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Für HappyPaty, zur allgemeinen Aufmunterung und weil ich bei dir Vorab-Lesen durfte. Sieh das als unauffälligen (hust) Wink, um mir bald mehr Lesestoff zu liefern!

Zart berührten sich ihre Schultern. Eine Berührung, die nicht mehr war als ein Hauch. Und doch fühlten sie beide die Wärme, die von ihren Schultern in ihre Körper ausbreitete. Sie rührten sich kaum, um keine Sekunde des Gefühls missen zu müssen. Dieses Gefühls beieinander sein zu können. Ohne eine Leibgarde im Rücken, die sie festzunehmen drohte. Ohne einen königlichen Gatten, der vor Eifersucht raste. Ohne jegliche Verantwortung und ohne Titel. Hier nebeneinander im Gras lag keine Königin und kein Musketier, sondern einfach nur Anne und Aramis.

Der weite Sternenhimmel breitete sich über ihren Köpfen aus. Hungrig erstreckte sich die schwarze Ewigkeit soweit das Auge sehen konnte. Nichts schien sie aufhalten zu können, nichts schien sie durchbrechen zu können. Und doch genossen Anne und Aramis den Anblick. Denn obwohl die Nacht alles zu verschlucken drohte, leuchteten die Sterne hell. Sie waren Inseln des Lichts, ein Rettungsanker für alles, was sich im Weltraum verirrte. Sie wiesen Verlorenen den Weg. Sie zeigten Anne und Aramis, dass sie hell leuchten konnten, eben gerade weil das Schwarz um sie so dunkel war. Sie waren der Beweis, dass Anne und Aramis' Liebe trotz der Dunkelheit, die nie vollkommen verschwinden würde, hell leuchten würde. Für die Ewigkeit.

„Erzählst du mir eine Geschichte?", bat sie ihn. „Wenn du dir eine wünscht, werde ich dir gerne eine erzählen, doch du musst mir verraten, was für eine Geschichte du hören möchtest", entgegnete er liebevoll. „Ein Märchen", entschied sie. „Ein Märchen über die Liebe." Er lachte leise. „Du hattest schon immer eine Schwäche für Märchen." Sie kicherte ebenfalls. „Ich hätte auch schon immer eine Schwäche für die Liebe", ergänzte sie und lächelte ihm zu. Er erwiderte ihr Lächeln, weil er wusste, dass er es war, dem ihre Liebe gehörte. „Kennst du die Geschichte von der Prinzessin und dem Künstler?", fragte er. Sie schüttelte den Kopf und er räusperte sich, bevor er in seiner klarsten Stimme zu erzählen begann.

Es war einmal eine Prinzessin, die mit der schönsten aller Stimmen beschenkt war. Ein jeder, der ihre Stimme vernahm, vermochte sie nicht wieder zu vergessen; so schön sang sie.

Als die Prinzessin eines lauen Sommerabends durch den Schlossgarten spazierte und eine Melodie summte, traf sie auf einen jungen Künstler. Im Gegensatz zu den anderen Männern sprang er nicht auf und überhäufte die Königstocher auch nicht mit Komplimenten. Verunsichert stimmte die Prinzessin ihr Lieblingslied an, doch der Künstler ließ nicht von seiner Arbeit ab.

Gleichermaßen gekränkt und neugierig unterbrach das Mädchen ihren Gesang. „Was tut Ihr da?", fragte sie den jungen Mann. „Ich lege ein Mosaik." Die Königstocher legte verwundert den Kopf schief. „Was ist ein Mosaik?" Zum ersten Mal blickte der Künstler auf und lächelte. „Ich verstehe von Worten nicht viel. Ich könnte meinem Handwerk nicht gerecht werden, aber weshalb seht Ihr es Euch nicht an?" Also sah es sich die Prinzessin an. Sie traute ihren Augen kaum, als sie die prächtige Arbeit des Jünglings betrachtete. „Ihr seid wahrlich ein Künstler", sprach sie.

In den folgenden Wochen verbrachte die Prinzessin ihre Tage im Garten und beobachtete den Künstler bei seiner Arbeit. Es dauerte nicht lange und die beiden verliebten sich. Als Zeichen seiner innigen Liebe schenkte der Künstler der Prinzessin eine silberne Kette mit einem ozeanblauen Mosaikstein in der Form eines Ovals, welche sie nie auch nur eine Sekunde ablegte.

Doch ihr Glück währte nicht lange. Der Künstler wurde in einer stürmischen Nacht verschleppt und ward nie wiedergesehen. In größter Trauer verstummte die Prinzessin; ihr Gesang war ihr zuwider.

Jahre vergingen, in denen edle Prinzen die Prinzessin um ihre Gunst baten, doch ein jeder wurde abgewiesen, ohne dass sich die Umworbene die Prinzen näher besah. Doch selbst das ärgerte die Königstochter und so schickte sie eine Zofe, welche die Geschenke entgegennahm und die Prinzen fortschickte.

Eines Abends schlich die Prinzessin einer Eingebung folgend in die Kammer, in der die Geschenke aufbewahrt wurden. Ihr Atem stockte, als sie ein prächtiges Mosaik ausmachte. Die Königstochter wusste, dass es nur einen Künstler gab, der eine solche Arbeit verrichten konnte.

In Windeseile befahl sie ihren Zofen noch heute eine Reisesänfte vorzubereiten, die sie zum Überbringer dieses Geschenkes bringen sollte. Zwei Tagesreisen voller Vorfreude später erreichte die Prinzessin das Schloss des besagten Prinzen. Bittere Enttäuschung bereitete sich auf ihrem Gesicht aus, als es sich bei dem Prinzen nicht um ihren geliebten Künstler handelte. Obwohl sie sich nichts mehr wünschte als ihre Heimreise antreten zu können, willigte sie ein im Schloss zu rasten.

Der Prinz schmeichelte ihr ununterbrochen während des Essens, doch das Einzige, was der Prinzessin Aufmerksamkeit weckte, waren die Mosaikböden, die sich durch die Räume des Schlosses erstreckten. „Von wem stammen diese Mosaikkunstwerke?", verlangte sie zu erfahren. „Von mir höchstpersönlich", behauptete der Prinz. „Wollt Ihr nicht für uns singen?", bat er sie. Die Prinzessin dachte einen Moment nach und besann sich einer List. „Nur wenn Ihr drei Bedingungen erfüllt."

„Alles, wenn ich Euch nur singen höre", erwiderte der Prinz unverzüglich. „Erst müsst Ihr mir ein Versprechen geben, dann müsst Ihr mir einen Wunsch erfüllen und zum Schluss müsst Ihr mir eine Frage beantworten." Der Prinz willigte freudestrahlend ein. So stimmte sie Prinzessin ihr Lieblingslied an, das sie einst für den Künstler gesungen hatte. Als sie endete, weinten die Frauen und die Männer räusperten sich verstohlen; so schön sang sie. „Nun zu meinen Bedingungen. Versprecht Ihr stets die Wahrheit zu sprechen?" Der Prinz versprach es. „Als zweites sollt Ihr ein weiteres Mosaik fertigen, das mein Antlitz zeigt."

Die Prinzessin quartierte sich mit ihrer Hofstatt in einem unbewohnten Flügel des Schlosses ein. Drei Tage darauf präsentierte der Prinz das verlangte Mosaik. Die Prinzessin verbarg ihre Freude, als sie das Kunstwerk erblickte. „So fordere ich mein letztes Recht ein. Seid Ihr der Künstler, der dieses Werk fertigte?" Der Prinz antwortete unverhohlen: „Gewiss."

„So seid ihr ein Lügner", sprach die Prinzessin. „Mein Ebenbild trägt eine silberne Kette mit einem ozeanblauen Mosaikstein in der Form eines Ovals. Diese Kette schenkte mir einst der Mann, dem meine ewige Liebe gebührt. Seit seinem Verschwinden trug ich die Kette keinen einzigen Tag. Ihr könnt unmöglich davon Kenntnis haben. Ich verlange den wahren Künstler zu sehen."

Voller Scham und Wut führte der Prinz die Königstochter in die Verliese. Dort, in einer kleinen Kammer, fand sie endlich ihren Künstler wieder. Mit einem glühenden Kuss der wahren Liebe besiegelten die Prinzessin und der Künstler das Versprechen nie wieder getrennt zu sein. In ewigem Glück wurde Hochzeit gehalten und wenn sie nicht gestorben sind, so schwelgen sie noch heute in Glückseligkeit und Liebe.

Aramis endete und Anne wusste für ein paar Minuten nicht, was sie sagen sollte. „Du bist mein Künstler", seufzte sie schliesslich und legte ihre Hand in seine. Er strich ihren zarten Fingern entlang, bevor eine seine mit ihren Fingern verflocht. „Du bist nicht meine Prinzessin", flüsterte er, um ihr dann einen Schmetterlingskuss auf die Lippen zu hauchen. „Du bist meine Königin."

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt