7 | Elawa Aikaterini Foxwish

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Einen Moment lang standen wir nur so da, viel zu nahe beieinander, im nächsten Moment stieß Ambrose mich nach hinten. Ich rollte mich ab und gerade als er sich nach seinem Schwert bücken wollte, schlug ich ihm die flache Seite meiner Waffe in die Kniekehle. Er stürzte auf den Boden und ich kniete mich kurzerhand auf ihn, um ihm mein Schwert erneut gegen die Kehle pressen zu können, dieses Mal fester.

„Gib auf oder ich schlitze dir die Kehle auf", zischte ich, während ich seinen schnellen Atem auf meinem Gesicht spürte.

„Das darfst du nicht. Dafür werfen sie dich in den Kerker."

„Das bringt dir nichts mehr, wenn du tot bist." Ein dünnes Rinnsal Blut rann an seiner Kehle hinunter, aber falls es ihm wehtat, ließ er sich nichts anmerken. In diesem Moment pfiff der Wächter unseren Kampf ab.

Ich traute mich nicht, Ambrose anzusehen, während ich mich zurück in die Gruppe stellte und mir mit den Händen durch die kurzen Haare fuhr. Alle sahen mich an. Das Mädchen, das gegen den breitschultrigen Mann mit den Narben auf seinen Oberarmen gewonnen hatte, der aussah, als würde er jeden Tag einen Krieg führen. Ich hätte ihnen am liebsten erklärt, dass es pure Willenskraft gewesen war. Dass wahrscheinlich niemand die Position in der Leibgarde des Königs so sehr wollte wie ich. Weil das Leben meiner Familie auf dem Spiel stand. Ich wusste nicht, wie viel Ambrose zu verlieren hatte, aber es war sicher nicht so viel wie ich.

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, während ich den anderen Kämpfen zusah. Wir schrumpften schnell. Sowohl ich als auch Ambrose kamen in die nächste Runde, aber gut ein Fünftel der Teilnehmenden schied aus. Sie wurden von Wächtern weggebracht. Ich fragte mich, ob sie noch frei herumlaufen durften oder ob sie den Rest ihres Lebens in einem Kerker verbringen durften.

„In zehn Minuten gibt es Mittagessen", kündigte ein Wächter an und die Menge löste sich schnell auf. Niemand von uns wollte zu spät sein, falls die Türen zum Esssaal wieder verschlossen wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen verzichtete ich darauf, mir Blut und Dreck von der Kleidung zu waschen, und saß als eine der ersten an einem der Tische.

Ambrose kam nur wenige Sekunden später als ich an und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. Leider hatte ich mein Schwert nicht mehr, weil wir es am Eingang des Palastes hatten abgeben müssen, also starrte ich auf den Tisch vor mir und hoffte, dass ich mich in Luft auflösen würde. Ohne Schwert hatte ich keine Chance, mich zu verteidigen. Wenn Ambrose mich mitten im Esssaal angriff, weil ich ihn besiegt hatte, würde ich mich nicht wehren können. Ich würde sterben, einfach so, und mit mir auch meine Familie.

Ich hatte es verdient, zu sterben. Zumindest wenn man die Menschen hier fragte.

„Guter Kampf", sagte Ambrose. Es war mehr ein Knurren und klang nicht direkt sarkastisch, aber ich glaubte trotzdem nicht, dass er es ernst meinte.

Normalerweise war ich nicht so leicht einzuschüchtern, aber jetzt hatte ich viel zu verlieren. Der König musste sterben. Ich wusste nicht einmal, ob ich es mir leisten konnte, bis zum Ende des Wettbewerbs zu warten.

„Keine Angst, ich spiele nach den Regeln", sagte Ambrose. „Dir den Hals umzudrehen wäre zu riskant, solange du keine direkte Gefahr für mein eigenes Überleben darstellst."

„Bin ich keine direkte Gefahr für dein Überleben, wenn ich dich aus dem Wettbewerb eliminiere?"

„Noch hast du das ja nicht geschafft, oder?"

Ich sah hoch. Er grinste. Es war ein selbstsicheres, falsches Grinsen. Ambrose McLaren war kein Mensch, der grinste, nicht einfach so, nicht, wenn es keinen Grund dazu gab.

Aber ich beschloss, mitzuspielen. Die Leute hinter den Kameras davon zu überzeugen, dass ich nach den Regeln spielte. Wer überwachte uns überhaupt? Andere Wächter, das Parlament? Der König hatte wahrscheinlich anderes zu tun, als uns zuzusehen. Ich fragte mich ohnehin, warum er dieses Auswahlverfahren als Casting aufgezogen hatte. Ging es ihm wirklich darum, die besten Leute des Landes zu finden? Oder wollte er Assassinen herausfiltern, Leute wie mich, die hier waren, um ihn zu töten?

Wie lange würde es dauern, bis er meine wahren Motive herausfand?

Ich erwiderte Ambrose' Grinsen. „Noch nicht", erwiderte ich auf seine Frage, die eigentlich gar keine Frage gewesen war. In diesem Moment wurde das Essen aufgetragen und ich stopfte mir schnell den Mund mit Nudeln voll.

„Und, Ella Smith, wann hast du kämpfen gelernt?", fragte Ambrose.

Ich brauchte einige Sekundenbruchteile, um zu merken, dass ich gemeint war. Ich fühlte mich von dem Namen noch immer nicht angesprochen. Es war der Name eines Menschen, ein generischer, unauffälliger Name, der meinem richtigen kaum ähnelte. „Ich habe es mir selbst beigebracht", antwortete ich. Es war keine Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit. „Und woher hast du deine Narben?"

„Das ist eine ganz schön persönliche Frage."

„Sie ist nur persönlich, wenn du etwas zu verbergen hast."

Er grinste wieder und schob sich ein Stück von seinem Fleisch in den Mund, wahrscheinlich, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. „Dein erster Tag hier und schon versuchst du, Geheimnisse herauszufinden", sagte er dann.

„Tu nicht so, als hätte deine Frage, wo ich das Kämpfen gelernt habe, nicht genau darauf abgezielt."

Er lachte, aber sein Lachen war genauso falsch wie sein Grinsen. „Ich hatte eine Begegnung mit einem Werwolf."

Ich biss die Zähne zusammen. Werwölfe. Die gefährlichsten unter den Fabelwesen. Selbst wir Dracai fürchteten uns vor ihnen, dabei konnten wir uns sonst gegen jeden verteidigen – zumindest wenn wir unsere Magie brauchen konnten.

„Und das hast du mit ein paar Narben überlebt?", fragte ich.

Ambrose biss die Zähne zusammen. „Mein Bruder hat es gar nicht überlebt. Also ein paar Narben ist untertrieben."

Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. „Oh", stammelte ich. „Das tut mir leid. Ich wollte nicht ..."

„Schon okay", unterbrach er mich. „Es ist ein paar Jahre her."

„Willst du darum Wächter werden? Um dich an den Fabelwesen zu rächen?"

Er musterte mich einen Moment zu lange. „Ja", sagte er dann.

Vergeblich rang ich nach Luft, während ich mir wünschte, im Boden versinken zu können. Wenn er herausfand, was ich war, wollte er sich wahrscheinlich erst recht an mir rächen.

Andererseits, wenn jemand herausfand, was ich war, war Ambrose' Rache wahrscheinlich mein geringstes Problem. Ich durfte nicht hier sein. Es war Fabelwesen verboten, am Wettbewerb teilzunehmen, weil er König ihnen nicht vertraute. Und damit war er bei Weitem nicht der einzige. Selbst an den meisten Schönheitswettbewerben hätte ich nicht teilnehmen dürfen, wenn die Veranstalter gewusst hätten, dass ich kein Mensch war. Deswegen hatte ich mir bereits vor Jahren eine falsche Identität zugelegt, Ella Smith. Meine Familie hatte ich zu vergessen versucht, weil das die einzige Möglichkeit gewesen war, mit dem Schmerz zu leben, dass sie nicht mehr mit mir redeten.

„Warum willst du Wächter werden, Ella Smith?", fragte Ambrose und riss mich damit aus meinen Erinnerungen.

„Ich brauche das Geld", antwortete ich ein wenig zu schnell. Es war die Antwort, die ich mir vor dem Wettbewerb zurechtgelegt hatte, eine Antwort, die ehrlich genug klang, dass man sie nicht hinterfragen würde. „Es ist einer der bestbezahltesten Jobs des Landes."

„Und einer der gefährlichsten. Womit hast du vorher dein Geld verdient?"

„Schönheitswettbewerbe." Er hätte es ohnehin herausgefunden. Vielleicht hatte er mein Gesicht sogar schon einmal im Fernsehen gesehen.

Ambrose musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich erwartete einen Kommentar zu meinem Aussehen, aber er zuckte nur mit den Schultern und widmete sich wieder seinem Essen.

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now