CHAPTER SIXTEEN: Ein kleines bisschen Frieden

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Der Himmel verfärbt sich bereits Orange, als ich schließlich, nach ewigen Stunden, aus der Hütte trete. Gierig sauge ich die frische Luft in meine Lungen und erst jetzt fällt mir auf, dass ich mich fast einen ganzen Tag in dem kleinen Gebäude aus Holz aufgehalten habe, welches mir noch vor wenigen Tagen völlig fremd gewesen ist und welches ich nun, wahrscheinlich für immer, in meinen Erinnerungen haben würde. Ein dumpfer, pochender Schmerz hat sich in meinem Kopf, direkt hinter meiner Stirn, breit gemacht, weshalb ich die Augen zusammenkneife, als mich das Tageslicht blendet. Von all den neuen Informationen ist mir schwindelig und auch wenn ich es versuchen würde, so könnte ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Es ist zu viel Wissen, welches geordnet und sorgsam wie ein Puzzle zusammengefügt werden muss, doch bevor ich das tue, muss ich mich ausruhen. Jeder Teil meines Körper schreit vor Erschöpfung. Einen Moment bereue ich, dass ich mich nicht auch, wie Robin, Nancy, Dustin und die anderen zum Schlafen einfach auf eines der Sofas gelegt habe, dann denke ich, an eine warme Dusche und frische Klamotten und gehe seufzend einen Schritt weiter nach draußen.

Zwischen den Baumkronen einiger der Tannen, fallen vereinzelt Sonnenstrahlen hindurch und bilden ein faszinierendes Muster auf dem von Tau beflecktem Boden. Ich bleibe noch einmal kurz stehen und genieße die Stille, welche sich über die Welt gelegt zu haben scheint. Alles Düstere, was die letzten Stunden Thema gewesen ist, rückt in den Hintergrund; wenigstens für diesen einen kurzen Moment.

»Du willst doch wohl nicht zu Fuß gehen, oder?«

Ich habe nicht bemerkt, dass mir jemand gefolgt ist, weshalb ich erschrocken zusammenfahre, als ich eine männliche Stimme hinter mir vernehme. Es dauert kurz, bis ich sie erkenne und mein Puls sich wieder beruhigt.

»Sorry«, wispert Steve, als würde er Angst haben, einen von den anderen zu wecken. Er steht am Geländer der kleinen Holztreppe, eine Hand in seiner Jackentasche vergraben, während er sich mit der anderen lässig an einem der Pfosten abstützt. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schon gut«, winke ich ab. »Ist nicht deine Schuld. Ich war in Gedanken.«

Steve nickt wissend. »Das kann ich mir gut vorstellen«, sagt er; immer noch leise. Einen Moment scheint er nicht zu wissen, was er sagen soll, dann mustert er mich eindringlich. »Geht es dir gut?«

Überrascht neige ich den Kopf ein kleines Stück zur Seite. Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet, weshalb ich nicht sofort antworten kann. Ich überlege was ich sagen soll, dann zucke ich mit den Schultern. »Es ging mir schon wesentlich schlechter«, gebe ich zurück. »Ich würde allerdings lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir keine Sorgen mache.«

Wieder nickt er, als würde er genau verstehen, was ich meine.

Als er nichts sagt, frage ich: »Und dir?«

»Hm?«

»Geht es dir gut?«, helfe ich ihm auf die Sprünge und merke als ich es ausspreche, dass ich die Antwort wirklich wissen will.

»Jetzt gerade?« Er lächelt leicht, aber es ist kein glückliches Lächeln, sondern wirkt aufgesetzt. »Wenn ja, dann ist es jetzt gerade ganz okay.«

Ein leises »Okay«, ist alles was mir als Antwort einfällt, obwohl ich ihm gerne etwas Mut machen würde. Nichts von all dem was mir an Wörtern im Kopf herumschwirrt, wäre allerdings hilfreich, weshalb ich es gar nicht erst versuche. Geräuschlos atme ich tief aus und deute mit einem Nicken meines Kopfes hinter mich. »Ich wollte zurück ins Motel gehen. Duschen, was frisches anziehen und ein bisschen die Augen zumachen. Wenn es euch nichts ausmacht, dann würde ich danach gerne wieder kommen.«

»Du wolltest also wirklich zu Fuß gehen«, stellt er amüsiert fest, ohne dabei auf meine Worte einzugehen. Er lacht leise auf.

Es ist das erste Mal, dass ich ihn wirklich lachen höre und ich muss zugeben, dass mir der Klang und dass ich selbst aus dieser Entfernung seine Augen glänzen sehen kann, gefällt.

»Ja«, stoße ich hervor und schiebe den Gedanken zur Seite. »Und?«

Steve beäugt mich belustigt. »Du kannst dich aber schon noch an den Weg hierher erinnern, oder? Wir sind hier quasi im Nirgendwo.«

Ich denke an die holprige Autofahrt mit Robin und verziehe das Gesicht. Er hat Recht. Wahrscheinlich wäre ich den halben Tag unterwegs und fast erfroren, wenn ich überhaupt den Weg finden und am Motel ankommen würde.

Steve zieht seine Hand aus seiner Jackentasche hervor, als er meinen Gesichtsausdruck sieht. Von seinem Lachen ist immer noch ein Schmunzeln auf seinen Lippen zurück geblieben. Klimpernd wedelt er mit einem Schlüsselbund herum. »Keine Sorge, ich kann dich fahren«, sagt er. »Mein Auto steht hinter der Hütte.«

Ich lächle ebenfalls, kann aber den Anflug von einem schlechten Gewissen nicht unterdrücken. »Bist du sicher, dass du nicht auch noch ein wenig schlafen möchtest?«, frage ich ihn.

»Ach, was. Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.« Er zwinkert mir zu, ehe er mir mit einem Kopfnicken bedeutet, ihm zu folgen. Obwohl ich weiß, dass seine Worte scherzhaft gemeint sind, zucke ich kurz zusammen. Bei allem was ich in den letzten Stunden gehört habe, kommt mir der Satz auf einmal viel bedrohlicher vor, als er es sonst tun würde. Er bemerkt meinen Stimmungswandel nicht, sondern tritt mit schnellen, gezielten Schritten die Treppe nach unten. Mit einem kleinen Abstand folge ich ihm. Bis zu seinem Auto hüllen wir uns in Schweigen und lediglich das Knistern und Knacken des Gestrüpps und der Blätter unter unseren Füßen ist zu hören. Zum zweiten Mal in den letzten Tagen, nehme ich auf dem Beifahrersitz in Steve seinem Wagen Platz und wieder fällt mir der angenehme Geruch auf, der von ihm ausgeht und sich mit dem des Autos mischt.

»Anschnallen, bitte!«, fordert er mich auf, als er den Schlüssel ins Zündschloss steckt und den Motor startet.

Ich muss lachen und halte mir kurz eine Hand an die Stirn, als würde ich salutieren. »Zu Befehl.«

Die Fahrt mit ihm ist um einiges angenehmer als die mit Robin. Zumindest muss ich mir keine Sorgen darüber machen, dass wir einen Unfall verursachen würden. Sicher lenkt er den Wagen durch das Unterholz; vorbei an den immer gleich aussehenden Bäumen und schließlich auf die kleine Straße, der wir folgen, bis der Schotter des Motelparkplatzes unter den Reifen zu knirschen beginnt. Als wir zum stehen kommen, nestle ich umständlich an meinem Gurt herum. Es ist albern, aber bei dem Gedanken alleine zu sein, überkommt mich ein seltsames, unangenehmes Gefühl.

»Alles in Ordnung?«

Als Steve mich anspricht, sehe ich von meinen Fingern auf, die weiter rastlos auf dem Stoff des Gurtes herum trommeln. Er hat eine Augenbraue hochgezogen und mustert mich fragend.

Ich nicke kurz. »Es ist vollkommen lächerlich«, gebe ich als Antwort und überlege ob ich überhaupt weitersprechen soll. Als er nicht wegsieht, aber auch keine Anstalten macht etwas zu sagen, ergreife ich doch wieder das Wort und entscheide mich dazu einfach ehrlich zu sein. Was war schon dabei? »Ich weiß auch nicht. Ich finde die Vorstellung komisch gleich alleine zu sein«, sage ich leise und merke, dass meine Wangen warm werden, als ich erröte. Es ist mir unangenehm mich vor ihm oder einem der anderen so schwach zu zeigen. Die Tatsache, dass ich sehr wohl, mehr als wahrscheinlich jeder von ihnen, in der Lage bin mich zu verteidigen, macht es nicht besser.

»Okay...« Steve atmet hörbar ein und schnallt sich im gleichen Moment ab. »Ich kann dich reinbringen, wenn du möchtest.«

»Wenn das für dich in Ordnung ist?«

Er nickt. »Kein Problem.«

Dankbarkeit überkommt mich und ich schenke ihm ein Lächeln. »Danke, Steve«, murmle ich und spreche zum ersten Mal seinen Namen aus. In meinem Kopf taucht das Bild von vorhin auf; er oben am Absatz der Treppe, wie er amüsiert auflacht. Einen Moment kommt es mir so vor, als würden wir uns schon viel länger kennen und die Peinlichkeit darüber, dass ich vor ihm zugegeben habe, dass ich mich unwohl damit fühle, alleine zu sein, verschwindet. Zusammen gehen wir nebeneinander über den Parkplatz. Als wir das Zimmer betreten, habe ich das Gefühl, als wäre ich Ewigkeiten weg gewesen, doch die Zeitschriften, die Robin sich nur einen Tag vorher mitgebracht hat, liegen immer noch ungelesen herum und mein Bett ist ungemacht.

Steve bleibt in der Mitte des Raums stehen. Er sieht unschlüssig hin und her.

»Setz dich einfach irgendwo hin. Oder schlaf ein bisschen«, sage ich, während ich im Kleiderschrank nach frischen Sachen suche. »Ich gehe nur eben -« Ich zeige in die Richtung, in der das Badezimmer liegt. »- duschen.«

Er nickt, bleibt aber noch einen kurzen Moment auf der Stelle stehen, bis ich mich auf den Weg mache.

Durch den Spalt der sich schließenden Tür, kann ich sehen, wie er sich schließlich auf den Stuhl in der Ecke sinken lässt, den Kopf an die Wand lehnt und die Augen schließt.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now