CHAPTER TWENTYFIVE: Das Gesicht des Todes

39 6 0
                                    

Es ist, als würde ich mitten in einem meiner Albträume stecken.

Ich renne und renne, komme aber so gut wie gar nicht voran. Immer wieder stolpere ich über meine eigenen Füße oder komme ins Straucheln, weil ich versuche den Tentakeln auf dem Boden auszuweichen, die sich scheinbar endlos vor mir erstrecken. Es ist ohnehin zwecklos, schießt es mir durch den Kopf. Meine eigene Stimme verhöhnt mich lautstark, weil ich trotzdem weiterlaufe und so tue als gäbe es auch nur den Hauch einer Chance. Du bist so gut wie tot.

Mein Atem kommt mir keuchend und schwer über die Lippen und ich warte auf die Panik; darauf, dass sie mich übermannt und einnimmt – wie damals, als ich das letzte Mal – völlig alleine – durch diese Stadt gehastet bin; flüchtend vor dem Grauen, welches nun wieder hinter mir her ist. Sie taucht nicht auf, obwohl ich die Bedrohung in meinem Nacken spüren kann, als würde sie mich anhauchen.

Hinter mir höre ich deutlich das bestialische Kreischen, von dem ich mir sicher bin, dass ich es nie wieder aus meinem Gedächtnis verbannen kann; auch nicht dann, wenn ich es tatsächlich wie durch ein Wunder hier lebend raus schaffe. Es hallt in meinen Ohren nach und erinnert mich nur immer wieder daran, dass ich die anderen vielleicht nie wieder sehen werde und leise flehe ich, dass zumindest keinem von ihnen etwas passiert.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, fliehe ich beinahe ziellos. Meine Orientierung ist schon vor Hunderten von Metern verloren gegangen. Ich habe einfach irgendwann aufgehört mich umzusehen, bin vollends darauf konzentriert gewesen irgendwie zu funktionieren. Erst, als ich schließlich im Dickicht des Waldes eintauche, werde ich langsamer. Ich lehne mich atemlos gegen einen der kalten Baumstämme und hole tief Luft. Meine Lungen brennen, als hätte man sie zuerst mit Benzin übergossen und dann in Brand gesteckt. Flehend bäumen sie sich in meiner Brust auf und ziehen gierig den Sauerstoff hinein; wie Ertrinkende, die zurück an die Wasseroberfläche kommen.

Es tut weh. So weh, dass ich mich am liebsten zusammenkauern würde, aber statt dem Verlangen nachzugehen, lasse ich meinen Blick schweifen. Prüfend suche ich die Umgebung ab. Um mich herum ist nichts, außer Bäume, die so dicht zusammenstehen, dass ich den Himmel über mir, kaum erahnen kann. Lediglich das rote Flackern der Blitze, sticht durch die Baumkronen zu mir hindurch. Es ist ein seltsamer Anblick. Irgendwas passt nicht. Mir kommt es quälend lange vor, wie ich so da stehe und zwischen zusammengekniffenen Augen versuche zu erkennen, was genau mich an dem Ganzen stört, dann fällt es mir auf. Es ist zu lebendig. Die Bäume sind zwar von den gleichem unheilvollen Gewitter umgeben, aber sie sind immer noch grün; immer noch voll mit Blättern – immer noch am blühen. Ich sehe mich genauer um. Auch das Gras unter meinen Füßen ist nicht so verdorrt; es wirkt karg und nass, aber eher so wie nach einem Regenschauer, anstatt nach einem Flächenbrand. Es wirkt weniger gefährlich, aber eine innere Stimme, mahnt mich, dass ich vorsichtig sein muss. Es ist das gleiche unruhige Gefühl, welches mich schon seit meiner Ankunft hier begleitet; welches mir gesagt hat, dass es sich nicht um ein normales Erdbeben handelt und die mich bis hierhin nicht getäuscht hat. Ich weiß, dass ich mir selbst vertrauen kann und meine Intuition sagt mir, dass hier absolut nichts so ist wie es scheint.

Ich überlege, was ich tun soll und entscheide mich schließlich dazu weiter zu gehen. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen, bemühe mich aber dennoch schnell voran zu kommen. Ich muss mich in Sicherheit bringen und Hilfe holen, denn mein Plan zurück zum Auto zu gehen, kommt nun absolut nicht mehr in Frage. Selbst wenn ich wollen würde, dann würde ich kaum noch wissen, wo lang ich gelaufen bin und es würde wahrscheinlich Ewigkeiten dauern die Richtung wieder zu finden. Abgesehen davon, würde ich direkt in mein Verderben rennen, von dem ich nicht weiß, ob ich ihm überhaupt entkommen bin. Es fühlt sich noch nicht so an.

Immer wieder schaue ich mich fast schon gehetzt um, aber obwohl das Kreischen der Fledermäuse, das Donnergrollen und das krachende Geräusch von einschlagenden Blitzen immer noch die Luft zerreißen, bleibe ich alleine zwischen den Bäumen; niemand scheint mich zu verfolgen und langsam aber sicher, geht mein Atem wieder ruhiger und das Denken beginnt mir wieder leichter zu fallen. Ich gehe in Gedanken immer wieder den Moment durch, als ich unvorsichtig geworden bin und mein Schuh gegen die Tentakel gestoßen ist; versuche ab diesem Moment meinen Weg zu rekonstruieren, aber es gelingt mir nur teilweise. Dunkel taucht das Bild von der Karte in meinem Kopf auf, die zwischen Steve und mir auf dem Boden gelegen hat, aber es will mir nicht gelingen irgendwie zu erfassen, in welcher Richtung der Wald gelegen hat. Es ist mir fast unangenehm mir einzugestehen, dass ich genau weiß, aus welchem Grund ich mich nicht mehr genau erinnern kann.

Anstatt die Wege, die auf der Karte eingezeichnet sind, hat sich ein anderes Bild in meinem Kopf fest verankert und so sehr ich auch versuche, es beiseite zu schieben, ich sehe es so deutlich vor mir, als würde es direkt vor mir noch einmal geschehen.

Im sanften Licht der Taschenlampe; inmitten von Chaos, Tot und Zerstörung; den schlafenden Dustin im Hintergrund, sieht Steve mich so eindringlich und intensiv an, dass selbst die Erinnerung es schafft, mir eine Gänsehaut zu verpassen. Für einen kurzen Moment kann ich wieder seine Haut an meiner spüren und es kostet mich meine gesamte Selbstbeherrschung mich davon loszureißen.

»Das könnte dich umbringen, Megan

Es ist nur ein Echo seiner Stimme, aber die Verzweiflung und Angst die darin liegen, lässt mein Herz für einen Moment aussetzen. Es klingt so echt und so nah, dass ich den Impuls unterdrücken muss, mich umzudrehen und nach ihm zu suchen. Fast hoffe ich, dass Steve zwischen den Bäumen hervor tritt, auch wenn ich weiß, dass das nicht passieren wird.

»Megan, bitte. Tu das nicht.«

Ich bleibe stockend stehen. Wieder seine Stimme; seine Worte, als ich gegangen bin. Ich höre die Tür noch hinter mir zu fliegen und seine Hände, die vergebens an der Klinke rütteln. Nur ist irgendwas anders. Es fühlt sich nicht an; nein, hört sich nicht an, als wäre es eine Erinnerung.

»Das ist doch Wahnsinn! Du willst wohl sterben?«, schreit Steve nun deutlicher. Es klingt so, als wäre er noch näher gekommen – als würde er sich direkt hinter mir befinden. Ich fahre ruckartig herum, aber wie noch genau zuvor, bin ich alleine. Und trotzdem: Seine Worte sind keine Erinnerungen. Er hat sie nie zu mir gesagt.

»Als wärst du im Stande etwas auszurichten! Alleine? Das ist lächerlich!«

Was zum...?

Adrenalin schießt mir durch die Adern und meine Sinne sind zum Zerreißen gespannt. Hinter mir knacken die Äste so laut, dass ich zusammen zucke. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film – wie ein Statist, der bei seinem eigenen Untergang zusehen darf.

»Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir dich dazu brauchen? Eine Rettungsmission? Wirklich?«, fragt Steve wieder. Seine Stimme klingt spöttisch und herablassend. Ganz anders, als ich ihn kennen gelernt habe und obwohl ich, tief in meinem Inneren, ganz genau weiß, dass er es unmöglich sein kann, sticht jedes seiner Worte in meiner Brust, wie ein Messer, welches mir immer und immer wieder durch die Haut fährt.

»Als würde auch nur einer von uns etwas ähnliches für dich tun.«

Er lacht.

Und mir wird schlecht.

Vor mir, etwa zehn Schritte von mir entfernt, tritt er aus dem Schatten eines Baumes heraus. Es ist quasi genau das, was ich mir noch vor wenigen Momenten gewünscht habe. Sein Gesicht ist mir so vertraut und löst für einen winzigen Moment so etwas wie Erleichterung in mir aus. Dann, kaum einen Wimpernschlag später, sehe ich wie er mich ansieht. Seine Miene ist kalt, ausdruckslos, hasserfüllt. Es liegt so viel negatives darin, dass ich automatisch nach hinten weiche und augenblicklich bereue auch nur einen Moment gehofft zu haben, dass er auftaucht. Dass hier habe ich nicht gewollt.

»Hast du das wirklich geglaubt?«, fragt er, wartet aber wie vorher auch, überhaupt keine Antwort von mir ab. »Bist du wirklich so naiv, Megan?«

Ich erinnere mich an den Klang meines Namens, wenn Steve ihn sonst ausgesprochen hat. Das hier hat nichts damit gemein. Wie ein Schimpfwort spuckt er ihn aus, während er langsam auf mich zu kommt. Bei jedem Schritt den er in meine Richtung kommt, gehe ich einen zurück, bis ich schließlich gegen einen Baumstamm stoße. Verschwommen nehme ich einen leichten Schmerz wahr, als die Rinde mir in die Haut schneidet.

»Megan, Megan« Er schnalzt mit der Zunge, als würde er mich für etwas tadeln. »Als könntest du irgendwas ausrichten ...«

Verwirrt; atemlos; schockiert starre ich ihm entgegen. Am Rande nehme ich wahr, dass mir eine Träne die Wange hinunter läuft und sich auf meinen Lippen verliert. Steve, oder der Schatten von dem, was hier vor mir steht, streckt eine Hand aus, als würde er sie wegstreichen wollen.

Und vor meinen Augen, wie in meinem Albtraum, verwandeln sich seine Hände zu einer Klaue und sein Gesicht ist plötzlich nicht mehr sein Gesicht, sondern eine völlig entstellte, unmenschliche Fratze. Aus hohlen, dunklen Augenhöhlen sieht mir das Grauen persönlich entgegen. Es ist das Gesicht eines Monsters, welches ich bislang nur ein einziges Mal gesehen habe und das auf dem Zeichenblock von Dustin. Vecna.

»Als wenn du mir davon kommen könntest.«

Das letzte Kapitelحيث تعيش القصص. اكتشف الآن