21 | Tai Lennox

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„Warum hast du ihn umgebracht?", fragte Tai, kaum waren sie unter der Trauerweide angekommen und hatten sich nach Kameras umgesehen. Sie musste sich bemühen, Keavan nicht anzuschreien. Nicht, weil sie überrascht war – er war ein Assassine. Menschen umzubringen war sein Job. Aber weil sein Risiko, erwischt zu werden, schon groß genug war, und wenn er erwischt wurde, würde er sie vielleicht mit sich in die Tiefe reißen. Oder zumindest hatte sie dann seine Unterstützung nicht mehr.

Keavan fuhr sich durch die Haare. „Ich habe ihn nicht umgebracht. Das ist ja das Problem."

„Aber warum sagst du dann, die Aschefee war es?"

„Weil Asche am Tatort gefunden wurde." Er sah nun sichtlich weniger aufgewühlt aus, wahrscheinlich hatte er es nur gespielt, um nicht verdächtigt zu werden. „Jemand hat jemand anderen umgebracht und es auf die Aschefee geschoben. Und jetzt werden sie wahrscheinlich Ermittlungen anstellen und es gibt ein gewisses Risiko, dass ich auffliege. Ich habe schon gehört, sie wollen alle befragen."

„Meinst du, es gibt eine zweite Aschefee im Wettbewerb?", fragte Tai.

„Nein. Ich habe den Tatort gesehen. Das war keine Aschefee. Wenn es eine Aschefee gewesen wäre, gäbe es keine Leiche. Wer auch immer das war hat keine Ahnung von Magischen Wesen und der Palast wird es als tolle Gelegenheit sehen, zu beweisen, dass Magische Wesen böse sind." Keavan ballte die Hände zu Fäusten.

„Aber sie müssten doch eigentlich gesehen haben, dass du zum Zeitpunkt des Mordes woanders warst."

„Ich war in meinem Zimmer, aber die Kameras waren im ganzen Palast deaktiviert. Es gibt keine Beweise. Wir müssen unsere Geschichten aufeinander absprechen."

„Aber welche Beweise könnte ich haben, dass du keine Aschefee bist?", fragte Tai.

Keavan wackelte mit den Augenbrauen. „Ich hätte schon eine Idee. Es gibt ... Situationen, in denen du sehen könntest, dass ich keine Flügel habe."

„Ach, wenn du keine echte Romanze mit mir haben kannst, willst du eine fiktive? Das ist ganz schön verzweifelt, meinst du nicht?" Eigentlich war Tai nicht zum Lachen zumute, aber es war die leichteste Lösung.

Keavan grinste. „In der fiktiven Romanze bist du aber heißer als im echten Leben."

Tai verzog das Gesicht und versetzte ihm einen Stoß. „Für diese Bemerkung sollte ich dich ausliefern."

„Tut mir leid. Wenn dir eine bessere Idee einfällt, bin ich für Vorschläge offen." Keavan hob lachend die Hände.

Tai schnaubte. Ihr fiel spontan auch nichts Besseres ein, zumindest nichts, was gleich glaubwürdig war. „Schon okay."

Keavan griff nach Tais Hand und sie gingen zum Schloss zurück – das mittlerweile im Chaos versunken war. Während der paar Minuten, die sie weg gewesen waren, schien sich die Nachricht über den Mord herumgesprochen zu haben. Dafür, Leibwächter sein zu wollen, waren einige hier ziemlich feige, dachte Tai, während sie sich einen Weg zwischen den lautstarken Diskussionen im Flügel der Männer hindurch bahnten. Dennoch drückte sie Keavans Hand, nicht auf romantische Weise, sondern weil sie Halt brauchte. Zu ihrer Überraschung erwiderte er den Druck.

Im nächsten Moment wurde seine Hand jedoch abrupt aus ihrer gerissen, als Ambrose ihnen entgegenkam, Keavan an den Schultern packte und ihn gegen die Wand schleuderte. Bevor Keavan die Chance hatte, sich zu wehren, lagen Ambrose' Hände an seinem Hals. Ambrose flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr, was Tai nicht hören konnte.

Keavan hob eine Hand und fixierte Ambrose aus zusammengekniffenen Augen. „Wir reden später", sagte er ohne jegliche Gefühlsregung in der Stimme. Er wirkte winzig neben Ambrose, beinahe zerbrechlich, aber vielleicht war genau das seine Stärke, dachte Tai. Man unterschätzte ihn. Dabei war er tödlich. Wusste Ambrose das?

„Ich will aber jetzt reden." Ambrose verstärkte seinen Griff um Keavans Hals und flüsterte ihm noch etwas ins Ohr, dieses Mal laut genug, dass Tai Bruchstücke hören konnte. „... kannst mich nicht mitten im Flur umbringen."

„Erstens bin ich kein Mörder. Und zweitens, selbst wenn ich es wäre, bist du egoistisch genug, dein Leben nicht zu riskieren", sagte Keavan.

„Auseinander", ging Tai dazwischen und riss Ambrose mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, von Keavan weg. Er gab überraschend schnell nach und ließ sich nach hinten ziehen, fixierte Keavan jedoch, als würde er ihm am liebsten den Hals umdrehen. Tai zweifelte nicht daran, dass das der Fall war.

„Wir reden nachher im Zimmer", sagte Keavan, bevor er sich umdrehte und zwischen den anderen Männern verschwand. Tai sah ihm nach, dann drehte sie sich zu Ambrose.

„Manchmal will ich das auch tun", kommentierte sie trocken.

Ambrose fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Du hast ja keine Ahnung."

Und so wurden Tai Lennox und Ambrose McLaren so etwas wie Freunde.

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now