Kapitel 23 Verantwortung

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Kapitel 23    Verantwortung

Lee liegt eng umschlungen an Dans Brust und schläft. Sein Gesicht schmiegt sich an Dans Hals. Seine Wärme und sein Duft ließen Lee sich in Sicherheit tauchen. Er hält sich an Dans Brust fest.

Lees ruhiger Atem lässt Dans Haut betrunken tanzen. Während sein Herz noch wimmert, kribbelt sein gesamter Körper noch vom Adrenalin.

Er hält Lee in seinen Armen.

Dan atmet erleichtert.

Und ist glücklich.

Trotz allem. Trotz der Angst. Trotz des Schmerzes.

Er hält Lee in den Armen.

Regungslos lauscht er dem ruhigen, heißen Atem Lees an seinem Nacken.

Eine Schwerelosigkeit erhebt sich in Dan.

In der Symbiose schweben sie, umgeben von heilsamen Kräften.

Kräfte, die sie bei einander lokalisiert und freigesetzt haben.

Dan traut sich nicht, sich zu bewegen. Er müsste Professor Dieckmann eine Nachricht senden. Er soll sich keine Sorgen machen. Er würde so gerne Lees Zimmer aufräumen, damit er beim Aufwachen keinen Schrecken bekommt. Und er muss auf die Toilette. Dringend. Schon als er bei Lee ankam.

Aber nichts spielt jetzt eine Rolle. Er will Lee sich ausruhen lassen. Und das Gefühl, dass er das in seinen Armen tut, verleiht Dan eine Wertigkeit, die er in so einem Ausmaße noch nie empfunden hat.

Er denkt an all die Preise und Auszeichnungen, die er für seine geistigen Leistungen erhielt. Die klatschenden Hände, die lobenden Worte, die Zusprüche und Zukunftsprophezeiungen.

Kein Moment seiner Vergangenheit gab ihm dieses Gefühl.

Das Gefühl, angekommen zu sein. Es geschafft zu haben. Es wert zu sein.

Es wert zu sein, das Wertvollste erreicht zu haben.

Das Gefühl, gebraucht zu werden.

Gebraucht zu werden von jemandem, den man selbst braucht.

Geben und nehmen.

Einvernehmlich. Sehnsüchtig. Glücklich.

Und Dan spürt die Ausmaße von Glück in seinem Körper sich entfalten.

So fühlt es sich also an, seine Grundbedürfnisse befriedigt zu erleben.

Die tiefsten, ursprünglichsten Triebwünsche jedes Menschen.

Der Hunger. Der Hunger nach Liebe. Nach Anerkennung. Nach Überleben und Schöpfung.

Der Hunger, in all ihren Formen und Facetten.

Dan streicht liebevoll über Lees Haar.

Sein prachtvolles, seidenzartes Haar kitzelt ihn an der Wange.

Er will ihn so gerne am ganzen Körper berühren.

Jedem Zentimeter seiner Haut mit seinen Händen etwas zuflüstern.

Ihn in Sicherheit wiegen. Ihm seinen Hunger stillen.

Und Dan überrascht sein eigener Hunger. Er spürt, wie er errötet bei dem Gedanken, Lee zu berühren.

Seine moralische Instanz, sein Über-Ich, schimpft mit erhobenem Zeigefinger, während sein Trieb, sein ES, offen seine Wünsche, seine Sehnsucht, seinen Hunger herausschreit.

Und Dan muss schlichten. Beiden Instanzen zuhören und eine Entscheidung treffen.

Bei der psychischen Verfassung von Lee, wäre es verantwortungslos, eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Dan muss für ihn da sein. Ihn in seinen Armen halten. Lee Zeit geben. Für ihn da sein, wenn er sich befreit.

Er darf sich nicht seinen eigenen Gelüsten hingeben. Solange Lee noch instabil ist, muss er sich zurücknehmen.

Lee durchlebte seine grausame Kindheit in einem Flashback. Er muss nun nach und nach wieder in die Gegenwart gleiten. Er muss soweit sein. Frei sein wollen.

Dan darf ihn nicht drängen. Ihn nicht bedrängen. Ihn nicht berühren mit erwachsenen Händen.

Er sperrt sein ES in seine Höhle zurück. Verweist darauf, dass der Zeitpunkt noch käme. Sie hätten sich doch noch ihr ganzes Leben lang.

Und er nickt seinem Über-Ich zu. Willigt ein, sich verantwortungsbewusst zu zeigen. Für Lee da zu sein, ohne sich zum Nehmen verleiten zu lassen.

Nur geben, ich will ihm nur geben.

Zeit, Kraft, Fürsorge geben.

Und während er sich mit seinem Inneren auseinandersetzt, spürt er plötzlich, wie Lee sich bewegt.

Er reibt langsam sein Gesicht an Dans Hals und schmiegt sich noch enger an.

Er drückt seine Nase hinter Dans Ohr und atmet tief ein. Beim Ausatmen hinterlässt er ein Meer aus Kribbeln auf Dans gesamten Körper.

Seine Lippen liegen gepresst an Dans Hals.

Ein heißer Druck der Wonne.

Dan schließt die Augen und versucht, seinen Puls durch bewusste Atmung zu regulieren.

Jeder Atemzug Lees löst in ihm die Flammen aus. Heiße Gluten lodern in seinem Körper und überschwemmen seine Sinne.

Und bevor er sich eingestehen muss, dass er erregt ist, sucht er vorsichtig die Flucht.

Er legt seine Hand auf Lees Gesicht und streichelt seine Wange, zieht seinen Arm, der Lee als Kissen dient und ihn umschließt, vorsichtig raus und ersetzt ihn durch ein Kissen.

Liebestrunken schaut er sich den schlafenden Lee an. Er streicht zärtlich die Haarsträhnen auf Lees Stirn zur Seite und küsst ihn auf den Kopf.

Die kalte Leere an seinem Körper stimmt ihn wehmütig. Aber die Umarmung wurde zu gefährlich und er musste sich der Verlockung entziehen.

Er steht auf und sammelt mehrere Kissen zusammen, die verstreut im Zimmer liegen.

Um Lee herum baut er ihm eine kuschelige Kissenlandschaft. Er soll sich warm und geborgen fühlen.

Leise schleicht er ins Badezimmer und während er seiner drückenden Blase endlich den Lauf genehmigt, guckt er auf sein Handy.

Es ist 2 Uhr früh. Er sieht mehrere Nachrichten von seinem deutschen Vater auf dem Handy.

Er wäscht sich die Hände und geht wieder ins Zimmer.

Er will Lee nicht alleine lassen. Er will da sein, sollte er erwachen.

Dan hockt sich hin und denkt kurz nach. Plant die nächsten Schritte. Zunächst muss er Dieckmann antworten und sich dann der Verwüstung widmen.

Er schreibt Dieckmann eine Nachricht und schildert in Ansätzen die Nacht. Dann guckt er sich um und beginnt die Bücher vorsichtig aufzuheben und in die Regale zu stellen.

Ohne System. Dafür ist keine Zeit und es ist zu dunkel. Nur aus dem Weg räumen. Nach und nach füllen sich Lees Regale und als kein Platz mehr für die wertvollen Worte der Bücher im Regal vorhanden ist, beginnt Dan Stapel zu bauen. Vor dem Bücherregal stapelt er alle Bücher zusammen. Die Holzplatten lehnt er an die Wand. Er räumt alles zusammen und steht in Lees nun freiem Zimmer.

Frei und offen für jeden Weg.

Lee liegt still im Bett und schläft.

Dan spürt seine Erschöpfung überhand nehmen. Der Anblick Lees ist so einladend. Und so beschließt er, in Lees Armen seinen Schlaf zu finden.

Es ist 4 Uhr früh.

Dan steigt vorsichtig in Lees Einzelbett, befreit ihn von der Kissenlandschaft und kuschelt sich von hinten an ihn ran. Er legt seinen Arm um Lees Oberkörper, legt seine Hand auf Lees Herz und schmiegt seine Nase an Lees Nacken.

Er atmet seinen Duft und spürt seinen Herzschlag an der Hand.

Mit erleichterter Seele schläft er ein.

Die Psychologie der LiebeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora