40 | Ambrose McLaren

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„Leider hat es einen weiteren Mord gegeben", sagte ein Wächter, der nach vorne getreten war, als Ambrose gerade fertig gefrühstückt hatte. „Wir werden deswegen die Überwachung verstärken und weitere Verhöre durchführen. Die Aschefee muss gefunden werden."

Ambrose warf Keavan einen Blick zu, der diesem jedoch auswich. Er sah aus, als hätte er letzte Nacht kaum geschlafen. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, seine Haut war blass und bei seinen Haaren war ein grauer Ansatz zu sehen, den er dringend würde überfärben müssen, wenn er nicht auffliegen wollte. War es dieses Mal Keavan gewesen? Hatte er jemanden umgebracht? Aber warum?

Aber wenn Ambrose es gewesen wäre, hätte er es dann nicht besser vertuscht? Er war ein Assassine. Es war sein Job, es sich nicht anmerken zu lassen, wenn er jemanden umgebracht hatte.

Ambrose musste mit ihm reden, aber hier würde das Gespräch wahrscheinlich mitgehört werden. Deswegen tat er so, als würde er Keavan keine Aufmerksamkeit mehr schenken und sah dem Wächter zu, wie er aus dem Raum verschwand. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Elawa ihn ansah, aber jetzt gerade konnte er nicht mit ihr reden, obwohl ihm die letzte Nacht nicht aus dem Kopf ging. Obwohl er am liebsten ihre Hand genommen hätte und abgehauen wäre. Obwohl ihm die Gefühle, die er für sie hatte, Angst machten. Weil sie nur in Scherben enden konnten. In einem Kartenhaus, das in sich zusammenfiel. Aber jetzt gerade musste er sich auf Keavan konzentrieren. Wenn Keavan den Mord begangen hatte, würde Ambrose ihn eigenhändig umbringen, weil er sie alle in Gefahr brachte.

„Trauerweide. Jetzt", flüsterte er in Keavans Ohr, während sie das Esszimmer verließen. An diesem Morgen fand kein Test statt, weil sie beim letzten Stadium des Wettbewerbs angekommen waren. Der Palast wollte letzte Backgroundchecks durchführen und dann seine Entscheidung treffen, so lange saßen sie hier fest.

„Muss das sein?", fragte Keavan, als sie unter der Trauerweide standen. „Ich habe anderes im Kopf."

„Die Tatsache, dass du ein Mörder bist?", fragte Ambrose. Seine Stimme war nur noch ein Knurren. Keavan gefährdete seine Beförderung in die Leibgarde. Wenn der Palast herausfand, dass Keavan der Mörder war, würden sie Ambrose und Elawa ebenfalls verdächtigen, weil sie mit ihm befreundet waren.

„Ich bin kein Mörder! Ich konnte mich wirklich nicht vor den Adligen werfen!", sagte Keavan.

„Das habe ich nicht gemeint. Die Leiche, die vorhin gefunden wurde. Hast du sie umgebracht?"

„Warum sollte ich sie umgebracht haben?"

„Weil du aussiehst, als hättest du letzte Nacht nicht geschlafen."

„Du siehst auch aus, als hättest du letzte Nacht nicht geschlafen", sagte Keavan.

„Mein Privatleben tut nichts zur Sache. Du bist normalerweise so gut darin, deine Gefühle zu vertuschen. Sind deine Augenringe auch nur eine Strategie? Was hast du vor?", fragte Ambrose.

„Ich habe gar nichts vor! Ich habe nur nicht genug geschlafen, weil ich überlegt habe, ob ich mich stellen soll, okay?"

„Dich stellen? Bist du also doch der Mörder?"

„Nein, aber ich bin die Aschefee. Wenn ich mich stelle, kann ich vielleicht Tai retten."

Tai. Natürlich war Keavan deswegen aufgebracht. Er hatte sie wirklich gemocht. Ambrose wusste nicht, was er gemacht hätte, wenn Elawa aus dem Wettbewerb ausgeschieden wäre. Selbst jetzt wäre er lieber mit ihr gewesen, als mit Keavan unter einer Trauerweide zu stehen.

„Aber wenn du dich stellst, dann stirbst du", sagte Ambrose.

„Wenn ich mich nicht stelle, verrottet Tai wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens in einer Gefängniszelle und kann ihre Freundin nicht retten. Ich will das ohnehin nicht mehr machen. Ich will nicht noch weitere Leute umbringen. Die Zeit mit euch hat mir klar gemacht, wie einsam ich eigentlich bin mit all meinen falschen Identitäten und dem Blut an meinen Händen. Als ich mich bei der Assassinengilde beworben habe, war es nur eine Wette mit Freunden. Ich dachte nicht, dass sie mich behalten. Weißt du eigentlich, wie anstrengend es ist, immer auf der Flucht zu sein?" Keavan sah müde aus.

„Ja. Ich war bei der Rebellion. Wir mussten uns immer verstecken." Und mit Elawa hatte Ambrose zum ersten Mal das Gefühl gehabt, sich nicht verstecken zu müssen, obwohl sie sich in einem Palast befanden, wo überall Kameras waren. Aber er durfte jetzt nicht an sie denken. Er musste sich konzentrieren. Keavans Leben stand auf dem Spiel und sein eigenes vielleicht auch.

„Eben. Und ich glaube nicht, dass mich die Assassinengilde zu bald gehen lässt. Dafür bin ich zu gut", sagte Keavan.

„Kannst du nicht einfach schlechter sein?" Es war egoistisch. Keavans Tod wäre wahrscheinlich das Beste für sie alle gewesen. Aber Ambrose wollte nicht, dass Keavan starb. Obwohl er ihm oft auf die Nerven ging, hatten sie sich innerhalb der letzten Wochen angefreundet.

„Das würde auffallen. Ich bin der beste Assassine der Gilde und alle wissen es." Da war Keavans übliche Arroganz wieder, aber dieses Mal konnte Ambrose nicht einmal genervt von ihm sein. Dieses Mal war er zu sehr darauf konzentriert, Keavans Leben zu retten. 

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now