Nacht und Nebel

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Schlaflos lag Dayna in ihrem Bett und blickte aus dem Fenster hinaus.
Heute Nacht war Vollmond und ihre Augen starrten gebannt auf den leuchtenden Ball am Himmel, während sie sich darum bemühte, alle Gedanken an den heutigen Tag zu verdrängen.

Die Verlobungsfeier war aufgrund des Vorfalls verschoben worden, auch wenn Caleb nur behauptet hatte, dass sie erkrankt wäre, um von dem wahren Grund für ihren Ausbruch abzulenken.
Eigentlich sollte sie wohl dankbar darüber sein, dass sie sich dadurch noch nicht mit den Konsequenzen ihrer bereits getroffenen Entscheidung auseinandersetzen musste.

Aber die Tatsache, dass sie Aydan Ragon nicht heiraten wollte, würde sich auch in den drei Tagen Erholungszeit, welche ihr gnädigerweise gewährt worden waren, nicht ändern.
Ihm dies mitzuteilen würde bestimmt auch nicht leichter dadurch werden. Vorallem, wenn er sie spätestens besorgt an ihrem Krankenbett besuchen würde und sie ihm dann in seine verliebten Augen blicken müsste, während sie ihm gewissenlos das Herz aus der Brust riss.
Und wie die Unmengen an super-wichtigen Gästen aus den verschiedensten Königreichen der Anderen Seite auf ihre Abfuhr an den Kronprinzen reagieren würden... Sie konnte es sich gar nicht ausmalen.
Vermutlich würde der König sie öffentlich hängen lassen und ein riesiges Fest dazu veranstalten, sodass die Schaulustigen wenigstens noch etwas zu sehen bekamen, bevor sie sich wieder in ihre Heimatorte verzogen.

Ja... Vermutlich waren dies gerade Daynas letzte Stunden.

Ob Caleb dieses mal mit ihr untergehen würde? Oder sollte sie ihn lieber jetzt gleich aufsuchen, um eine gemeinsame Flucht zu planen?
Die vermeintlich letzte Abstammende des Königs selbst, lässt den Kronprinzen sitzen, um mit einem Argus ins Nimmerland durchzubrennen.
Wäre ihre Lage nicht so dramatisch, hätte sie vermutlich schon darüber gelacht.
Das Ganze war einfach nur absurd. Vor kurzem war sie noch eine ganz normale Schülerin gewesen, die ein weitgehend unbekümmertes Leben führte. Und jetzt...

Dayna wurde aus ihren Gedanken geschreckt, als sie ein ungeduldiges Hämmern an ihrer Fensterscheibe vernahm.
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie durch das lupenreine Glas - und entdeckte dort Shay, der ihr nun mit einem nervösen Lächeln im Gesicht zuwinkte.
Eilig sprang sie auf, um den Griff zu betätigen und ihren Freund - und momentanen Cousin ihres Versprochenen - in ihr Zimmer zu lassen.

Er kletterte wortlos hinein und es dämmerte ihr plötzlich, dass - er gerade in der Luft geschwebt war. War er etwa zu ihr hochgeflogen?  Und woher wusste er überhaupt, welches ihr Fenster war. Sie hatte ihn noch nie zu sich eingeladen, genauso wenig wie sonst irgendeinen von ihren neu-gewonnenen Freunden. Vorallem deshalb, weil sie nicht wollte, dass jemand von ihnen mal hereinplatzte, sollte sie gerade in zu vertrauter Pose mit ihrem Wächter zugange sein. Auch wenn in dieser Hinsicht, zumindest in letzter Zeit, natürlich keine Gefahr mehr bestanden hätte.

"Was tust du hier?", wollte sie nun deshalb von dem Gleichaltrigen wissen.

Shay ließ jedoch nur unschuldig seine Hände in den Hosentaschen verschwinden und musterte sie neugierig.
"Doch nicht so krank, wie man es sich erzählt, Prinzessin?"

Dayna blieb das Herz in der Brust stehen. Verdammt! Daran hatte sie nun wirklich überhaupt nicht mehr gedacht. Doch wer konnte es ihr auch verübeln, bei einen nächtlichen Überfall dieser Art.

"Es geht mir schon etwas besser. Aber ich bin sehr müde", erklärte sie ihm mit einem eindeutigen Blick, welcher ihn hoffentlich zum schweigen bringen würde.

Ein überhebliches Grinsen erschien auf Shays Gesicht. "Mir brauchst du nichts vorzumachen, Dayday", neckte er sie mit seinem eigens für sie ausgedachten Spitznamen. Dayna rollte genervt mit den Augen, doch der Junge fuhr davon unbeirrt fort: "Ich bin nur hier, um meiner Rolle als dein bester Freund und Lieblingsperson in diesem Königreich gerecht zu werden."

Völlig entgeistert starrte Dayna dem Anderen entgegen. War er tatsächlich so arrogant, oder tat er nur so? Eventuell eine Mischung aus beidem.

"Und wie genau möchtest du das anstellen?", wollte sie dennoch neugierig von ihm wissen.

Sein Grinsen wurde dadurch nur noch breiter. "Indem ich dich auf andere Gedanken bringe", erwiderte er ihr lässig und kam daraufhin auf sie zu, um sie an den Schultern in Richtung ihres Kleiderschrankes zu schieben. "Such dir etwas hübsches zum anziehen raus und dann gehen wir auf die heißeste Party des Jahres."

Das wurde ja immer besser. Das Mädchen blickte Shay aus großen Augen über die Schulter entgegen. "Du willst mich echt auf eine Party bringen, wo doch alle denken, ich wäre furchtbar krank? Weißt du, was der König mit mir anstellen wird, wenn er erfährt, dass ich fit genug bin um auf eine Party zu gehen, welche nicht meine Verlobungsfeier ist?"

Shay kam mit seinen Lippen so nah an ihr Ohr heran, dass sie seinen feuchten Atem spüren konnte und sich zusammenreißen musste, sich davon nicht zu schütteln. "Mach dir darüber mal keine Gedanken, meine liebe Dayday", flüsterte er verschwörerisch. "Die Party, auf die wir gehen, ist natürlich geheim. Niemand wird merken, dass du dein Zimmer überhaupt jemals verlassen hast."

Dayna ließ seine Worte erstmal kurz sacken. Wahrscheinlich war es die aller-dümmste Idee überhaupt, sich nun tatsächlich herauszuschleichen, um mit Shay auf eine nicht-genehmigte Party zu gehen, nachdem sie gerade erst ihre offizielle Verlobungsfeier unter dem Vorwand von Krankheit hatte sausen lassen. Vermutlich wollte ihr das halbe Königreich der Tylwyth Tag deshalb bereits den Kopf abreißen, ganz zu schweigen von den unzähligen Gästen, welche wegen ihr umsonst den weiten Weg ins entfernt gelegene Schattenkönigreich angereist waren. Was in dieser Welt, anders als in ihrer gewohnten Sterblichen, wohl bedeutete, dass sie gelaufen waren. Oder vielleicht hergeritten, denn Dayna hatte vom Fenster aus bereits einige Pferde-ähnliche Tiere erspähen können.

Aber sie schweifte vom Thema ab. Es wäre also wirklich dumm von ihr, auf Shays schlechten Vorschlag einzugehen. Doch wenn die Alternative war, hier ganz alleine in Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu versauern, während jeden Moment ein Antwort-verlangender Aydan durch die Tür gestürmt kommen konnte... Vielleicht würde es ihr ja wirklich dabei helfen, einen klaren Kopf zu bekommen, wenn sie nur für diese Nacht ihre ganzen Sorgen bei Seite packen und stattdessen einfach nur einen lustigen Abend mit ihren Mitschülern verbringen würde, so wie jedes andere, normale Mädchen in ihrem Alter. Und wenn es eben ausgerechnet Shay war, der ihr dies ermöglichen konnte - dann würde sie, nur in dieser einen Nacht, dieses flaue Gefühl, welches manchmal in ihrer Magengrube ausgelöst wurde, wenn er in der Nähe war, ignorieren und seiner Einladung stattdessen dankbar Folge leisten.

"Okay", nickte sie schließlich zustimmend. "Aber vor der Morgendämmerung muss ich zurück sein."

Shay zwinkerte ihr selbstsicher zu. "Aber natürlich."

Sie öffnete ihren Kleiderschrank und begann damit, darin nach etwas brauchbaren herumzukramen, während der Teg sie, zur Ausnahme mal schweigsam, dabei beobachtete.

Da kam ihr plötzlich noch ein anderer Gedanke in den Sinn. "Wie soll ich überhaupt unbemerkt hier rausspazieren? Geschweige denn, später wieder zurückkommen?"

Für den Hauch einer Sekunde kreuzte ein seltsamer Ausdruck Shays dunkelblaue Augen, welcher Dayna eine unangenehme Gänsehaut über den Körper jagte. Das glänzende Licht eines leuchtenden Edelsteins spiegelte sich in seinen Augen und sie hätte schwören können, dass sie eines davon in einem leichten Rot schimmern sah. Dann blinzelte sie jedoch und als sie die Augen wieder öffnete, war von der seltsamen Erscheinung nichts mehr zu sehen. Komisch... wahrscheinlich hatte sie in letzter Zeit einfach nur zu wenig geschlafen und ihre Sinne begannen deshalb jetzt, ihr Streiche zu spielen. 

Shay hatte indes wieder seine typische, überhebliche Miene aufgesetzt. Eine Masquerade, welche er sich mit seinen Cousin Aydan teilte, welche bei dem Kronprinz hingegen jedoch weitaus sympathischer wirkte.

"Mach dir darüber mal keine Gedanken", versicherte er ihr und richtete den Blick gen Fenster. "Ich hab' da schon so seine Idee..."

Burning ShadowsWhere stories live. Discover now