1 | Elawa Aikaterini Foxwish

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Sie haben Ihr Ziel erreicht.

Eigentlich hätte ich kein Navigationsgerät gebraucht, denn ich wusste, wo sich der Palast befand. Natürlich. Das imposante Gebäude im Stadtzentrum war nicht zu übersehen. Vielleicht hatte ich mein Handy einfach ein letztes Mal benutzen wollen, bevor ich es für den Wettbewerb abgeben musste.

Wenn man es wirklich Wettbewerb nennen konnte. Dieser Wettbewerb war anders als die bisherigen Wettbewerbe, an denen ich teilgenommen hatte. Bei diesen war es um Schönheit gegangen. Jeder hatte mich angesehen und ich hatte gewollt, dass jeder mich ansah.

Nun wäre ich am liebsten unsichtbar gewesen. Die einst bekannte Schönheitskönigin mit einem improvisierten Kurzhaarschnitt, kurz davor, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Ich zog mir die Kapuze meines schwarzen Kapuzenpullovers tief ins Gesicht, obwohl die Temperaturanzeige meines Handys fünfundzwanzig Grad anzeigte, und legte die letzten paar Meter zurück, die mich noch vom Palasttor trennten.

„Ella Smith", stellte ich mich vor. „Ich bin hier für die Stelle in der Leibgarde des Königs."

Die beiden Wachen sahen mich argwöhnisch an. „Eine weibliche Teilnehmerin. Das ist eine Ausnahme", kommentierte der eine, während der andere auf dem Klemmbrett in seiner Hand nach meinem Namen suchte.

Ich nickte nur. Vielleicht hätte ich mich zu einem höflichen Lächeln zwingen sollen, aber mir war nicht nach lächeln zumute. Innerhalb von Tagen hatte ich alles aufgegeben, was ich mir so hart erarbeitet hatte, für eine Mission, von der ich noch nicht einmal wusste, ob sie funktionieren würde. Aber ich hatte keine Wahl. Ich musste es zumindest versuchen. Wenn meine Familie starb und ich daran schuld war, würde ich nicht damit leben können.

„Ella Smith", sagte die Wache. „Tatsächlich, Sie stehen darauf. Ich sehe, Sie haben ein Handy. Das müssen Sie abgeben, genau wie alle anderen technischen Geräte. Sie dürfen während des Bewerbungsverfahrens nicht mit der Außenwelt kommunizieren, also falls Sie einen letzten Anruf tätigen wollen, ist jetzt der letztmögliche Moment dafür."

„Ich habe alles geregelt", sagte ich. Mit meiner Familie hatte ich bereits alles besprochen und jemand anderen, den ich hätte anrufen können, gab es sowieso nicht. Normalerweise sprach ich ja nicht einmal mit meinen Eltern. Als ich ihre Stimmen vor einigen Wochen zum ersten Mal seit Langem am anderen Ende des Telefons gehört hatte, hätte ich am liebsten geweint.

Nachdem ich mein Handy abgegeben hatte, öffneten mir die Wachen das Tor und ich ging hindurch. Drinnen wartete ein weiterer Wächter auf mich, der mich zu einem Zelt auf dem Palastgelände brachte, wo ich durch einen Metalldetektor laufen musste, um sicherzustellen, dass ich keine Waffen bei mir trug.

„Warum tragen Sie die Handschuhe?", fragte der Wächter.

Ich sah auf meine Hände hinunter. Ich trug schwarze Lederhandschuhe, wie immer. Es waren Spezialanfertigungen, die ich nicht ausziehen musste, um zu essen oder mein Handy zu bedienen. „Eine Hautkrankheit", sagte ich. „Meine Hände sollten so wenig Kontakt wie möglich mit der Luft haben."

Der Wächter zögerte. „Und Sie sind sich sicher, dass Sie am Bewerbungsverfahren teilnehmen wollen?", fragte er dann.

„Ja", antwortete ich schnell. „Die Handschuhe schränken mich nicht ein."

Er musterte meine Hände, dann nickte er. „Ihr Zimmer befindet sich im Gebäude links vom Palast, Zimmer 5E. Ihren Rucksack können Sie gleich hierlassen."

Ich hätte gerne protestiert; darin befanden sich Kleidung und Andenken an meine Familie. Aber ich durfte nicht auffallen, also sagte ich nichts.

„Kleidung wird Ihnen zur Verfügung gestellt. Waffen für die nötigen Prüfungen auch", erklärte die Wache. „Viel Glück."

Er klang nicht, als würde er mir wirklich viel Glück wünschen, aber es überraschte mich nicht. Er wäre der Erste gewesen, der daran geglaubt hätte, dass ich nicht in der ersten Prüfung sterben würde. Obwohl ich in den letzten Wochen versucht hatte, zu trainieren, war ich nicht zum Kämpfen ausgebildet. Normalerweise stand ich auf der Bühne, nicht im Ring. Meine einzigen Waffen waren mein Lächeln und meine langen sandfarbenen Haare, die früher in Wellen bis zu meiner Taille gefallen waren. Während ich das Zelt verließ, fuhr ich mit der Hand durch meine Kurzhaarfrisur. Ich hatte sie abgeschnitten, weil ich glaubte, dass kurze Haare beim Kämpfen praktischer waren. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, wie ich damit aussah.

Ich fand den Weg zu meinem Zimmer nicht. Es überraschte mich nicht – das Palastgelände war so groß, dass ich das Gefühl hatte, eine ganze Stadt hätte zwischen den hohen Mauern Platz gehabt. Ich machte einen Bogen um das Hauptgebäude, um das Gebäude links vom Palast zu finden, aber dank meiner links-rechts-Schwäche landete ich schließlich im Palastgarten.

Am liebsten wäre ich länger die gepflasterten Wege zwischen den Trauerweiden und kleinen Seen hindurchgelaufen, aber die Verbundenheit zur Natur war, genau wie die Unfähigkeit, links und rechts zu unterscheiden, etwas, woran man mich als Dracai erkennen konnte. Also nahm ich den Weg zurück, den ich gekommen war – oder versuchte es zumindest. Schweißtropfen sammelten sich auf meiner Stirn, als ich bemerkte, dass ich noch tiefer in den Garten hineingelaufen war, und ich fürchtete mich bereits davor, zu spät zu kommen. Was, wenn ich bereits vor der ersten Prüfung verlieren würde? Würden sie mich nach Hause schicken oder ins Gefängnis werfen lassen? Niemand hatte mir gesagt, was mit den Leuten passierte, die das Bewerbungsverfahren nicht bestanden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der König sie einfach frei herumlaufen lassen würde, schließlich besaßen sie wertvolle Informationen über den Aufbau des Palastgeländes, den sie an potenzielle Rebellen weitergeben könnten.

Nicht, dass es eine Rebellion gegeben hätte – zumindest keine, von der ich wusste.

Der Palast war mittlerweile hinter den Bäumen des Parks nicht mehr zu sehen. Ich drehte mich im Kreis, meine Gedanken sich ebenfalls – und dann lief ich geradewegs in jemanden hinein.

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now