2 | Elawa Aikaterini Foxwish

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„Au! Kannst du nicht aufpassen?"

Das dunkelhaarige Mädchen war hübsch, mit strengen Gesichtszügen, Sommersprossen und hohen Wangenknochen, aber für die Schönheitswettbewerbe, an denen ich teilgenommen hatte, wäre sie zu klein und wahrscheinlich auch zu kurvig gewesen. Was hier jedoch keine Rolle spielte - in einem Zweikampf hätte sie mich wahrscheinlich locker geschlagen. Schon nur bei ihrem Blick fürchtete ich, er könnte mich aufspießen.

„Sorry", sagte ich. „Ich habe mich verirrt."

„Verirrt? Bist du eine Drachenfee?" Das dunkelhaarige Mädchen lachte über seinen eigenen Witz.

Ja, hätte ich sagen sollen – zumindest nannten uns die Menschen so. Wir selbst nannten uns lieber Dracai, um nicht mit anderen Feen wie beispielsweise den Aschefeen oder Jahreszeitenfeen in Verbindung gebracht zu werden. Wir waren anders als sie. Das hatten zumindest meine Eltern immer gesagt.

„In welchem Zimmer bist du?", fragte ich, um vom Thema abzulenken.

„5E. Und du?" Sie klang nun ein wenig weniger wütend, wahrscheinlich hatte ich sie nicht ernsthaft verletzt. Trotzdem machte sie mir Angst, auch wenn sie kleiner war als ich.

„Auch 5E."

„Na dann. Wir sehen uns dort." Sie ging an mir vorbei und ich folgte ihr in sicherem Abstand, um mich nicht zu verraten.

Ich schaffte es zurück zum Zimmer und öffnete die Tür wenige Minuten nach dem dunkelhaarigen Mädchen. Die anderen drei Mädchen waren bereits anwesend und sahen mich neugierig an.

„Das Zimmer ist voll", sagte die eine, ein blondes Mädchen, wahrscheinlich einige Jahre älter als ich und sehr muskulös. „Du musst dich getäuscht haben."

„Zimmer 5E", erwiderte ich verwirrt. „Es stand an der Tür."

Sie hatte aber einen Punkt. In dem kleinen Zimmer, dessen Einrichtung ansonsten nur aus zwei Kleiderschränken bestand, gab es nur vier Betten. Ich ging zwischen den anderen hindurch, um die Tür an der hinteren Wand zu überprüfen, aber sie führte nicht zu einem weiteren Schlafzimmer, sondern ins Bad.

„Also entweder eine von euch ist hier falsch oder das ist schon der erste Test", sagte ich.

„Oder du bist hier falsch", sagte die Blondine.

„Warum sollte ich hier falsch sein? Nur weil ich später bin als ihr?", konterte ich. Ich würde garantiert nicht zulassen, dass ich bereits jetzt rausflog. Dafür hatte ich zu viel zu verlieren.

„Ich glaube auch, dass es ein Test ist", sagte eine blasse Rothaarige vorsichtig. „Die Wache hat so gegrinst, als sie mir das Zimmer zugeteilt haben. Sie wollen sicher wissen, wie wichtig uns der Job ist."

„Wir haben noch keine Waffen bekommen, also müssen wir entweder mit den Fäusten kämpfen oder es ausdiskutieren. Wie ihr wollt." Das dunkelhaarige Mädchen hatte bereits begonnen, ihren Koffer auszupacken, und schnell tat ich es ihr gleich. Ich würde hier bleiben, und wenn ich jedem dieser Mädchen dafür mit meinen Fingernägeln die Kehle aufschlitzen musste. Ich hatte nicht meine Karriere aufzugeben, um in den Palastkerker geworfen zu werden. Vielleicht war ich vorhin im Palastgarten auf Hilfe angewiesen gewesen, aber ab jetzt kämpfte ich für mich allein.

„Ich bin für ausdiskutieren", sagte das vierte Mädchen. Sie hatte dunkelbraune Haare, eine Brille und eine fast besorgniserregend zierliche Figur. Sie sah aus wie die Mädchen backstage, die sehnsüchtig das Essen vom Catering anstarrten, aber nichts davon aßen.

„Ich auch", sagte die Rothaarige.

„Ich bin für Kämpfen", widersprach die Blondine. „Dann sehen wir gleich, wer von uns es wirklich verdient, hier zu sein."

„Ich auch", sagte die Dunkelhaarige.

Nun sahen alle mich an. Ich überlegte. Einerseits lief ich beim Diskutieren in Gefahr, mich zu verraten. Zwar hatte ich mehr mit dem Schwert trainiert, aber ich hatte während meiner Zeit als Schönheitskönigin Taekwondo gemacht und konnte mich zumindest verteidigen. Außerdem musste ich ja nicht gewinnen. Stärker zu sein als zumindest jemand von den anderen reichte und beim zerbrechlich aussehenden Mädchen mit den dunkelbraunen Haaren sollte das nicht allzu schwer sein.

Andererseits wollte ich nicht kämpfen, nicht gegen Leute wie die Dunkelhaarige und die muskulöse Blondine – und ich wollte mich auch nicht entwürdigend auf dem Boden wälzen, während Kameras uns womöglich dabei beobachteten.

„Ich bin für Ausdiskutieren", sagte ich und setzte mich auf eines der beiden Stockbetten. Vielleicht würden die anderen so zumindest nicht auf die Idee kommen, dass ich etwas zu verbergen hatte. „Ich fange an. Ich bin Ella, neunzehn und habe meine Karriere als Model und Schönheitskönigin aufgegeben, um hier zu sein." Die Karriere erwähnte ich nur, um mir Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. „Ich bin für meine Familie hier", fuhr ich dann fort. „Weil es einer der bestbezahltesten Jobs des Landes ist und ich das Geld für meine kleine Schwester brauche."

Es war eine Lüge, oder zumindest der zweite Teil davon. Ich war wirklich wegen meiner Familie hier, aber nicht, um meine kleine Schwester zu retten. Zumindest nicht nur.

„Ich glaube dir nicht. Aber gut, überzeugende Lügen kann ich auch erfinden. Ich bin Tia, einundzwanzig und hier, weil ich die Welt retten muss", sagte die Dunkelhaarige.

„Das war keine Lüge!", log ich und bemühte mich, empört zu klingen. Wenn ich die verletzliche Fassade aufrechterhielt, würden mich die anderen vielleicht unterschätzen. Und mir glauben. Sie mussten mir glauben.

„Ich bin Ravyn", sagte das Mädchen mit den dunkelbraunen Haaren. „Und ich bin hier, weil ich Arbeit brauche."

„Was ist das hier überhaupt für eine Diskussion?", mischte sich die Blondine ein. „Wir wissen doch alle genau, wer gehen muss!"

Ich drehte mich just in dem Moment zu ihr um, als jemand aufschrie. Ravyn stürzte zu Boden und griff sich an die Kehle. Blut spritzte auf den Boden, tropfte von der Klinge der Blondine.

„Ich bin Zara", sagte sie. „Und hier, um die Welt von Fabelwesen zu befreien."

Ravyn stieß einen erstickten Schrei aus.

„Ich weiß, dass du eine Fee bist!", schrie Zara sie an. „Du trägst einen Pulli! Im Sommer! Du hast darunter garantiert Flügel!"

Ich rutschte auf dem Bett von Ravyn und Zara weg und starrte das sterbende Mädchen auf dem Sofa an. Niemand versuchte, ihr zur Hilfe zu eilen. Sie sahen ihr alle nur zu, wie sie langsam verblutete, bis ihre röchelnden Atemzüge verstummten und Stille im Zimmer zurückblieb, Stille, die mir selbst das Gefühl gab, nicht mehr atmen zu können, als hätte Zara meine Kehle aufgeschlitzt statt Ravyns. Es hätte genausogut meine Kehle sein können. Vielleicht, wenn ich früher gekommen wäre, hätte sie herausgefunden, dass ich auch eine Fee bin. Vielleicht würde sie es herausfinden, wenn ich noch länger hier blieb. Woher hatte sie überhaupt ein Messer? Es musste eine dieser Spezialanfertigungen sein, die nicht von Metalldetektoren erkannt wurden. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich wurde immer weiter herabgerissen. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Nun würde nicht nur meine Familie sterben, sondern auch ich, in diesem Zimmer, womöglich noch vor der ersten Prüfung.

Ich bekam nur am Rande mit, wie zwei Wächter ins Zimmer stürzten und Zara und Ravyn herauszerrten. Obwohl sie die Tür hinter sich zuknallten, hörte ich, wie sie feststellten, dass Ravyn tatsächlich eine Fee gewesen war – wahrscheinlich nachdem sie ihr den Pulli ausgezogen hatten – und Zara aus dem Wettbewerb verbannten. Nicht, weil sie Ravyn umgebracht hatte, sondern weil sie unerlaubterweise eine Klinge bei sich getragen hatte. Nun wusste ich auch, warum sie sich nicht die Mühe gemacht hatten, zu überprüfen, ob ich ein Mensch oder ein Fabelwesen war – Fabelwesen starben ohnehin innerhalb von kürzester Zeit, wenn sie von einem Teilnehmer enttarnt wurde. Vielleicht verschafften es mir einen Vorteil, dass ich im Gegensatz zu Ravyn keine Flügel hatte, aber ich wusste nicht, wie weit mich das bringen würde.

Ich zupfte meine Handschuhe zurecht und versuchte, ein normales Gesicht aufzusetzen. Es gelang mir wahrscheinlich nicht, aber wenigstens sah die Rothaarige genauso schockiert aus, wie ich mich fühlte. Nur Tia schien das Ganze nichts auszumachen. Sie fuhr unbeeindruckt damit fort, ihren Koffer auszupacken und die Kleidung in den Schrank neben den Betten zu räumen.

Bis wir per Lautsprecherdurchsage zum Essen gerufen wurden, sagte niemand von uns mehr etwas.

Ein Thron aus Eis und AscheWhere stories live. Discover now