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Die Aussicht war grandios. Man sah weit über die spriessenden Felder, erst im finsteren Wald verlor sich der Blick. Das Wetter heute war auch beinahe perfekt. Die Sonne brannte nicht wie Feuer und doch erleuchtete sie jeden Winkel. Jedes Blatt, jeder Ast, jeder noch so kleine Grashalm glitzerte golden und so sorgen die Sonnenstrahlen für einen magischen Glanz über der Landschaft. Vereinzelte Wolken zierten den blauen Himmel, durch den Vögel ihre Bahnen zogen. Im Wind lag der frische Duft des Frühlings. Blumenknospen zeigten sich, wo man hinsah und die Bäume erfanden ihre grünen Gewänder neu. Es war ein Tag, wie in keiner Beschreiben konnte. Ein Tag, dessen Stimmung gerade zu nach einem sorgenlosen Picknick schrie, nach Kindern, die sich auf den Wiesen tollten und Erwachsenen, die sie mit einem stolzen Lächeln beobachteten.

In Mitten dieser Pracht sassen ein Junge und ein Mädchen. Nah beieinander, ihre kleinen Finger ineinander verschlungen. Der Tag schien perfekt, er forderte Glückseligkeit und doch sah man in den Gesichtern der beiden nichts, was auf den Frohsinn hindeutete, den man bei Kindern ihres Alters erwartete. Im Gegenteil. Das Mädchen war blass und der Junge sah auch nicht gesund aus.

„Kommst du mich mal besuchen?", wollte das Mädchen wissen. „Mal sehen", entgegnete er. Den Blick abwesend in die Ferne gerichtet. „Bitte. Versprich es mir!", flehte sie. „Anne...", wich er aus, in der Hoffnung einen letzten Augenblick des Schweigens geniessen zu können. „Bitte!" Anne wollte nicht aufgeben. Sie würde nicht aufgeben, bis er einwilligte. „Ich will dich nicht mit dem König sehen", brach es schliesslich doch aus ihm heraus. Harte Worte, die des Mädchens Herz unaufhaltsam in Stücke rissen. Ihre Augen glänzten verräterisch. „Dann komm, wenn er nicht da ist. Dann brauchst du ihn nicht zu sehen. Versprochen?"

„Ich..." Aramis' Stimme verlor sich in der Frühlingsluft. Anne gab auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht drängen." Mit dem letzten Rest von Stärke raffte sie ihr Sommerkleid zusammen, löste ihre Hand aus seiner und stand auf, wandte sich von ihm ab, leise weinend. „Anne?" Keine Antwort. Nur Tränen, die lautlos über ihre blassen Wangen rollten. „Anne? Ich verspreche es dir."

Sie schluchzte auf und er nahm sie fest in die Arme. Drückte sie an sich, als gäbe es kein Morgen mehr. „Ich werde dich so vermissen. So, so fest", schluchzte sie in sein Hemd. „Ich dich auch." Sie hielten sich einfach fest, standen in der Frühlingssonne. Die Zeit war schnell vergangen und aus den Kindern mussten Erwachsene werde. Doch in diesem gemeinsamen Moment war es einzig und allein die kindliche Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen, die das Mädchen und den Jungen vor dem Verzweifeln rettete.

Die Stimme von Monsieur Debarrie zerriss die Stille. „Anne? Es wird Zeit!", informierte er seine Tochter. „Ich komme gleich", rief sie mit schwacher Stimme zurück. „Ich kann so nicht gehen", meinte sie und deutete auf ihr verweintes Gesicht. Aramis tupfte mit der Spitze seines Ärmels ihre Tränen weg, strich eine Strähne zurück und richtete die Halskette. „Du bist wunderschön. Auch so."

„Danke", schniefte sie leise. „Ich muss jetzt gehen." Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Als sie eine Viertelstunde später in die Kutsche stieg, ihrem neuen Leben mit gemischten Gefühlen entgegen fuhr, stand Aramis noch immer im Garten, eine Hand an seine Wange gelegt. Er musste Anne gehen lassen. Doch der Gedanke, auf ihr fröhliches Lachen für immer verzichten zu müssen, lastete unerträglich auf seinen Schulter, sodass er wusste, dass er sie wiedersehen würde. Er wusste es. Das Schicksal würde ihn und seine Anne zueinander führen.

Er sollte Recht behalten.

Das Leben einer KöniginWhere stories live. Discover now