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Der Louvre war noch immer ein imposantes Bauwerk, doch auch zwölf Jahre später vermochte die Architektur Aramis kein bisschen in ihren Bann ziehen. Das Einzige, was sein Interesse weckte, war, wer in diesem Schloss hauste. Und das war Anne. Seine Anne.

Sie wusste nicht, dass er hier war. Vor eben erst einer Stunde war er in Paris angekommen und auf dem schnellsten Weg zum Schloss geritten. Jetzt würde er erfahren, ob ihm Anne verzeihen konnte. Er traf im Garten auf Constance, die ihn prüfend musterte und ihn dann schweigend zu den Gemächern führte. Dass sie nicht mit ihm sprechen wollte, bestätigte seine Vermutung, dass er der Königin unfassbare Schmerzen zugefügt hatte. Er musste sich Constances Respekt wohl erst wieder verdienen. Im Moment hatte er aber Wichtigeres vor: Anne um Verzeihung bitten.

„Anne, Besuch für Euch. Ich warte draussen", rief die Zofe ins Zimmer und schloss die Tür von Aussen hinter sich. „Ich möchte keinen Besuch... Du?" Wie in Trance starrte sie ihn an. Als könnte sie nicht glauben, dass er tatsächlich und leibhaftig vor ihr stand. „Hallo, Anne. Hast du mich vermisst?", lächelte Aramis und streckte die Hand nach ihr aus. Anne zuckte zurück.

Erst nach einer endlosen Minute kam Leben in sie. „WILLST DU MICH AUF DEN ARM NEHMEN?! VERSCHWINDEST FÜR JAHRE, HAST EINE AFFÄIRE, KOMMST ZURÜCK UND FRAGST, OB ICH DICH VERMISST HABE? DU MACHST SCHERZE!", schrie sie und legte all ihren über die Jahre aufgestauten Frust in ihre Worte.

„Anne, es tut mir Leid", versuchte sich Aramis zu entschuldigen, doch er erreichte nicht viel. „Das ist alles? Es tut dir Leid. Und jetzt soll alles gut sein? Mit einem kleinen guten „Es tut mir Leid" alle Probleme aus der Welt schaffen? VERSCHWINDE AUS MEINEN AUGEN!"

„Lass es mich doch wenigstens erklären!", bat Aramis verzweifelt. „Ich höre." Ablehnend verschränkte Anne die Arme vor der Brust. Aramis wusste nicht wohin mit seinen Händen. Und er wusste auch nicht, wo er beginnen sollte. „Nun, ich darf dir nicht sagen, was genau ich gemacht habe, aber..."

„Toll", unterbrach sie ihn wütend. „Du erklärst es mir also, indem du sagst, dass du die Erklärung nicht aussprechen darfst?" Aramis nickte langsam. „Wenn du es sagst, klingt es ganz schön idiotisch von mir."

Aramis war sich nicht sicher, aber er glaubte Anne murmeln zu hören, dass sie ihm zu seiner Erkenntnis nur gratulieren könnte. Es würde wohl schwieriger werden, sie zu überzeugen, als erwartet. „Wie kann ich es wieder gut machen?"

„Hast du sie geliebt?", verlangte sie zu wissen. „Was? Wen?" Aramis verstand nicht, was sie von ihm hören wollte. „Diese Milady de Winter." Anne spuckte die Wörter in sein Gesicht, als wäre dieser Name das Schrecklichste, was sie sich vorstellen könnte. „Nein", antwortete er ihr schlicht.

„Warum hattest du dann eine Affäre mir ihr?" Verständnislosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Sie hatte Informationen, die ich brauchte." Er zuckte mit den Schultern. Nicht weil ihm das Thema nichts bedeutete, sondern weil er zu überspielen versuchte, wie sehr er mit sich kämpfte. Er durfte nicht mehr sagen, doch er wünschte sich so sehr alle Karten offen auf den Tisch zu legen.

„Hast du diese bekommen?", hackte sie nach. Nun sprach sie, als würde sie sich über das Wetter unterhalten. „Ja." Anne seufzte. „Du wirst mir nicht sagen, um was es geht." Keine Frage, eine Feststellung. Trotzdem fühlte er sich einer Antwort verpflichtet. „Nein."

Anne flüsterte leise. Aramis konnte es nicht verstehen und fragte nach. „Ich habe dich vermisst", wiederholte sie etwas lauter. „Ich dich auch." Aramis umarmte sie fest. Er vergrub sein Gesicht in ihren seidenen Haaren. Wie hatte er diesen süssen Duft vermisst. Am liebsten würde er sie nie wieder loslassen.

„Es tut mir wirklich Leid", beteuerte er noch einmal. „Mir auch. Das Anschreien, meine ich", lenkte Anne ein. „Das habe ich verdient", grinste er und auch die Königin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ja", stimmte sie ihm zu.

Liebst du mich noch?", wollte Anne dann wissen. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und Aramis konnte hinter ihrer starken Hülle erstmals das grosse Leid ausmachen, das sie ertragen hatte. Er entfernte sich ein bisschen von ihr, um ihr Gesicht in seine Hände nehmen zu können. Tief und fest blickte er ihr in die Augen, damit sie sich selbst der Wahrhaftigkeit seiner Worte überzeugen konnte. „Immer, Anne."

Anne löste ihren Blick keine Sekunden aus seinem, als sich ihre Mundwinkel hoben und sie sich vorbeugte. Erst als ihre Lippen die seinen berührten fielen ihre Lieder zu. Anne küsste ihn, wie sie es schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr hatte tun können. „Ich dich auch."

Vorsichtig, um die Magie zwischen ihnen nicht zu brechen, sank das Liebespaar auf das grosse Bett. Nicht wissend, welche Folgen das mit sich tragen würde, gaben sie sich einander hin.


„Du schuldest mir noch eine Geschichte", erinnerte Anne ihren Geliebten. „Welche Geschichte?", fragte Aramis. „Die Geschichte des grossartigen Ritters - nein Musketiers - der sich eines regnerischen Morgens aufmachte, um das Reich und die Königin vor einem bedrohlichen Ungeheuer zu retten."

Die dicht aneinander geschmiegten Liebenden schwelgten in ihren jeweiligen Erinnerungen an diesen Nachmittag auf dem Dach. Nichts weiter als eine Kindheitserinnerung und doch bedeutete es ihnen mehr als Gold und alle Schätze der Welt zusammen. Ihre gemeinsamen Augenblicke würden für immer in ihnen weiterleben. Niemand war im Stande das Paar ihren Erinnerungen zu berauben.

„Der Musketier liess sich seine Waffe und das schnellste Pferd des Stalles bringen", begann Aramis, während Anne ihren Kopf auf seine nackte Brust bettete. „Die bildschöne Königin versuchte mit allen Mitteln den Musketier von seinem Vorhaben abzubringen, doch er liess sich nicht beirren. Er stieg auf das Pferd, aber nicht ohne dem Gaul ermutigend über die Nüstern zu streichen. Furchtlos passierten Reiter und Pferd das Stadttor und galoppierten auf das Ungestüm zu. Noch bevor der Kampf losbrach, wusste der Musketier, dass er dieses Duell mit dem Leben bezahlen musste.

Zweifel schlichen sich in seine Gedanken. War es das wert? Sich diesem Ungeheuer zum Frass vor zu werfen und darauf zu hoffen, dass er es töten konnte, bevor es sein Leben beendete. Die Stadtbewohner würden ihn als Helden feiern, doch was nützte ihm diese Anerkennung, wenn er bei seiner Würdeverleihung mit dem Duft der Erde in der Nase in einem Grab schmorte?

Dann erinnerte er sich des lieblichen Gesichtes seiner Königin und er spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass er sein Leben nicht vergebens liess. Er würde seine Königin schützen. Koste es, was es wolle.

Er spornte das edle Tier unter sich zur Höchstleistung an und stürmte mit einem einzelnen Kampfschrei auf das Monster zu. Binnen Minuten fand er sein Ende, doch er riss das Ungeheuer mit sich in den Tod. Der Nieselregen wusch das Blut von seiner leblosen Hülle. Zur gleichen Zeit vermischten sich die Regentropfen mit den Tränen der Königin, die sich still von ihrem tapfersten Musketier verabschiedete."

Die melodische Stimme von Aramis verklang, doch Ruhe kehrte nicht ein. Ein leises Schluchzen erklang an seinem Hals. „Weine nicht", bat er seine Königin. „Wie sollte ich nicht weinen, wenn du mir von deinem Heldentod berichtest?", erwiderte sie gebrochen. „Ich bin nicht dieser Musketier. Es ist bloss eine Geschichte, die ich dir in Kindertagen nicht zu Ende zu erzählen vermochte."

„Dann würdest du dein Leben nicht so achtlos gegen meines eintauschen?", wollte Anne wissen. „Nein", antwortete er zögerlich, um sie zu beruhigen. Die Königin wischte sich die Tränen weg, lächelte sanft und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke", flüsterte sie, „aber ich spüre, wenn du mich belügst."

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt