Verlorene Kinder

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"Mein König." Aydan verbeugte sich tief vor dem Mann, von dem eine beeindruckende Aura ausging.

Dayna beeilte sich, es ihm gleich zutun. Als sie sich wieder erhoben, vermied sie es, den König direkt anzusehen. Ihre Knie schlotterten und sie hoffte, dass er ihre Unruhe nicht bemerkte.

"Ich bringe euch die neuste Prinzessin", verkündete der Kronprinz indes fröhlich.

Der furchteinflößende Mann nickte in Anerkennung der Worte des Prinzens, bedachte ihn dabei allerdings keines Blickes. Denn sein scharfer Blick, welchem nichts zu entgehen schien, haftete dabei pausenlos unverhohlen auf dem verängstigten Mädchen mit dem silberschimmerndem Haar, welches seinem bis auf die Länge zum verwechseln ähnlich sah.

Nach einiger Zeit des Schweigens, in der der König keine Anstalten machte sie in den Raum hineinzubitten, räusperte Aydan sich verlegen.

„Mein König, dürfen wir eintreten?"

Endlich entließ der Herrscher Dayna seines durchbohrenden Blickes und wandte sich stattdessen mit einem verächtlichen Ausdruck in den Augen ihrem Begleiter zu.

Du kannst gehen", betonte er das erste Wort extra deutlich. „Unser neuestes Mitglied wird einen netten Plausch mit mir schon alleine überstehen. Ich will die einzige Tenebrae-Nachkommin schließlich in Ruhe kennenlernen."

Das Herz in Daynas Brust begann nach diesen Worten wie wild zu schlagen, sodass sie schon  befürchtete, es könne jeden Moment herausspringen. Sie warf Aydan einen letzten Hilfe-suchenden Blick zu, welchen er mit mitleidigem Ausdruck in den Augen wortlos kommentierte, bevor er sich umwand und die Tür hinter ihm mit einem lauten Knall ins Schloss fallen lies.

Obwohl sie sich gerade wie ein kleines Kind fühlte, dass etwas schlimmes angestellt und nun die Standpauke dafür zu erwarten hatte, versuchte sie furchtlos zu wirken als sie den Blick auf ihr Gegenüber richtete. Der König musterte sie mit solch einer Intensität, dass sie schon meinte, ihn in ihre innersten Gedanken eindringen fühlen zu können.

Es verging eine halbe Ewigkeit bis der Mann endlich das Wort ergriff.

„Weißt du, was unser Volk über ihren König denkt?", wollte er von dem Mädchen wissen und traf sie mit dieser Frage völlig unerwartet.

Mangels besserer Alternative schüttelte sie nur mit dem Kopf.

Der blonde König, dessen Haarfarbe so sehr Daynas eigener glich, nickte schroff, so als hätte er nichts anderes von ihr erwartet.

„Sie denken, ich sitze den lieben langen Tag lang auf meinem Thron und bekomme nichts davon mit, was in den Reihen meiner Untertanen vor sich geht. Sie glauben, ich wüsste nichts von dem, worüber sie untereinander tuscheln."

Er richtete seine finsteren Augen auf sie und schlug mit seinem Zepter so ruckartig auf den Tisch vor ihr, dass Dayna unwillkürlich vor Schreck zusammenzuckte.

„Glaubst du das auch, Prinzessin?"

„N-nein, Eure Majestät. Ich bin mir sicher, Ihr wisst viel mehr als die Leute vermuten würden."

Wieder nickte der Mann, welcher der Onkel ihres Alter-Egos war und Dayna konnte nur hoffen dass er seiner Nichte, sollte er ihre wahre Identität bereits kennen, freundlich gesinnt war.

„Ich höre jedes noch so kleine Gerücht, welches in meinem Königreich im Umlauf ist", bestätigt er sie in ihrem zuvor geäußerten Verdacht.

„Und wie ich hörte erzählt man sich nun, du wärest die uneheliche Tochter des Königs selbst."

Dayna schluckt hörbar. Die Wendung dieser Unterhaltung gefiel ihr ganz und gar nicht, denn sie wusste genau, dass dieser Mann der Herrscher ihrer neuen Welt war und sie innerhalb eines Wimpernschlags daraus entfernen könnte, wenn es ihm nur danach beliebte.

Weil der Mann seine eiserne Miene inzwischen in Schweigsamkeit auf sie gerichtet hatte, fühlte sie sich dazu gedrängt, etwas dazu zu sagen. „Die Leute haben eine blendende Phantasie."

Ein unheilvolles Grinsen erschien auf dem Gesicht des Königs. Es wirkt weder natürlich, noch kam es ihr vor, als amüsiere er sich tatsächlich über das Gesagte. Vielmehr wirkte er mittlerweile wie ein Raubtier, welches seine Beute kurz vor dem Todesstoß in Sicherheit wog.

„Aber die Fakten liegen doch bereits auf der Hand, Prinzessin Tenebrae. Ihr seid die einzige andere noch lebende Teg, die die Schattenkünste beherrscht. Eine Fähigkeit, welche allein meiner eigenen Blutlinie obliegt. Ihr gleicht mir bis aufs Haar - und nun trägt ihr sogar meinen Namen."

Immernoch zierte das falsche Lächeln sein Gesicht und Dayna hatte nun überhaupt keine Ahnung mehr davon, was das Oberhaupt ihres Stammes nun eigentlich von ihr wollte.

„Und was bedeutet das, eure Majestät?"

„Es bedeutet, dass ich tatsächlich ein uneheliches Kind habe. Vor genau achtzehn Jahren gebar eine Dienerin ein Kind von mir - und ich beorderte es zu töten."

Der Schock musste Dayna ins Gesicht geschrieben stehen, denn obwohl es kaum noch möglich schien, vergrößerte sich das Grinsen auf seinem Gesicht noch um ein Vielfaches.

„Doch scheinbar hätte ich mich nicht darauf verlassen sollen, dass jeder meiner Anweisungen auch widerstandslos Folge geleistet wird."

Der Mann schloss kurz die Augen, wobei die Masquerade der Freundlichkeit von ihm herabfiel. Als er sie dann wieder öffnete, blickte Dayna einem skrupellosen Herrscher entgegen, der nicht einmal davor zurückschrak, sein eigenes Kind töten zu lassen, nur um seinen Ruf zu wahren.

Sie war sich sicher, dass sie nicht mehr lebend aus diesem Raum herauskommen würde.

Doch, so undurchschaubar wie der König eben war, überraschte er sie mit seiner nächsten Offenbarung noch ein weiteres Mal.

„Doch heute bin ich froh darüber, dich hier zu haben, mein Kind. Denn dein Blut macht dich zu meiner Thronfolgerin und somit bleibt meine Blutlinie an der Macht."

Er wollte tatsächlich, dass sie Königin wird?

Es musste einen Haken geben.

„Ich soll eure Nachfolgerin sein?"

Das gruselige Grinsen erschien erneut und jagte Dayna eine Gänsehaut über den Rücken.

„Oh ja, Liebes, das sollst du. Und solange du nur tust, was ich von dir verlange, wird es dir von heute an mehr als nur wohl ergehen in deinem neuen Zuhause."

Sie hätte sich gleich denken können, dass er Bedingungen an sie stellen würde.

Nur hatte sie noch nicht mit den Auswirkungen von diesen gerechnet.

„Und was verlangt ihr von mir, eure Hoheit?", wagte sie sich zögerlich nachzuhaken.

„Nun ja, wie du sicherlich weißt, habe ich Unmengen an Zeit und Mühe in den jungen Ragon investiert."

Dayna nickt anerkennend, da der König sie abwartend betrachtet.

„Es wäre eine Schande, all dies zu verschwenden. Außerdem gäbe es dadurch keinen besseren Lehrer, der dir deine zukünftigen Pflichten nahebringen könnte."

„Er ist ja bereits mein Mentor", erwidert Dayna, da sie hoffte, den Mann dadurch milde Stimmen zu können.

„Und das wird er auch zukünftig bleiben. Doch ich habe ihm den Thron versprochen und auch wenn du es vielleicht noch nicht weißt, ich bin ein Mann der ausnahmslos sein Wort hält."

Erneut häuften sich die Fragezeichen in Daynas Gedankenwelt. Also sollte nun doch Aydan König werden und nicht sie Königin?

„Aber ich dachte ihr sagtet, dass ich nun eure Thronnachfolgerin sei", versuchte sie die Erklärung aus dem Herrscher herauszulocken.

Er nickte nur unbeeindruckt.

„Sehr richtig, Liebes. Deshalb wäre es für uns alle wohl am einfachsten, wenn wir euch beide miteinander verheiraten und ihr somit eines Tages zu König und Königin unserer Nation werdet."

Der Teenagerin klappte die Kinnlade herunter.

Sie sollte Aydan Ragon heiraten?

Burning ShadowsWhere stories live. Discover now