälle ich eine Entscheidung, die ich schon viel früher hätte aussprechen müssen. 

„Die Royal steht für Ehre, Edelmut und Wahrhaftigkeit", sage ich in das Mikro und einige jubeln zustimmend. „Ich denke, dass jeder einzelne hier versucht diesen Normen zu folgen, doch es ganz bestimmt nicht schafft. Ich jedenfalls hab es nicht geschafft, weshalb ich diese Krone auch nicht verdient habe."

Ein Raunen geht durch die Menge und das Lächeln meiner Mutter verschwindet. „Mr. und Mrs. James, Josh war lange ein guter Freund für mich und er wird bestimmt Ballkönig. Sie können stolz auf ihn sein, aber er hat dem Mädchen, das ich liebe, vorsätzlich das Bein gebrochen. Also tut es mir leid, aber ich werde nicht mehr zum Essen kommen." Joshs Eltern sehen ihren Sohn mit verwirrten Blicken an und wirken beschämt.

Also wende ich mich an meine Eltern: „Mom, Dad, ihr habt richtig gehört. Ich liebe ein Mädchen und bin stolz darauf. Und noch stolzer bin ich darauf, dass sie nicht zu der Elite der Stadt gehört, sondern ein ehrlicher, liebevoller und bodenständiger Mensch ist. Ich weiß ihr werdet Zeit brauchen, um das zu verstehen, aber ich bin immer noch der gleiche Mensch, den ihr großgezogen habt." Meine Mutter ist kreidebleich, mein Vater wirkt überrascht, aber nicht erbost. Bevor mir Tränen kommen, wende ich meinen Blick schnell ab.

„Und als letztes, Lynn. Du bist diejenige, die diese Krone wirklich verdient hat. Genauso wie du die wahre erste Cheerleaderin bist. Es wird mir eine Ehre sein unter dir zu spielen." Mit diesen Worten werfe ich meiner besten Freundin die Krone zu und sie fängt sie mit einem begeisterten Grinsen. Ich weiß genau, dass sie gerade wirklich stolz auf mich ist und das bin ich auch. Ich verlasse die Bühne mit schnellen Schritten, im Saal beginnt ein reges Getuschel. Lynn kommt zu mir, umarmt mich und meint: „Verschwinde so schnell du kannst, ich halte deine Eltern auf." Ich lächele und drücke ihr einen Kuss auf die Wange: „Danke, für alles." Sie nickt nur und schubst mich dann, um mich zum Gehen zu bringen. 

Ich renne durch die kühle Nachtluft und fühle mich so frei, wie nie zuvor. Für Mitte November ist es wirklich noch mild und ich bekomme nur eine leichte Gänsehaut auf meinen nackten Armen.  Ich weiß genau, wohin ich will und muss dafür nur noch etwas von zuhause holen. Ich schnappe mir den Beutel, den Jordan einmal bei mir gelassen hat und laufe, ohne mich umzuziehen, los. Als ich beim verlassenen Bahnhof ankomme, bin ich völlig außer Atem. Es ist ein bisschen gruselig, doch ich bin viel zu entschlossen, um Angst zu haben.

Ich mache meine Handytaschenlampe an und beginne zu sprühen.

The girl from the other sideWhere stories live. Discover now