CHAPTER TWO: Die Gang

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Die Stimmen werden erst etwas leise, nur um dann einige Augenblicke später, wieder deutlicher in der Dunkelheit aufzutauchen. Ich kann noch niemanden sehen, aber ich bin ganz sicher, dass sich die Menschen, die zu den besorgten Rufen gehören, nicht mehr weitentfernt von mir und dem jungen Mann befinden, der offensichtlich auf den Namen Steve zuhören scheint.

Mein skeptischer Blick gleitet zu ihm, als ich abzuschätzen versuche, ob von ihm eine Gefahr ausgeht oder nicht, doch so sehr ich ihn auch mustere, ich kann, allein von seinem Anblick ausgehend, unmöglich eine Antwort auf diese Frage finden. Ich gehe einen vorsichtigen, aber bestimmten Schritt zurück. Steve scheint meine Unsicherheit sofort zu bemerken, auch wenn ich so weit entfernt stehe, dass ich im ohnehin schon schwachen Licht der Taschenlampe in seiner Hand kaum noch zu sehen bin.

»Keine Angst«, sagt er, gerade so laut, dass ich ihn verstehen kann.

Ich überlege und streiche mir fahrig eine Strähne meiner kupferroten Locken hinters Ohr, die unter meiner Kapuze hervorgekrochen ist und mich nun am Gesicht kitzelt. Ich wäge in Gedanken meine Optionen ab und muss ernüchtert feststellen, dass ich bei einer Flucht nur schlechte Karten haben würde. Auf der anderen Seite habe ich auch nicht unbedingt das Gefühl, dass von Steve irgendeine all zu große Gefahr ausgeht und mein Reflex sich vor ihm zu flüchten eher darauf beruht, dass ich das immer tue. Abhauen; bloß niemanden kennenlernen und schon gar nicht in dieser gottverdammten Stadt, die einst so etwas wie mein Zuhause gewesen ist.

»Ich will dir nichts tun«, meldet sich Steve noch einmal vorsichtig zu Wort. Um seine Worte zu unterstreichen, geht er einen Schritt zurück.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich mich in Verteidigungshaltung begeben habe und schüttle meine verspannten Schultern aus. »Ich habe keine Angst vor dir«, antworte ich und versuche mit aller Kraft, dass meine Stimme sich gefestigt und mutig anhört. Ob es mir gelingt kann ich nicht sagen, aber es fühlt sich gut an, nicht mehr nur stillschweigend da zu stehen und ihn anzustarren.

Steve scheint sich ebenfalls etwas zu entspannen. Er atmet hörbar durch die Zähne aus. »Du verstehst unsere Sprache. Das ist gut.«

Mir fällt keine Antwort darauf ein, deshalb nicke ich nur, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob er das in dem schwachen Licht überhaupt sehen kann. In Gedanken überlege ich was ich sagen kann, weil die Stille zwischen uns unbehaglich wird, da fallen mir die Stimmen wieder auf, die noch zuvor wie verrückt nach Steve gerufen haben und nun zwar nicht mehr schreien, aber immer noch deutlich zu hören sind. Sie kommen aus dem Wald, direkt aus der Richtung, aus der auch Steve gekommen zu sein scheint und nur wenige Augenblicke, nach dem ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, tauchen drei weitere Silhouetten hinter ihm auf. Sie gehören zu einem Mädchen, ungefähr im selben Alter wie ich, einem Jungen mit dunkler Hautfarbe und einem weiteren Jungen, dessen unbändige Locken ich sogar im Dunkeln erkennen kann.

»Gott sei Dank!«, ruft das Mädchen erleichtert aus, als sie Steve erblickt. Sie scheint noch mehr sagen zu wollen, wird aber unsanft von dem Jungen mit den Locken unterbrochen.

»Du musst deine Stimme verloren haben, Harrington, ansonsten kann ich mir nicht erklären, weshalb du uns nicht antworten konntest und stattdessen hier - «, er macht eine kurze Pause. »Was genau machst du hier eigentlich?«

Mir fällt zuerst das Lispeln auf, dann, dass außer der Wut in seiner Stimme noch eine weitere Sache mitschwingt; grenzenlose Erleichterung. Sie scheinen sich nahe zu stehen, sie alle – das kann ich selbst in dem kurzen Moment, wo ich sie zusammen sehe, erkennen und für eine Sekunde flackert Neid in mir auf. Dann straffe ich die Schultern und verscheuche diesen Gedanken. Keiner der dreischeint Notiz von mir zu nehmen, doch dann dreht Steve sich zu ihnen um und für einen Moment liegt der Kegel seiner Taschenlampe auf mir.

»Hinter dir, Steve! Da steht Jemand!«, ruft der Kleinere der beiden Jungs –der mit den Locken – erschrocken und greift nach dem Arm seines Freundes um ihn zu sich zu ziehen.

Ichbeobachte wie Steve sich aus dem Griff windet. »Ach, sag bloß!«, grummelt er. »Hab ich fast übersehen, weil ich so gefesselt von der Landschaft hier bin.« Seine Stimme trieft vor Sarkasmus und auch wenn ich es nicht sehen kann, würde ich fast darauf wetten, dass er die Augen verdreht.

Mir entwischt ein leises Kichern, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zieht.

»Das ist..« Steve will mich vorstellen, hält im Satz jedoch inne –wahrscheinlich, weil ihm klar wird, dass er genauso viel über mich weiß, wie ich über ihn und seine Freunde und obwohl ich noch vor wenigen Minuten am liebsten abgehauen wäre, hab ich nun das Gefühl, dass ich ihnen vertrauen kann.

»Megan«, vollende ich seinen Satz und kann nicht verhindern, dass meine Stimme amüsiert klingt.

»Megan«, wiederholt er leise, als könnte er sich meinen Namen besser merken, wenn er ihm selbst einmal über die Lippen gekommen ist, dann deutet er auf das Mädchen hinter sich. »Das ist Robin. Und das - « Erzeigt zuerst auf den Jungen mit den Locken und dann auf den anderen, der sich bislang nur im Hintergrund hält. »- sind Dustin und Lucas.«

»Freut mich euch kennen zu lernen.«

»Freut uns auch«, sagt Dustin schnell. Ich kann sehen wie er Steve einen skeptischen Blick zuwirft und auch er scheint zu bemerken, dass ich ihn ansehe, denn er fügt noch ein aufrichtiges »Wirklich« hinzu.

»Absolut«, stimmt Robin nickend zu. Ihr Gesichtsausdruck bildet einen merkwürdigen Kontrast zu ihren Worten, denn sie sieht weniger erfreut und viel mehr besorgt aus. Ich kann es ihnen nicht verübeln und ignoriere den Drang mich zu erklären und ihr die Angst zunehmen. Sie ergreift ziemlich schnell das Wort und wendet sich Steve zu. »Dürfen wir trotzdem wissen was hier los ist?«

Sie sind während dem kurzen Gespräch näher an mich herangetreten. Steve steht jetzt fast direkt neben mir, weshalb ich sein Gesicht wesentlich deutlicher sehen kann. Er setzt zu einer Antwort an, schließt den Mund aber gleich wieder. Er scheint nicht zu wissen was er darauf antworten soll und auch ich brauche einen Moment um mir meine Worte zurecht zu legen.

»Wir sind uns zufällig hier begegnet. Ich wohne in dem Motel auf der anderen Seite vom Wald«, erkläre ich mit fester Stimme. »Ich konnte nicht schlafen und bin hier gelandet.«

»Du bist durch den Wald spaziert?« Dustins Stimme klingt ungläubig.

Ich nicke nur.

»Allein?«, hakt er nach.

Wieder nicke ich.

»Das ist entweder mutig oder ziemlich bescheuert.«

Robin knufft ihm in die Seite und wirft ihm einen warnenden Blick zu. »Entschuldige, er ist manchmal ein bisschen vorlaut«, richtet sie ihre Worte an mich. »Aber es ist wirklich nicht besonders sicher.«

Meine Mundwinkel zucken und ich kann nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken. »Ich weiß mich schon zu wehren, aber danke für die Warnung.«

»Es gab Erdbeben, schlimme Erdbeben«, sagt Dustin nun wieder. »Du solltest wirklich nicht alleine durch die Gegend laufen. Schon gar nicht Nachts.«

»Ich hab davon gehört.« Mein Blick wandert zurück zum Labor und das eigenartige, schmerzhafte Ziehen kehrt in meine Brust zurück, als hätte es nur darauf gelauert mich wieder zu überwältigen. Ich hole tief Luft, dann zwinge ich mich dazu den Blick abzuwenden. Steve sieht mich von der Seite mit einer Mischung aus Skepsis und Neugierde an. Ich kann seinen Augen nicht standhalten und sehe weg. Als ich spreche, klingt meine Stimme gefestigter, als ich mich fühle. Ohne einen von ihnen zu genau anzusehen, wende ich mich ab. »Ich sollte zurück gehen. Danke, dass ihr euch um mich gesorgt habt.«

»Jetzt will sie schon wieder alleine losrennen«, höre ich Dustin mit zischender Stimme sagen. »Steve!«

Steve zögert einen Moment, dann höre ich auch seine Stimme erneut. »Megan, warte..«

Ich drehe mich widerwillig um und sehe in seine Richtung.

»Wir können dich bringen - «, sagt er vorsichtig. »Dustin hat nicht oft Recht, aber damit schon. Du solltest Nachts nicht alleine unterwegs sein.«

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now