Kapitel 12 Heimat

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Kapitel 12    Heimat

Da der deutsche Winter im November die Dunkelheit bereits nachmittags ankündigt, sehen Lee und Dan die sinkende Sonne um 16.11 Uhr, als sie am Plötzensee ankommen.

Sie stehen am Steg des Tretboot-Verleihs und schauen auf den mit Bäumen umzäumten, 740 m langen See. Am linken Ufer befindet sich ein heller Strand. Am Strandbad Plötzensee befinden sich abgedeckte Strandkörbe.

Ein Rückzugsort für zwei.

Schräg gegenüber am anderen Ufer befindet sich ein Stein-Pavillon.

Lee seufzt leise und zieht sich wieder in seinen Schal zurück.

„Was ist los, Schildkröte?", fragt Dan, der Lees Enttäuschung wahrnimmt.

„Das hatte ich nicht bedacht. Ich wollte dir den Park zeigen", ertönt Lees Stimme gedämpft durch seinen Schal, „an die Dunkelheit im Winter habe ich mich noch nicht gewöhnen können."

„Wir können ja nach der Montags-Sitzung herfahren. Dann haben wir die Mittagssonne dabei. Kann man hier gut essen? Ich habe Hunger", sagt Dan und lockt Lee aus seinem Häuschen heraus.

„Ich kann uns eine Ramen-Suppe kochen. Habe alles da und meine Wohnung ist nicht weit weg", sprudelt es aus Lee heraus. Kaum ausgesprochen, vernimmt er ein Flimmern seines Herzens. Er verspürt den Drang sich wieder in sein Häuschen zurückzuziehen. Sich unsichtbar zu machen.

Sein sekundenlanges Stutzen unterbricht er und fügt hinzu: „Ich meine, wenn du willst. Hier gibt es aber auch viele leckere Speisen internationaler Küchen. Ich kann dir alles zeigen und du entscheidest", schlägt Lee vor.

„Eine Ramen-Suppe", sagt Dan nachdenklich, „Ich habe seitdem ich in Deutschland lebe, keine Ramen-Suppe mehr gegessen. Eigentlich verzichte ich auf jede Speise, die mich eine Sehnsucht nach Heimat empfinden lässt."

Lees Gesichtsausdruck liegt im Staunen.

Er guckt Dan mit seinen aufgerissenen Katzenaugen und hochgezogenen Augenbrauen an.

Aus seinem erstaunten Mund folgen endlich Worte:

„Diese Sehnsucht. Ich koche zu Hause nur heimisch. Um diese Sehnsucht zu stillen, musst du ihren Hunger stillen. Lass dich von dem Geschmack verleiten und Erinnertes durchleben. Ich begleite dich."

Dan muss augenblicklich grinsen.

Breiter denn je.

So breit, dass ihm die Wangenmuskeln wehtun.

Den inneren Schmerz der Sehnsucht nach außen werfen.

Ihm das Herz aus der Brust sprengen.

Er spürt seine innere Rührung.

Lokalisiert den inneren Knoten und will ihn mit Lee lösen.

„Mhmmm, die Schildkröte kann also kochen. So eine smarte Schildkröte. Aber du musst nicht gleich so angeben", sagt Dan schelmisch.

Lees Augen funkeln in der nun eingetroffenen Dunkelheit.

Er steht Dan gegenüber und schaut ihm in die Augen.

Er ist glücklich.

Er wird für Dan Rin kochen.

Er wird ihn in die Heimat begleiten.

„Ich habe allen Grund anzugeben. Wart ab!", antwortet er leise und lächelt verlegen, „Lass uns los. Mir wird kalt."

Dan nickt und zieht an dem Schalende, das auf Lees Jacke liegt.

Die Psychologie der LiebeWhere stories live. Discover now