1631

5.3K 469 41
                                    

Constance trat mit einem neuen Kleid auf dem Arm in die Gemächer ein. Kirschrot fiel der edle Stoff über ihre Arme. Behutsam strich die Zofe über die teure Spitze. Anne hatte sie einmal ein solches Kleid anprobieren lassen. Sie hatte sich gefühlt wie eine Prinzessin. Nein, wie eine Königin.

Doch nachdem sie sich ihrem Anblick für wenige Minuten erfreut hatte, musste sie feststellen, dass ihr das Atmen nicht mehr leicht viel. Eingeengt hatte der Stoff sie. Anne hatte ihre Zofe wieder aus dem anmutigen Gefängnis befreit. „Fühlst du dich auch so?", hatte Constance wissen wollen und von ihrer Herrin ein bestätigendes Nicken erhalten. „Wie eine eingeschnürte Weihnachtsgans", hatte Anne noch hinzugefügt und mit einem schelmischen Lächeln ihre Hilflosigkeit zu überspielen versucht.

Seit diesem Erlebnis wünschte sich die Zofe nie wieder, die Kleider der Königin tragen zu dürfen. Im Gegenteil. Sie hatte heimlich ein paar Sommerkleider aus der Stadt ins Schloss geschmuggelt, die sich für Gattinnen von Herrschern vielleicht nicht ziemten, aber dafür allemal angenehmer zu tragen waren.

In Gedanken versunken betrat sie das Schlafzimmer. Sie erblickte ihre grossherzige Königin an ihrem Schminktisch sitzend. Den Blick aus dem Fenster in die Ferne gerichtet. Als sie die Tränen auf dem Gesicht ihrer Freundlich erblickte, liess sie das teure Kleid achtlos auf den Boden fallen und lief zu Anne.

„Was ist denn passiert?", fragte sie geschockt und gleichzeitig peinlich berührt, weil sie solange gebraucht hatte, um auf den Kummer aufmerksam zu werden. „Seit drei Monaten habe ich keinen Brief mehr erhalten." Die Königin sprach ohne Gefühle. Als wäre jegliches Leben aus ihrer körperlichen Hülle gewichen. „Aber Madame, es kommt bestimmt bald ein", versuchte Constance sich an positiven Gedanken festzuklammern. Das Leid ihrer langjährigen Freundin war auch ihr Leid.

„Ich dachte, er wäre tot", gab Anne zurück. Die Tränen versiegten in ihren Augen, die stumpf aus ihren Höhlen starrten. „Du dachtest?", bohrte die Zofe nach. „Dann ist er es nicht? Das ist doch eine gute Neuigkeit!" Ihr aufmunterndes Lächeln erwiderte die Königin mit keiner Regung.

Die Traurige schüttelte den Kopf und die Tränen begannen wieder über ihre fahlen Wangen zu rollen. Sie schluckte schwer, rang um Fassung. Doch ihr sonst so starkes Gemüt schien die Kontrolle verloren zu haben.

„Hast du es noch nicht gehört?", presste sie schliesslich hervor. Nicht lauter als das Rauschen des Windes. „In England gibt es eine Frau namens Milady de Winter. Sie soll wunderschön sein, aber auch gefährlich. Alle Männer liegen ihr zu Füssen, weil sie auch mit einem Degen umgehen kann. Aramis ist in England."

„Aber das ist doch ein Zufall", wandte die Zofe ein. „Ist es auch ein Zufall, dass sich diese Milady einen neuen Geliebten angeschafft hat, der Aramis heisst und ein Musketier ist?"

Annes Stimme brach. Ihre Freundin nahm sie fest in die Arme. Sie konnte jetzt nichts sagen, was den Schmerz hemmen würde. Denn auch wenn sie aus tiefstem Herzen überzeugt war, dass Aramis diese Milady de Was-auch-Immer nicht liebte, konnte sie ihr Gefühl mit nichts beweisen, was der Königin ihren Kummer nehmen würde.

Das Leben einer KöniginWhere stories live. Discover now