CHAPTER NINE: Erinnerungen

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Grelles, weißes Licht blendet mich, als ich die Augen öffne. Ich liege auf einem kleinen Metallbett. Die Matratze ist hart und die Federn bohren sich unangenehm in meinen Rücken. Ich kenne diesen Raum, aber meine Sinne sind so vernebelt, dass ich eine ganze Weile brauche um klar denken zu können.

»Sie kommt zu sich«, höre ich eine weibliche, fiepsende Stimme. Sie gehört zu einer jungen Frau. Sie trägt einen Arztkittel und hat sich ihre runde Lesebrille auf den Kopf geschoben, wo sie ihre schwarzen Haare nach oben drückt. Ihr Gesicht wirkt streng, wie sie so da steht und mit gerunzelter Stirn zwischen mir und dem Klemmbrett in ihrer Hand hin und her sieht.

Ich hebe den Kopf von dem dünnen Kopfkissen und stütze mich auf meine Unterarme. Sofort ist eine weitere Person an meinem Bett. Ich erkenne sie nicht gleich, aber als sie sich zu mir herunterbeugt, mich unsanft zurück drückt und mir leise »Liegen bleiben« entgegen wispert, taucht das Gefühl von Elektroden an meinem Kopf auf, welche sie an mir befestigt, als wäre ich kein fühlender Mensch. Meine eine Hand schnellt wie von selbst nach oben, aber ich spüre nur meine kurzgeschorenen Haare. Meine Miene verfinstert sich, als ihr Blick flüchtig meinen streift, aber sie tut einfach so, als würde sie es nicht bemerken.

»Vitalzeichen?«

Die Frau neben mir legt zwei Finger an mein Handgelenk. Dann sieht sie auf einen wuchtigen Monitor, der neben meinem Bett steht. »Stabil.«

Ein Stift kratzt über Papier. »Der Puls hat sich beruhigt?«

Ich sehe, wie neben mir zustimmend genickt wird.

»Perfekt.«


Am liebsten würde ich aufstehen und davonlaufen, aber an meinen Fußgelenken befinden sich Gurte und fesseln mich so eng ans Bett, dass meine Zehen bereits taub sind. Kurz überlege ich, ob ich mich darüber beschweren soll, dann entscheide ich mich dagegen. Was macht das schon? Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich in diesen Räumen sterben werde, schießt es mir durch den Kopf und obwohl mir der Gedanke wohl Angst machen sollte, reagiere ich eher mit Sehnsucht darauf. Sterben klingt plötzlich gar nicht mehr so furchteinflößend, wenn das Leben aus Qualen besteht.

Ganz in meinen eigenen, trüben Gedanken versunken, bemerke ich nicht wie sich die dicke Stahltür öffnet. Erst, als eine männliche Stimme sich in das Geschehen einmischt, scheuche ich sie beiseite. Direkt neben der Tür steht er; die Haare ergraut und die blauen Augen so stechend, dass ich eine Gänsehaut bekomme.


»Darf ich?« Er streckt die Hand nach dem Klemmbrett aus und wirft einen neugierigen Blick darauf. Ich erkenne, dass er zufrieden die Augenbrauen nach oben zieht. »Wie ich sehe, war der Versuch ein Erfolg. Wie lange hat es gedauert, bis sie wieder bei Bewusstsein war?«

»Ziemlich genau eine Stunde«, antwortet die Frau, die immer noch neben meinem Bett steht. Als der Mann näher kommt, weicht sie ein kleines Stück zur Seite.

»Schön, schön. Dann kommen wir bald zum nächsten Schritt. Für heute sollten wir es gut sein lassen.« Er sieht auf mich hinab und streicht mir über den Kopf. Auf Außenstehende, da bin ich mir sicher, würde diese Geste beinahe zärtlich wirken, aber für mich fühlt es sich absolut nicht so an, sondern eher so, als würde man mir mit einem Nagelhandschuh über den Kopf fahren. Als er die Hand zurück zieht, atme ich erleichtert aus.


Er scheint es nicht zu bemerken, denn er wendet sich sogleich von mir ab. »Gebt ihr etwas, damit sie schlafen kann und bringt sie zurück in-« Er sieht auf seine silberne Armbanduhr. »- in einer halben Stunde. Ich lasse die Gänge bis dahin räumen, sodass sie niemand sieht.«

Mir fällt es schwer ein frustriertes Schnauben zu unterdrücken.


»Ja, Dr. Brenner.«

*


»Nochmal laden«, dringt die tiefe, befehlshaberische Stimme durch den Schleier meines Bewusstseins hindurch. Bei seinen Worten stoße ich ein gequältes Wimmern aus.


»Bitte nicht«, presse ich atemlos hervor, aber keiner achtet auf mich. Wie eine Laborratte liege ich angeschnallt auf einem der Untersuchungsstühle. Schweiß läuft mir unaufhaltsam die Stirn herab, aber mein Körper zittert vor Kälte. Ich habe mir fest vorgenommen stark zu sein und mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich unter ihren Versuchen leide, aber jegliche Selbstbeherrschung fließt dahin, als das Licht um mich herum flackert und ein erneuter Stromstoß durch meinen Körper jagt.
Es dauert nur wenige Sekunden, aber der Schmerz hallt in meinem Kopf nach, als würden sie es wieder und wieder versuchen. Ich keuche und winde mich; werfe mich mit dem letzten bisschen Kraft was in mir schlummert gegen die Fesseln, doch es hat keinen Sinn.
»Atmen, Vier. Du hast es fast geschafft«, ermahnt mich die männliche Stimme, bevor sie sich wieder zu den Schwestern umdreht, deren drahtige Finger sich bereits nach den Knöpfen ausstrecken. »Nochmal laden.«
Ich kneife die Augen zusammen und schreie auf. Meine Fesseln an den Händen geben ein reißendes Geräusch von sich.
»So ist gut, Vier. Versuch dich zu befreien.«
Es fällt mir schwer bei Bewusstsein zu bleiben. Die ersten Male habe ich an dieser Stelle so etwas wie Hoffnung empfunden. Ich habe gedacht, dass wenn ich es schaffe die Fesseln zu lösen, ich es hier raus schaffen kann, aber nun weiß ich es besser. Nur zu deutlich spüre ich die Schwere des Metallrings um meinen Hals. Ich weiß, dass sie mit einem Knopfdruck meine Kräfte kontrollieren können; sie einfach abschalten können, als wäre ich eine Maschine und kein fühlender Mensch. Den Gedanken, dass ich für sie auch mehr nicht bin und für den Rest meines Lebens nicht mehr sein würde, schiebe ich zur Seite, als ich sehe wie der Mann den Krankenschwestern zu nickt. Als sie ihre Hände ausstrecken, trifft sein Blick für einen kurzen Moment meinen. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
»Bitte, Papa«, flüstere ich heiser. »Ich kann nicht-«
»Du kannst. Gleich ist es geschafft, ich verspreche es dir.«
Ich möchte ihm so gerne glauben, aber es ist nicht vorbei. Es ist niemals vorbei.

*



Sonnenstrahlen dringen durch das getönte Autofenster herein. Ich schließe die Augen und genieße für einen kleinen Moment das warme Gefühl auf meinen Wangen, dann kommt der Wagen in dem ich mich befinde abrupt zum stehen und ich werde ruckartig nach vorne in den Gurt gedrückt.

»Wir sind da«, höre ich den Fahrer sagen. Die Beifahrertür öffnet sich und wenig später werde ich unsanft am Arm gepackt und aus dem Auto bugsiert, als wäre ich nichts weiter als eine Puppe.
Mein Blick wandert über das Gelände auf dem wir uns befinden. Es ist das erste Mal, dass ich draußen bin, seit dem Tag als ich im Labor gelandet bin. Ich kann mich kaum noch an mein Leben davor erinnern, aber die Wärme der Sonne lässt ein zufriedenes Gefühl in meiner Brust auflodern; ganz flüchtig und sofort wieder verschwunden, aber es ist wenigstens kurz da. Nur wenige Augenblicke später wird es allerdings von etwas anderem abgelöst. Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend sehe ich mich um und Verwirrung macht sich in mir breit. Um mich herum befinden sich meterhohe Maschendrahtzäune, die oben spitz zusammenlaufen. Mir kommt in den Sinn, dass sie mich entweder hier drin oder etwas anderes draußen halten wollen und als ich sehe, dass alle, außer mir, das eingezäunte Gebiet verlassen beschleicht mich eine schreckliche Vorahnung. Ich drehe mich um meine eigene Achse und suche nach einem Ausweg, aber mir wird fast sofort klar, dass es keinen gibt und dass das hier noch viel schlimmer sein wird, als alles was sie mir bis jetzt angetan haben. Ich habe keine Chance, es sei denn ich schaffe das, was sie mit all den Elektroschocks und all dem Training nicht haben aus mir herauskitzeln können. Das Gewicht des Metallhalsbandes um meinen Hals spürend, ringe ich nach Luft, als ich einige Meter vor mir einen Käfig entdecke. Er ist bis zu dem Moment geschlossen, aber jemand von außerhalb muss die Tür steuern können, denn es dauert nicht lange, bis sich das Schloss entriegelt und von einem automatischen Mechanismus gesteuert, nach oben hebt. Etwas, eine Kreatur von abnormer Grausamkeit, schiebt eine ihrer Klauen als erstes nach draußen; die gräuliche, tote Haut wird vom Sonnenlicht beleuchtet. Ein Schauer läuft über meinen Rücken, als die Gespräche, die ich gehört habe, plötzlich einen Sinn ergeben. Monster gibt es wirklich, schießt mir die Stimme von einer der Krankenschwestern ins Gedächtnis.
»Sie sind unter uns«, flüstert eine der beiden Frauen ihrer Kollegin gerade so laut ins Ohr, dass ich es angeschnallt auf dem Bett zwischen ihnen, auch hören kann.
»Wird er denn nie aufhören?« Die andere schüttelt theatralisch den Kopf, als könne sie es nicht fassen.
»Wohl kaum. Er wird uns noch alle töten.«


Ich höre ihre Stimmen so deutlich, als würde es gerade passieren und muss mich daran erinnern, wo ich mich eigentlich befinde. Denn eins ist jetzt gerade, in diesem Moment, ganz sicher: Er versucht zu töten, aber nicht sie alle, sondern mich.
Es gibt nur eine Chance. Ich muss mich konzentrieren und ich muss ihnen beweisen, dass ich zu dem fähig bin, was sie seit einer gefühlten Ewigkeit von mir erwarten. Wie aufs Stichwort, höre ich wie das Halsband ein klickendes Geräusch von sich gibt und sich öffnet. Gerade rechtzeitig, denn als ich meinen Blick hebe, kommt das Monster in schleichenden Schritten auf mich zu.


*


Stunden später schlägt mir mein Herz immer noch bis zum Hals. Meine Gliedmaßen fühlen sich seltsam an, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Meine Arme zittern unkontrolliert; ob vor Anstrengung oder Angst, kann ich nur schwer ausmachen und meinen Kopf halte ich nun schon so lange gesenkt, dass mir der Nacken weh tut. Ich atme tief durch, während lauwarm das Wasser der Dusche an mir herab läuft und in hellroten Schwaden im Abfluss verschwindet.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now