13 | Elawa Aikaterini Foxwish

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„Der Weg raus ist in die andere Richtung." Ambrose zog einen Mundwinkel hoch.

„Ich weiß." Ich versuchte, an ihm vorbeizustapfen, aber er hielt mich am Arm fest. Unser Blick traf sich einen Moment zu lang.

„Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?", fragte Ambrose.

„Warum willst du, dass ich etwas trinke?"

„Dein Orientierungssinn ist offensichtlich nicht der beste. Soll ich dich einfach draußen im Dunkeln herumirren lassen und hoffen, dass du nicht stirbst?"

„Du könntest mir auch einfach den Weg zurück zeigen."

Er zögerte. „Oder jemand anderes könnte das tun. Zum Beispiel Keavan, wenn er zurückkommt", sagte er dann.

„Und ich soll einfach so mit einem Fremden in sein Zimmer gehen? Mit einem Fremden, den ich heute im Schwertkampf besiegt habe und der allen Grund hat, wütend auf mich zu sein?"

Ambrose vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. „Ich bin nicht wütend auf dich", sagte er und klang beinahe, als würde er es ernst meinen. „Es war ein fairer Sieg. Wir müssen auch nicht in meinem Zimmer trinken. Ich kann den Alkohol nach draußen bringen."

„Bestechende Logik." Ich ließ mich an der Wand entlang auf den Boden sinken. Vielleicht sollte ich wirklich mehr trinken. Dann würde ich vielleicht vergessen. Früher hatte das auch funktioniert.

Ambrose verschwand in einem der Zimmer und kam wenige Minuten später mit einer Flasche Alkohol zurück. „Keavan hat mir eine Flasche dagelassen", sagte er. „Aber ich will mich nicht allein betrinken."

„Dann betrinken wir uns zusammen."

Er reichte mir die Flasche und ich trank so viel davon auf einmal, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Hustend gab ich sie ihm zurück.

Ich wusste nicht, ob es klug war, mich mit diesem völlig Fremden in einem dunkeln Flur zu betrinken. Wer wusste, was er mir antun würde, wenn ich wehrlos war? Nun hatte ich nicht einmal ein Schwert, um mich zu verteidigen. Aber jetzt gerade hatte ich genug. Genug davon, mich an alles zu erinnern, genug davon, nicht mehr atmen zu können. Genug davon, zu ertrinken. Ich hatte das Wasser immer kontrollieren können, aber bei meinen eigenen Gefühlen konnte ich das nicht. Und eines Tages würden sie mein Tod sein, dessen war ich mir sicher.

Ambrose ließ sich neben mich auf den Boden fallen und rutschte vom Mondlicht weg, das durchs Fenster hineinfiel, wodurch er viel zu dicht neben mir saß. Er trank einen Schluck aus der Flasche und sah mich von der Seite an.

Kurz schwiegen wir.

„Warum hast du kämpfen gelernt?", fragte er dann. „Nur für den Wettbewerb?"

„Ja." Meine Zunge war bereits ein wenig schwer. „Ich habe viel zu verlieren, Ambrose. Zu viel, um nicht zu trainieren."

Er starrte auf den Flur hinaus und trank einen weiteren Schluck. „Vielleicht haben wir doch mehr gemeinsam, als ich dachte."

Ich nahm ihm die Flasche weg. „Was wir sicher gemeinsam haben, ist ein Alkoholproblem", kommentierte ich trocken.

Ambrose lachte. Sein Lachen war wie seine Stimme, tief und kehlig, und vor allem war es überraschend. Ein Riss in der Eisschicht, die er sonst um sich baute. „Es ist nur ein Problem, wenn du es zu einem Problem machst."

Ich starrte auf das Mondlicht, das sich in der klaren Flüssigkeit in der Flasche in meiner Hand fing, und dachte an zersplittertes Glas und Blutspritzer auf Teppichen. An Aspirin und verschwundene Unterwäsche und den Lichtschalter, den ich immer drückte, weil niemand meine Narben sehen durfte.

„Bist du schon einmal auf einem Hochhausdach gestanden, Ambrose?", fragte ich. Meine Stimme war zu laut für die Nacht. „Bist du schon einmal auf einem Hochhausdach gestanden, hast auf eine Stadt hinuntergesehen, in der niemand deinen Namen kannte, und hast dich gefühlt, als würdest du bereits fallen? Als wäre es nur noch eine Frage von Sekunden, bis du auf dem Boden aufprallst?"

„Ich fühle mich jeden Tag, als würde ich fallen." Ambrose' Stimme klang heiser.

„Ich mich auch. Und wenn ich getrunken habe, hat sich das Fallen kurzfristig angefühlt wie eine lustige Freizeitaktivität. Wie ein Fallschirm- oder Bungeesprung. Aber irgendwann habe ich vergessen, wo oben und wo unten ist."

„Und trotzdem trinkst du wieder", stellte Ambrose mit Blick auf die Flasche in meinen Händen fest.

Ich umklammerte den Flaschenhals. So viel zum Thema ablenken. Stattdessen redete ich mit einem Fremden über meine Probleme, Probleme, die ich selbst seit Jahren verdrängte. „Ich trinke, um zu vergessen, dass ich getrunken habe", sagte ich.

Ambrose nahm mir die Flasche wieder weg. „Klingt nach einer guten Strategie."

Wieder schwiegen wir kurz.

„Und warum trinkst du?", fragte ich dann.

„Man braucht keinen Grund zum trinken."

„In einem dunklen Flur mit einer Fremden schon."

Ambrose trank einen weiteren Schluck und zuckte mit den Schultern.

„Ich habe dir so viel über mich erzählt, jetzt schuldest du mir mindestens eine Information über dich." Die Welt drehte sich um mich herum.

„Also gut. Willst du mein Tattoo sehen?"

„Du hast ein Tattoo?"

Ich wollte Ambrose erklären, dass er eindeutig zu viel getrunken hatte, aber er zog sich bereits das T-Shirt über den Kopf und drehte mir den Rücken zu. Das Mondlicht, das durch die Fenster hineinfiel, war gerade genug, um die schwarzen Umrisse auf seinem Rücken zu erkennen. Monde zogen sich seine Wirbelsäule entlang, jeder in einer anderen Mondphase. Sie waren detailliert gestochen, sodass sie beinahe realistisch aussahen. In der Mitte seines Rückens befand sich nicht nur einer, sondern drei Vollmonde, kaum merklich größer als die anderen Monde.

Mein betrunkener Blick folgte meiner Hand, als ich sie ausstreckte und mit den Fingern Ambrose' Haut streifte. „Was bedeutet es?", fragte ich vorsichtig.

Ambrose rutschte von mir weg, als hätte er sich verbrannt, und zog sich mit fahrigen Bewegungen das T-Shirt wieder an. „Nur eine Info", sagte er und sein Gesicht war plötzlich wieder verschlossen.

Ich sah ihn einen Moment zu lang an. „Tut mir leid."

„Es ist nicht deine Schuld."

„Trotzdem." Ich stand auf und musste mich an der Wand abstützen, um nicht umzufallen. Dabei fiel ich bereits. So, wie ich immer gefallen war.

„Ich sollte gehen", sagte ich. Dann taumelte ich den Flur entlang und Ambrose versuchte nicht mehr, mich aufzuhalten.

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now