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Die Kutsche fuhr vor das grosse Tor. Anne staunte nicht schlecht über das, was sie durch das Fenster sah. Das Schloss war noch grösser als erwartet, die Blumen noch prächtiger, das Gefolge noch vielzähliger.

Doch viel Zeit für Bewunderung blieb ihr nicht. Die Türe wurde geöffnet und schick gekleidete Diener halfen ihr auszusteigen. Eine missmutig dreinblickende Zofe verbeugte sich steif und führte sie ins Schlossinnere. Der Louvre war ein imposantes Bauwerk, von Aussen wie auch von Innen.

„Mademoiselle, ich werde Sie in Ihre Gemächer führen, wo sich dann einige Zofen um Ihr Aussehen kümmern. Ihre Garderobe wird aussortiert, ein Schneider wird Ihre Masse nehmen und Kleider anfertigen, die dem Hof angemessen sind." Sie rümpfte die Nase, während sie Annes Aufzug musterte. Diese fühlte sich noch unwohler als zuvor und versuchte sich möglichst klein zu machen. „Halten Sie den Rücken gerade!", schnauzte die Mürrische.

Als sie endlich die Gemächer erreichten und sich nettere Zofen um sie kümmerten, war Anne so erleichtert, dass sie lächeln musste. Vielleicht würde es hier gar nicht so schlimm werden, dachte sie.

Nach einem ausgiebigen Bad steckten die Zofen sie in ein wunderschönes, zartblaues Kleid. Es war nicht auf Anne geschneidert, sondern schon im Voraus ungefähr auf ihre Grösse genäht worden, sodass sie, bis ihre Kleider von Schneider fertig waren, auch angemessen gekleidet war. An einigen Stellen sass das Kleid nicht ganz richtig - offenbar hatte man sie auf etwas grösser und molliger geschätzt - aber die Zofen kaschierten das mit Stecknadeln an den richtigen Stellen. Sah man nicht ganz genau hin, fiel einem nicht auf, dass der Saum etwas zu lang und die Taille etwas zu breit geschnitten waren.

Bewundernd stand Anne vor dem Spiegel. Sie hatte sich noch nie als schön empfunden, aber jetzt, in diesem Aufzug, die Haare hochgesteckt, im blauen Kleid und eine funkelnde Kette um den Hals, glaubte sie Aramis, dass sie schön sein konnte.

Aramis. Annes Lächeln verschwand und Tränen wollten wieder über die Wangen kullern. Doch sie riss sich zusammen und sagte sich, dass er sie bestimmt bald besuchen würde. Er hatte es versprochen.

∗∗∗

„Hier entlang, Mademoiselle." Leider durfte nicht eine der lieben Zofen sie zum Abendessen führen. Dies war wohl die Aufgabe der Missmutigen. Trotzdem traute sich Anne nicht, die Zofe wegzuschicken. Sonst hätte sie sich nie zurechtgefunden in diesen Gängen.

Ein Stimmengewirr drang um die Ecken. Elegant gekleidete Herren folgten nach. Keines der Gesichter hatte Anne je gesehen. Alle waren alt, hart und zerfurcht. Nur einer war noch jung und hatte noch etwas wie ein Funkeln in den Augen. „Dies muss der König sein", dachte Anne und verbeugte sich, wie es sich gehörte. „Willkommen im Louvre, Mademoiselle Debarrie", sagte der König. „Meine Herren, ich darf Ihnen meine zukünftige Ehefrau und Königin von Frankreich vorstellen."

Schlagartig erstarb das Gemurmel der Greisen und alle Blicke musterten Anne von Kopf bis Fuss. Keiner lächelte und Anne hatte das Gefühl, dass jeder nach ihren noch so kleinen Fehler suchte. Jetzt fühlte sie sich nicht mehr schön, sondern blossgestellt und erniedrigt. Kein angenehmes Gefühl. Die Herren begutachteten sie als Objekt, als Gaul, den sie zu kaufen überlegten.

Doch dann schenkte ihr der König ein warmes Lächeln und bedeutete seinen Beratern ihm zu folgen. So verschwand die Meute und Anne gestand sich ein, dass der König doch freundlich und zuvorkommend war. Er schien gespürt zu haben, dass ihr die Blicke der Männer nicht gut taten. Er war also auch einfühlsam. Möglicherweise liess es sich mit ihm noch ganz gut leben. Vielleicht konnte sie mit ihm sogar glücklich werden. Auch wenn es sich bei ihm nicht um Aramis handelte.

Das Leben einer KöniginWhere stories live. Discover now