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Anne langweilte sich. Sie hatte sich das Leben als Königin anders vorgestellt. Nicht so eintönig und oberflächlich. Sie hatte gedacht, sie könnte auch ihre Meinung kundtun und etwas verändern, für das kämpfen, was ihr wichtig war, aber als sie einmal ihre Meinung geäussert hatte, hatte der ganze Saal gelacht. Sogar der König hätte über sie geschmunzelt, obwohl er normalerweise ein einfühlsamer und verständnisvoller Mann war.

Die griesgrämige Zofe hatte sie angeschnauzt wegen ihrem offenbar komplett falschen Benehmen. Seit diesem Tag hatte Anne nie wieder versucht für irgendetwas einzustehen. Nein, sie probierte den ganzen Tag Kleider, liess sich pflegen und hegen, empfing Gäste, falls es welche gab und liess die Männer entscheiden was richtig und was falsch war.

Ein kleiner Lichtblick gab es heute, denn obwohl sie es niemandem ein Leiden an den Hals wünschte, war sie doch erleichtert gewesen, als die mürrische Zofe vom Arzt für zu krank befunden wurde um weiter zu arbeiten. Gestern hatte man sie nach Hause kutschiert und schon heute würde eine neue Zofe eintreffen. Anne hoffte fest, dass diese vielleicht nicht ganz so alt und verbittert war, hegte aber nicht allzu grosse Hoffnungen.

„Madame? Die Neue ist eingetroffen. Man wird sie gleich zu Ihnen bri..." Weiter kam sie nicht, denn die Türe krachte auf und eine lustige Gestalt trat ein. Die Haare gelockt und aus der Frisur gelöst, das Kleid eindeutig zu klein und ein paar Löcher zierten die Schuhe.

Doch alles andere als alt, verkniffen oder griesgrämig. Im Gegenteil. Die Neue musste noch jünger sein als Anne selbst. Sie sah strahlend zur Königin hin und verbeugte sich etwas ungelenk. Sie sah lustig aus, fand Anne, frech und eigensinnig. Anne hoffte, dass diese Neue noch lange bleiben konnte, mit ihr würde bestimmt etwas los sein.

„Madame, mein Name ist Constance und ab morgen stehe ich zu Ihren Diensten", sagte sie höflich. „Nenn mich Anne", wünschte sie. „Aber Madame, ich darf Euch doch nicht beim Vornamen nennen!", wehrte sich die Lustige halbherzig. „Doch, denn ich gebe dir die Erlaubnis und ich fände es auch schön, wenn du nicht Euch und Sie zu mir sagen würdest. Das wäre einmal eine Abwechslung."

Constance war sichtlich verwirrt. Wahrscheinlich hatte man ihr eingeschärft, dass es sich nicht ziemte eine Königin zu duzen oder gar beim Vornamen anzusprechen. Aber schliesslich willigte sie ein, die Königin mit Anne anzusprechen und wenn niemand anwesend war auch zu duzen. Aber nur dann - sobald andere dabei waren, wollte sie nicht ihre Stelle am Hof riskieren.

„Constance?" Die Königin lächelte beim Gedanken daran, dass sie vielleicht heute eine Verbündete gefunden hatte. „Ja... Anne?" Noch immer schüchtern sprach die Zofe den Vornamen ihrer Königin aus. „Hast du Lust mir heute beim Tee Gesellschaft zu leisten?" Die Augen der Zofe leuchteten auf. „Natürlich", jauchzte Constance. „Wohin soll ich kommen?" Anne überlegte einen Augenblick. „Zuerst soll dir Camille - die Zofe, die dich hierhergebracht hat - deine Räumlichkeiten zeigen und dann werde ich auf acht Uhr den Tee in meine Zimmer bestellen."

„Ich freue mich", sagte Constance ernsthaft und knickse kurz bevor sie den Raum mit Camille verliess. Anne lächelte. Jetzt war sie sich sicher, dass sie mit Constance eine richtige Freundin gewann.

∗∗∗

Anne kicherte, als Constance ihre Erlebnisse von einem Jahrmarkt übertrieben gestikulierend schilderte. So einen Jahrmarkt mit Ständen und allem drum und dran würde Anne auch gerne mal besuchen. Das sagte sie Constance auch. „Du warst noch nie auf einem Jahrmarkt? In Paris gibt es immer wieder welche. Wenn einer kommt, dann gehen wir zusammen hin, versprochen!" Anne grinste, hoffentlich gab es bald einen.

„Constance, dein Leben war doch schön. Weshalb wolltest du weg von zu Hause und hier am Hof arbeiten?" Die junge Frau voller Elan faszinierte Anne und sie wollte mehr erfahren. „Ach das", seufzte die Gefragte. „Weisst du, ich entscheide gerne selbst für mich, was ich mache und wen ich mag. Ich möchte frei sein."

„Dann bist du hier aber am falschen Ort", meinte Anne verbittert. „Meine Familie hat mir einen Mann ausgesucht. Er ist schon ein netter Mensch, aber ich liebe ihn nicht und ich möchte nicht heiraten. Kannst du dir das vorstellen? Ist doch schrecklich so etwas", erklärte die Zofe. „Ja, das ist es", entgegnete Anne härter als geplant.

Constance erschrak. „Oh entschuldige, ich habe nicht überlegt. Ich spreche immer viel zu viel und denke nicht nach, was ich sage", ratterte sie herunter. Anne zwang sich zu einem sanften Lächeln. „Das macht doch nichts, Constance, ich wäre froh jemanden zu haben, mit dem ich reden kann. Über alles." Ihre Zofe nahm sie bei der Hand. „Mit mir können Sie - ich meine - kannst du reden. Ich werde bestimmt nichts weiter erzählen. Wem auch? Ich kenne doch noch niemanden." Sie zwinkerte leicht. „Danke, das ist wirklich nett von dir. Wolltest du einfach noch nicht heiraten oder gab es da jemanden bestimmtes, der dich davon abgehalten hat?"

Anne wartete gespannt. Ob Constance so viel von sich erzählen würde? „Nun, es gab immer wieder Männer, die an mir interessiert waren, aber die waren alle entweder viel älter als ich oder eklig. Manche sogar beides zusammen!" Constance merkte, dass Anne beinahe enttäuscht zu sein schien. „Ich habe in meinem Leben erst einen geliebt", erzählte sie weiter. „Er war immer zuvorkommend, freundlich, charmant und er sah auch nicht schlecht aus. Er brachte Blumen mit und er hatte dieses niedliche Lächeln, das bis in seine Augen reichte." Ein schwärmerisches Lächeln legte sich auf Constances Lippen.

„Was ist passiert?", fragte Anne weiter. „Er hat geheiratet. Ein schwaches, kränkliches Mädchen, von dem niemand erwartete, dass sie überhaupt ihr zwanzigstes Lebensjahr noch erreichen würde. Aber er hat sie zur Frau genommen, sich um sie gekümmert, sie geliebt. Es ging ihr dann auch besser und vor einem halben Jahr hat sie ihm sogar einen gesunden und kräftigen Sohn geschenkt. Er hat ihr wirklich gut getan."

„Das tut mir Leid." Constance seufzte laut und sagte dann überraschenderweise: „Mir nicht. Anfangs schon, immerhin hatte ich geglaubt, dass ich ihm eines Tages meine Unschuld schenken würde - "

„Du hast deine Unschuld schon verloren?!", kreischte Anne auf. „Nein! Für was hältst du mich denn? Aber ich werde sie nicht an ihn verlieren! Ich kann es auch anders sagen: Mir tat es Leid, weil ich dachte, dass er einmal mein Ehemann sein würde. Besser?" Anne nickte beruhigt. „Was ich sagen wollte, ist, dass ich froh bin, dass ich ihn nicht zum Ehemann habe, denn auch wenn er dieses charmante Lächeln hat, in das sich jede Frau verliebt, behandelt er Frauen immer nur wie Damen."

„Ist das nicht gut?", überlegte Anne. Sollte man eine Dame denn nicht wie eine Dame behandeln? „Nein, ich bin nicht so zerbrechlich, wie er mich immer behandelt hat. Ich möchte keinen Mann, der glaubt mich immerzu im Blickfeld haben zu müssen, immer glaubt, dass ich nicht fähig wäre eigene Entscheidungen zu treffen. Natürlich möchte ich einen Mann, der sich um mich sorgt und mich beschützt, aber er soll mich auch respektieren als freies und denkendes Wesen. Er soll sich auch trauen mit mir zu streiten, ohne Angst zu haben, ich könnte bei jedem lauten Wort gleich umfallen. Ich bin eine Frau, aber ich bin keine Porzellanpuppe!"

„Ich wünsche mir oft, ich wäre nicht Königin. Ich wünsche mir, ich wäre nicht schon von meiner Geburt dem Königshaus versprochen gewesen. Als Kind mochte ich die Vorstellung Königin zu sein, aber ich hatte ein völlig falsches Bild vom Leben einer Königin. Ich hätte zu Hause bleiben können und ein schönes Leben geführt mit..." Ihre Worte verloren sich im Nichts.

„Du hattest jemanden? Jemand, der dich geliebt hat? Jemanden, den du geliebt hast? Immer noch liebst?" Anne traten Tränen in die Augen. Bis jetzt hatte sie diese Liebe tief in sich vergraben und niemand hatte etwas bemerkt, aber offenbar las Constance in ihr wie in einem Buch. Also erzählte sie. Erzählte die ganze Geschichte, vom Anfang bis zum Schluss. Bis tief in die Nacht sassen die beiden Frauen da und Anne erzählte von Aramis. Von jedem noch so erdenklichen Detail, das sie über die Jahre tief in ihrem Herzen getragen hatte.

Das Leben einer KöniginWhere stories live. Discover now