CHAPTER TWENTYSIX: Ein kläglicher Versuch

51 7 3
                                    


Es ist das Gefühl des direkt bevorstehenden Todes, welches durch meine Adern rauscht und mein Herz schneller schlagen lässt; da bin ich mir sicher. Es überfällt mich eiskalt, lässt meine Knie und Hände schlottern und eine Gänsehaut jagt über meinen gesamten Körper. Es wird so kalt um mich herum, zumindest bilde ich mir das ein, dass mir das Atmen schwerer fällt. Hier werde ich also sterben, denke ich, aber obwohl ich weiß, dass mich der Gedanke panisch werden lassen sollte, bin ich ganz ruhig. Nicht der beste Ort, nicht die richtige Zeit, aber es erleichtert mich beinahe ein wenig, dass ich anstelle der anderen sterben würde. Vielleicht würde mein Tot ihnen genug Zeit verschaffen um abzuhauen.

Ich sehe zum Himmel, der weiterhin von roten Blitzen erhellt wird. Immerhin ein besserer letzter Anblick, als die Fratze, die sich zu einer boshaften Grimasse verzogen, vor mir befindet. Durch die Baumkronen kann ich die merkwürdigen Fledermäuse sehen, die in einer chaotischen Masse über unsere Köpfe fliegen. Das Rauschen ihrer schweren Flügen hallt durch die Nacht. Sie bewachen ihren Meister, als würde er ihren Schutz brauchen, dabei strahlt die gesamte Präsenz von Vecna aus, dass er diese wohl kaum benötigt. Am liebsten würde ich auflachen, so absurd kommt mir das Ganze vor, aber der Laut bleibt mir in der Kehle stecken und kommt nur als lächerliches Fiepsen heraus.

Ich habe Angst; die Tatsache lässt sich nur schwer leugnen. Und doch fällt es mir erstaunlich leicht an Ort und Stelle stehen zu bleiben und nicht zu flüchten.

»Du bist töricht, Megan«, zischt seine tiefe, bedrohliche Stimme mir entgegen. Ich bin froh, dass er nicht mehr wie Steve aussieht. Dass ich nicht weitere Drohungen und Beschimpfungen hören und in Steve sein sanftmütiges Gesicht sehen muss. Es ist albern, aber ich möchte keine Verachtung auf seinen vertrauten Gesichtszügen sehen, bevor ich sterbe, sondern ihn in Erinnerung behalten, wie ich ihn kennen gelernt habe. Und lieben.

Liebe ist ein großes Wort. Wahrscheinlich zu groß für das anfängliche Kribbeln, welches ich in seiner Nähe verspürt habe und auch wenn ich nicht von der gleichen unendlichen Liebe reden kann, über die ich schon so viel gehört habe; in Filmen und in Büchern; so kann ich doch sagen, dass irgendein Teil von mir, sie alle lieben gelernt hat. Auf unterschiedliche Weise und zart, wie eine frisch aufgekeimte Knospe. Es ist mehr, als ich erwartet habe zu bekommen, als ich nach Hawkins zurückgekehrt bin und auch wenn es nur von kurzer Dauer war, so bin ich doch dankbar dafür, dass ich ein kleines bisschen Freundschaft und ein kleines bisschen Zugehörigkeit erfahren durfte.

»Und schwach«, fährt Vecna fort. Sein zischender Monolog löst Ekel in mir aus. »Du bist schon immer schwach gewesen, Megan, oder? All die Misshandlungen; all das Leid.«

Er lacht kurz auf; ein seltsam unmenschlicher Ton.

»Du hast nie auch nur daran gedacht dich zu wehren, all die Jahre. Und dabei haben sie dir ebenfalls alles genommen. Papa -« Er spuckt den Namen aus und klingt bei dem einen Wort noch hasserfüllter als ohnehin schon. »Er hat dich benutzt und du hast es zugelassen.«

»Ich war ein Kind«, gebe ich bissig zurück. Ich beiße mir auf die Lippe; so fest, dass ich Blut schmecke und bereue es sofort, dass ich überhaupt darauf eingegangen bin.

»Na und? Das ist deine Entschuldigung? Das war ich auch. Und doch haben sie mich nicht brechen können. Sie haben mich kontrollieren müssen; mir meine Macht rauben müssen, damit ich sie nicht vernichte. So wie ich einst meine Familie vernichtet habe. Aber du« Vecna macht eine kurze Pause. »Du hast es einfach über dich ergehen lassen. Weil du schwach warst.«

Ich kneife meine Lippen fester zusammen um nicht die Beherrschung zu verlieren und starre ihn nur wütend an. Hass keimt in jeder Faser meines Körpers hoch.

»Und jetzt stehst du hier«, fährt er fort. »Und wieder hast du nicht den Mut dich zu wehren. Nicht einmal, wenn wieder Menschen wegen dir sterben werden.«

Mein Herz setzt einen Moment aus und ich muss schlucken, damit ich nicht losschreie.

»Du weißt wovon ich spreche, oder? Es war deine Schuld, Megan. Damals auch. Und jetzt wird es deine Schuld sein, dass deine Freunde alleine sterben, bei dem kläglichen Versuch dich irgendwie zu retten.«

Ich schüttle den Kopf. Nein.

»Glaubst du wirklich, dass sie dir nicht versuchen werden zu folgen?«, fragt er, wartet aber keine Antwort ab. »Und dann werde ich hier sein. Du hast es mir so viel leichter gemacht.«

Für einen Moment denke ich tatsächlich darüber nach, ob ich fliehen kann, doch das Kreischen am Himmel ist Antwort genug. Ich habe keine Chance. Nicht gegen so viele. Steve hat Recht gehabt. Aber vielleicht, nur vielleicht, kann ich ihnen zumindest Zeit verschaffen. Ich hoffe, dass sie mich hier nicht finden werden. Sie haben absolut keine Ahnung wo sie mich suchen sollen, aber falls doch, dann ist das hier ihr sicherer Untergang. Der Gedanke allein reicht um erneut Wut in mir hoch kochen zu lassen.

Meine Fingerspitzen kribbeln und dieses Mal gebe ich dem Verlangen nach. Meine Hand schnellt nach oben und der Überraschungsmoment ist auf meiner Seite. Ich schleudere Vecnas Körper nach hinten; so fest, dass er ein paar Meter weiter gegen einen Baum gedrückt wird. Natürlich reicht das nicht. Er kommt fast automatisch wieder auf die Beine. Sein höhnisches Lachen hallt mir entgegen. Ich erinnere mich daran, dass Dustin etwas davon gesagt hat, dass Vecna höchstwahrscheinlich geschwächt ist, doch die Kreatur die vor mir steht, ist auf keinen Fall schwach.

»Erinnerst du dich noch daran, was das letzte Mal passiert ist?«

Er tut so, als wäre mein Angriff gar nicht geschehen.

Ich ahne worauf er hinaus will. »Nichts von all dem war meine Schuld«, verteidige ich mich unnötigerweise. Er will ohnehin nicht hören was ich zu sagen habe.

»Sie ist deinetwegen gestorben«, sagt er zischend. »Du hast sie getötet.«

»Nein.«

Mein Kopf fängt an weh zu tun und meine Hände zittern. Das Kreischen von Reifen und der Geruch von brennendem Gummi steigt mir in die Nase. Mehrere Fußgänger laufen hektisch an mir vorbei. Sie knien sich über den blutenden Körper, der auf dem Zebrastreifen liegt. Sie atmet noch, ich kann es sehen, aber ihre Augen sind geschlossen. Aus der Wunde an ihrem Kopf fließt das Blut in Strömen heraus. Jemand drückt ein Stück Stoff darauf und ich sehe dabei zu wie der Fetzen sich in kürzester Zeit Rot färbt. Nein. Ich möchte schreien; kneife meine Augen zusammen, aber die Bilder verschwinden nicht.

Meine Hände, jünger als sie jetzt sind, strecken sich nach der Frau aus, die auf eine Trage gehoben wird. »Du musst aufpassen, Megan. Du musst dich besser kontrollieren«, höre ich sie schimpfen, kurz bevor der dunkelblaue Ford schlingernd und mit quietschenden Reifen auf uns zu schlittert.

»Es war ein Unfall«, schreie ich. Ich weiß nicht ob ich ihn überzeugen will oder mich selbst. Ein lodernder, alter Schmerz taucht in meinem Herzen auf. Das Gefühl von Verlust ist so allgegenwärtig und zeichnet sich wie ein dunkles Omen erneut vor mir ab. Doch dieses Mal kann ich mich dagegen wehren, kann versuchen, Steve, Dustin und Robin zu retten. Sie und all die anderen. Ich muss es versuchen.

Ich hebe erneut die Hand. Dieses Mal spüre ich meine Kräfte deutlicher aufsteigen. Mit voller Wucht ramme ich Vecna eine unsichtbare Waffe entgegen und dieses Mal schaffe ich es, dass er von den Füßen gerissen wird. Ein Baumstamm direkt neben ihm taucht in meinem Bewusstsein auf und ich lasse ihn mit einem Kopfnicken zur Seite kippen, sodass er direkt über ihm landet. Keuchend stütze ich mich mit meinen Händen auf meinen Oberschenkeln ab und hole tief Luft. Die Aktion hat mich angestrengt, aber nicht mehr so wie der Angriff auf den Demogorgon. Es kommt mir vor, als wäre das eine Ewigkeit her, dabei sind es erst wenige Wochen. Ich bin stärker geworden; das kann ich ganz deutlich spüren.

Nur nicht stark genug.

Der Baumstamm ächzt und knackt, als er sich anhebt. Nur wenig später steht Vecna wieder kerzengerade vor mir. »Gib auf, Megan«, zischt er mir entgegen. »Du weißt, dass du das möchtest.«

Wieder schüttle ich den Kopf. Eine stumme Antwort. Aufgeben ist nicht das was ich in diesem Moment möchte: Ich möchte mich wehren. So gerne, doch dieses Mal bin ich es, die von einer unsichtbaren Kraft nach hinten geschleudert wird. Er muss dafür nicht einmal eine Hand heben. Der Aufprall ist hart und für einen Moment bleibt mir die Luft weg. Ich keuche, quäle mich aber unter Schmerzen wieder auf. Gerade als ich mich zu ihm umdrehe, werde ich erneut nach hinten geschleudert. Mein Hinterkopf knallt gegen einen der alten, robusten Stämme einer Eiche. Ich höre wie ein Teil in meinem Körper knackt und meine Sicht verschwimmt. Bevor ich abdrifte und die Dunkelheit mich überfällt, kann ich Vecna direkt auf mich zukommen sehen. Sein Gesicht, welches sich über mir aufbaut, ist das letzte was ich sehe, bevor ich das Bewusstsein verliere.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now