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Mit diesem Dokument verfügt der Regentschaftsrat, dass der Paragraph des Testamentes des verstorbenen Regenten Louis XIII, welcher besagt, dass die Königin Anne d'Autriche ihren Sohn, den Prinzen Louis, nicht sprechen, sehen oder anderweitig mit ihm in Kontakt treten darf, aufgehoben wird, sobald Prinz Louis sein Amt als König antritt.

Mit zitternden Finger barg Anne das kostbare Papier in ihren Händen. Es war nicht die originale Verfügung, aber auch diese Abschrift bedeutete für die Königin und zugleich Mutter mehr, als sie ausdrücken konnte. Sie lächelte selig und strich behutsam über die abgeknickten Ecken.

Aramis beobachtete sie und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr der Verlust ihres Sohnes seine Königin belastet hatte. Er verstand nichts von ihren Gefühlen. Er wusste was Verlust bedeutete; nicht wenige seiner Freunde bei den Musketieren hatten für ihr Land das Leben gelassen. Aber er konnte die Dimensionen des Schmerzes nur erahnen, den sie durchlitten hatte wegen der Trennung von ihrem Kind.

Aramis selbst wusste nicht, wie es sich anfühlte für ein Kind da sein zu müssen, aber es nichts zu können. Manchmal stellte er sich vor eines Kindes Vater zu sein und der Gedanke ängstige ihn gleichermassen, wie es ihn mit Glückseligkeit und Zufriedenheit erfüllte.

Früher plagte ihn nachts die Gewissheit, dass er niemals die Freuden des Vaterseins geniessen würde. Früher liess ihn diese Tatsache schweissgebadet und tief unzufrieden aus dem Schlaf schrecken. Doch mittlerweile hatte er sich damit abgefunden, dass ihm dieses Glück nicht vergönnt sein würde.

Natürlich hätte er sich ein nettes Mädchen suchen können. Er hätte sie in nette Restaurants ausführen können, vielleicht sogar ins Theater. Er hätte sie sonntags während der Messe mustern und sich fragen können, wie er dieses engelsgleiche Geschöpf nur verdient hatte. Er hätte ihr den alten Ehering seiner Mutter an den Finger stecken können. Er hätte mit ihr Kinder auf die Welt setzten können, die ihn ihren Vater nennen würden. Vielleicht hätte er mit seiner Frau und seinen Kindern in einem kleinen Haus auf dem Land glücklich werden können.

Doch Aramis verwarf all diese Hirngespinste immer und immer wieder. Denn er wusste, dass er mit dieser Frau, den Kindern und dem kleinen Haus auf dem Land niemals richtig glücklich geworden wäre.

Das Schicksal hatte gewollt, dass er Anne kennen und lieben lernen. Und solange nicht sie seine Frau und Mutter seiner Kinder sein konnte, verweigerte er sich diesen Genüssen ohne Bedauern. Der Tag, an dem er bereuen würde, dass er Anne liebte, würde der Tag sein, an dem die verstorbenen Herrscher eigenhändig aus dem Himmel auf die Erde stiegen und ihn in die Knie zwangen - nein, nicht mal dann könnte er seine Liebe bereuen; nicht einmal dann.

„Du hast es geschafft, Anne", flüsterte er an ihrem Ohr. Ihr Lächeln wurde noch breiter und sie lehnte sich an seine starke Schulter. Sie schloss die Augen und genoss seine beruhigende Nähe. „Ja, aber nur dank Constance. Ihr Kampfgeist hat mich gestärkt. Und du auch. Du hast mich immer unterstützt und nie an mir gezweifelt, obwohl ich selbst vor lauter Zweifel mehrmals fast aufgegeben habe."

Zärtlich strich er ihr über das blonde Haar. Seine Finger strichen über die Strähnen und über ihre Wangen. Er kostete jeden Moment ihrer Anwesenheit aus, da er nicht wusste, wann ihnen wieder die traute Zweisamkeit vergönnt war. „Du bist eine starke Frau, Anne. Du hättest mich nicht gebraucht."

Ruckartig drehte sie sich von ihm weg. „Du bist ein Narr, wenn du das glaubst", schalt sie ihn. Aramis zuckte zurück und senkte seinen Blick auf den Boden. „Sieh mich an", forderte die Königin. Er ging ihrem Befehl nach und sie legte ihre zarten Hände an beide Seiten seines Gesichtes. Ihre samtene Haut liebkoste seine rauen Wangen.

„Ich brauche dich immer, Aramis. Immer."

Das Leben einer KöniginWhere stories live. Discover now