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„Anne? Erkennst du mich noch?"

Die Angesprochene und Constance fuhren herum. „Was fällt dir ein, die Königin mit ihrem Vornamen anzusprechen!", entrüstete sich Constance. „Hat dir niemand Manieren beigebracht?" Anne legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Schon in Ordnung, meine Liebe. Das ist Aramis."

Ihre Zofe machte grosse Augen. Von Aramis hatte ihr ihre Herrin erzählt. Am ersten Abend ihrer Arbeit, aber danach hatte sie ihn nie wieder erwähnt. Nicht in einem einzigen Satz. Aber doch wusste Constance, dass dieser Musketier etwas besonderes sein musste für ihre Königin. „Nun, wenn Ihr mich entschuldigt, Madame, dann setzte ich mich hier drüber auf die Bank. Meine Beine sind müde und ich ertrage die Sonne nicht länger."

„Ich komme gleich nach, Constance", sagte Anne dankbar. Die Zofe entfernte sich und liess sich auf der besagten Bank nieder, knapp ausser Hörweite, aber noch genug nah, dass sie ihre Königin immer im Blick haben konnte.

„Was willst du hier, Aramis?" Ihre Stimme war kalt und schneidend, nicht vertrauend und sorgenfrei wie an den glücklichen Tagen der Kindheit. „Ich bin ein Musketier geworden. Ich halte hier meine Wache und als ich dich von weitem gesehen habe, musste ich mit dir sprechen. Ich habe dir doch versprochen, dass ich dich besuche. Weisst du noch?"

„Das ist nun zehn Jahre her", gab sie zurück. Sein sanftes Lächeln vermochte ihre Schutzhülle nicht zu durchbrechen. „Neun", korrigierte er sie. „Möglich", räumte sie ein.

Stille senkte sich über die beiden. Jeder beschäftigte sich damit, sein Gegenüber zu mustern und festzustellen, wie sehr sie sich doch beide verändert hatten. Anne war graziöser und stolzer, Aramis kräftiger und mutiger. Und doch waren nach all den Jahren die meisten Merkmale noch vertraut. Gewisse Dinge würden sich nie ändern. Aramis überragte Anne um einen halben Kopf. Ihre Hände hingen fein und zart an ihren Seiten hinunter. Auf seinem Haupt lockte sich das Haar, an das sich Annes Fingerkuppen schmerzlich erinnerten.

Ein wütender Offizier stürmte auf die Schweigenden zu. „Madame", er verbeugte sich steif und wandte sich dann seinem Untergebenen zu: „ARAMIS! WESHALB HABEN SIE IHREN POSTEN VERLASSEN? DIE KÖNIGSFAMILIE SOLL NICHT BELÄSTIGT WERDEN!"

Noch bevor Aramis dem Geschrei seines Vorgesetzten etwas entgegenbringen konnte, mischte sich Anne ein. In gebieterischem Tonfall informierte sie den Offizier über ihre Version der Sachlage. „Capitaine, ich habe Aramis zu mir gerufen. Ich dachte, etwas gehört zu haben im Gebüsch. Offenbar handelte es sich dabei nur um ein kleines Tier. Im Garten wimmelt es nur so von Kaninchen und ihren kleinen Freunden. Er sollte nicht bestraft werden, weil ich ihn von seinen Aufgaben abgehalten habe. In Zukunft werde ich davon absehen, Ihre Männer um Hilfe zu bitten, da ich Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten möchte."

Madame, verzeiht mir meine Dummheit. Selbstverständlich dürfen Sie meine Männer jederzeit für sich beanspruchen", entschuldigte sich der Offizier mit einer tiefen Verbeugung. „Jedoch kommt nun die Ablösung. Aramis, geh in die Zentrale", befahlt er dem Musketier, welcher sich ebenfalls vor der Königin verbeugte und dann abtrat. Einen letzten Blick warf er ihr über die Schulter zu, doch Anne konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie wusste nicht, wie sie sein plötzliches Auftreten handhaben sollte.

„Und du" - jetzt sprach der Offizier mit dem eben erst dazu getretenen Musketier - „geleitest die Königin und ihre Zofe zurück ins Schloss. Wenn Geräusche aus Büschen dringen, sollte sich die Königin nicht hier aufhalten. Sobald die edlen Frauen sicher im Schloss sind, wirst du deinen Posten im Garten wieder einnehmen."

„Sehr wohl, Capitaine", salutierte der Untergebene. Der Offizier stapfte mit grossen Schritten davon, während Constance langsam wieder näher trat. Bis jetzt hatte sie das Geschehen aus der Ferne mit angesehen.

„Ist der immer so... rot im Gesicht?", fragte sie neugierig. Der junge Musketier - er konnte nicht viel älter als Zwanzig sein - nickte. „Kein Wunder, wenn der immer so herumschreit. Ich bin übrigens Constance, Zofe der Königin", stellte sich die Zofe vor.

„D'Artagnan, Musketier und ein Freund von Aramis, der eben fortgeschickt worden ist", erwiderte er, unsicher ob er seinen Pflichten als Musketier noch nachkam, wenn er sich mit einer Zofe unterhielt. Doch ein Lächeln von Constance und seine Zweifel waren wie weggezaubert.

„Freut mich sehr", knickste sie. Er nahm vorsichtig ihre Hand und da Constance diese nicht wegzog, platzierte er einen Hauch eines Kusses auf ihre warme Haut. „Das Vergnügen liegt ganz meinerseits."

Anne mochte sich nicht am Gespräch der beiden beteiligen. Sie war ganz in Gedanken versunken. Gedanken über Aramis und wie es jetzt weitergehen sollte. Denn obwohl es Anne Angst einjagte und sie es mit aller Macht zu unterdrücken versuchte, konnte sie nicht leugnen, dass seine Gegenwart in ihr noch immer etwas auslöste. Etwas, das sie für ihren Gemahl hätte empfinden sollen.

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt