Von Vertrauen & Verrat

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Dayna erwachte vor einer kahlen Felswand, welche ihr den Ausblick auf ihre restliche Umgebung versperrte.
Es half dabei nicht, dass ihre Arme an den Handgelenken hinter ihren Rücken gefesselt waren, genauso wenig wie die Tatsache, dass ihre Beine sich taub anfühlten, weshalb sie ihre Position nicht aus eigener Kraft verändern konnte. Und ihr gesamter Schädel pochte und dröhnte wie verrückt.

"Du bist wach. Gut", ertönte eine bekannte Stimme hinter ihr.

Die Erinnerung daran, wie sie mit Shay gemeinsam in den Wald gegangen war, prasselte erbarmungslos wieder auf sie ein und ihr Magen verknotete sich schmerzvoll, als die Erkenntnis sie traf, dass er sie tatsächlich niedergeschlagen haben musste.

Große Hände packten grob nach den Seilen, welche sie fixierten und wirbelten sie so herum, dass sie sich genau angesichts ihres Entführers wiederfand.

"Was soll das, Shay?", fragte sie ihn mit schwacher Stimme.

Als sie ihren Kopf in den Nacken lag, um dem Jungen in die Augen zu sehen, bereute sie es jedoch sofort wieder. Denn Shays Augen hatten sich verändert und der Blauäugige blickte ihr nun aus zwei verschieden-farbigen Iriden entgegen - sein rechtes Auge war leuchtend rot.

"Da staunst du, Dayday, nicht wahr?", erkundigte der Verräter sich sichtlich amüsiert und rieb sich dabei die Hände. "Uns gibt es auch als Halblinge."

Daynas Mund war staubtrocken geworden und sie hatte keine Ahnung, was sie dem schlaksigen Kerl nun darauf antworten sollte. Auch wenn sie nie wirklich eine innige Freundschaft mit dem Jungen verbunden hatte, wäre sie nie darauf gekommen, er könne einer von den Bösen sein. Sein Verrat traf sie härter als gedacht. Wie hatte sie das die ganze Zeit über nur übersehen, seine wahren Absichten nicht durchschauen können?

"Oder sollte ich dich vielleicht lieber Seraphina nennen?"

Dies war der Moment, in dem Dayna jegliche Hoffnung verlor, noch irgendwie heil aus der Situation herauszukommen. Wenn er wusste, wer sie war und sie deshalb hierher gebracht hatte ... wenn er zu den Illyde Coche gehörte... Dayna war klar, wie diese Sache ausgehen würde. Und dass sie gewiss nicht als Siegerin aus diesem Kampf hervorgehen würde.

Verdammt, wie hatte sie sich auch nur dazu überreden lassen könne, ohne das Wissen ihres Wächters mit einem beinahe Fremden Nachts in den Wald zu gehen? Die ungewohnte Luft der Schattenwelt musste ihren Verstand vollkommen vernebelt haben.

Sie schickte einen stummen Hilferuf an Caleb und betete, dass er sie durch den Wächterbund irgendwie hören und finden könnte.

Als wüsste er nur zu gut was sie vorhatte, beugte Shay sich blitzschnell zu ihr herunter und packte sie so grob am Hals, dass er ihr damit kurzzeitig die Luft zum Atmen abschnürte. Sobald er sie wieder losließ, musste sie schmerzhaft husten.

"Denk bloß nicht, dein Wächter würde dich retten kommen. Wenn du stirbst, wird er die Seele seiner geliebten Prinzessin einfach in den nächsten Körper verfrachten."

Völlig verwirrt von seiner Aussage schaute Dayna zu ihm auf.

Da musste er schadenfroh grinsen. "Hast du wirklich gedacht, dass du ihm etwas bedeutest? Den Geist meiner Cousine erkenne ich auf hunderte Kilometer Entfernung, aber ich weiß genauso gut wie Caleb, dass auch eine mächtige Tegprinzessin nicht einfach so wiedergeborener werden kann."

Er strich ihr mit dem Zeigefinger ganz sanft über die Stelle ihres Dekoltees, an der sich das Mal verbarg, welches Dayna mit Caleb verband. Sie versuchte, sich seiner ekelerregenden Berührung zu entziehen, war durch die teilweise Bewegunsunfähigkeit jedoch daran gehindert.

"Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst", keifte sie ihn schließlich wütend an.

Sein Finger verharrte genau über der kribbelnden Stelle auf ihrer Brust. "Das ist mir bewusst." Dann stand er auf und vergrub die Hände beiläufig in seinen Hosentaschen. "Also lass es mich dir erklären, meine liebe Dayday. Das uneheliche Kind, für das dich der König hält?"

Dayna runzelte die Stirn und verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Das schien ihrem Peiniger wiederum überhaupt nicht zu gefallen, denn der bekam einen gefährlich wütenden Ausdruck in den Augen. "Ich bin dieses Kind. Ich bin sein Sohn, den er weggeworfen hat, wie ein wertloses Stück Müll."

So schockierend diese Offenbarung auch sein mochte, Daynas Mitleid hielt sich momentan zugegebenermaßen in Grenzen. Das hätte sie ihm allerdings vermutlich nicht gleich an den Kopf werfen sollen, denn er kickte ihr daraufhin mit voller Wucht in die Seite, sodass sie sich vor Schmerz zusammenkrümmte.

"Du hast meinen Titel gestohlen!", schrie er sie an und raufte sich dabei brutal durch die Haare.

Es dämmerte ihr, dass er psychisch nicht gerade stabil zu sein schien und sie sich besser daran tun würde, ihn irgendwie zu beschwichtigen, falls sie ihr Leben behalten wollte. Sie müsste nur irgendwie genug Zeit gewinnen, bis Caleb sie finden konnte. Vorausgesetzt, Shay hatte Unrecht damit, dass sie ihm nichts bedeutete...

"Es tut mir leid, Shay. Ich wusste nichts davon."

Shay schnaubte laut auf. "Du scheinst allgemein nicht die Hellste zu sein. Aber wer kann es dir verübeln, schließlich hattest du nicht wie ich das Glück, beim großen Meister persönlich aufzuwachsen. Im Herzen bist du doch immer noch eine Sterbliche."

Dayna schluckte ihre Empörung herunter. Sie sollte ihn wirklich nicht weiter verärgern. Doch eine Sache ließ ihr trotzdem noch keine Ruhe. Und wenn sie sowieso nur auf ihre Rettung warten konnte, konnte sie die Zeit wenigstens dafür nutzen, an wertvolle Informationen heranzukommen, welche ihr sonst womöglich auf ewig verwehrt bleiben würden.

"Was meinst du damit, dass Seraphinas Seele in mir ist? Bedeutet das, ich bin... von ihr besessen?"

Shays Maske verrutschte wieder zu diesem Psycho-Grinsen, welches dem Mädchen eine Heidenangst einjagte, "Jetzt fängst du an, die richtigen Fragen zu stellen."

Er ging erneut vor ihr in die Hocke und tippte ihr unsanft gegen die Brust. "Das da", erklärte er, "ist dunkle Magie. Ein verbotener Zauber, den dein geliebter Wächter sich selbst aus den Gedanken eines verendenden Rotäugigen gestohlen hat. Um seine verlorene Prinzessin zurückzubringen - doch leider scheint sein Plan nicht ganz funktioniert zu haben."

Jedes seiner Worte hinterließ einen faden Geschmack auf Daynas Zunge und ihr Herz drohte in Tausend Teile zu zerbrechen bei der Vorstellung, dass Caleb sie die ganze Zeit über nur belogen hat. Dass sie ihm eigentlich egal war und er sie nur benutzt hatte, als ein lebendiges... Gefäß. Es konnte einfach nicht die Wahrheit sein. Rotäugige logen viel, dass taten die Bösen doch immer, oder?

Aber was, wenn Caleb auch keiner der Guten war?

Shay prustete plötzlich laut los, wobei einige Spucktröpfchen in Daynas Gesicht flogen und sich darauf verteilten. "Du tust mir fast schon leid", stieß er irgendwann hervor, während er sich vor Schmerzen bereits den Bauch halten musste. "Nur ein unbedeutender Spielball und trotzdem wirst du es wohl sein, die als erstes ihr Leben bei dem Ganzen verlieren wird. Aber ich kann nicht zulassen, dass die Kräfte der Schattenprinzessin den Plan meines Meisters zu Nichte machen!"

Aus seiner Gesäßtasche zog er urplötzlich eine lange Klinge hervor.

Eisen, schoss es Dayna bei deren Anblick umgehend durch den Kopf. Er wird mich töten.

Burning ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt