CHAPTER EIGHTEEN: Will Byers und der drohende Weltuntergang

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Als wir die Hütte betreten, bemerke ich sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die Stimmung ist zum zerreißen gespannt und auf den Gesichtern aller liegt ein besorgter Schatten. Prüfend lasse ich meinen Blick über die Gruppe wandern und halte schließlich bei einem Jungen inne, den ich bis zu diesem Moment nur von Zeichnungen kenne. Es ist Will Byers. Er sitzt auf einem der Sofas, links und rechts neben ihm Mike und Elfie. Seine dunklen Haare sind völlig durcheinander, als wäre er mit der Hand mehrfach hindurch gefahren. Er wirkt zerstreut und ich beobachte, wie Elfie seine Hand drückt, als würde sie ihn damit beruhigen können.

Unschlüssig, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, bleibe ich an der Seite, neben der Eingangstür stehen. Ich warte darauf, dass jemand etwas sagt und nur wenige Sekunden später, meldet sich Steve zu Wort.

»Kann uns mal jemand aufklären?«, fragt er misstrauisch. Er lässt seinen forschenden Blick über die anderen schweifen und bleibt schließlich bei Dustin hängen. »Henderson?«

»Ich glaub, es wäre gut, wenn Will erzählt«, gibt dieser zurück.

Alle unsere Blicke wandern weiter zu dem schmalen, zusammengekauerten Jungen, dessen Hand immer noch in der von Elfie liegt. Seine sind so viel größer als ihre, dass er sie mit seinen langen Fingern völlig umschließt und obwohl er sie selbst im Sitzen um fast einen ganzen Kopf überragt, sieht er so viel verletzlicher aus. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an sie und es ist deutlich zu erkennen, dass er sich nicht wohl damit fühlt, dass die gesamte Aufmerksamkeit auf ihm liegt. Unbeholfen fummelt er, mit seiner freien Hand, am Rande seines Pullovers herum. Seine Stimme klingt dünn und zittrig, als er schließlich zu sprechen beginnt. »Heute Morgen -«, fängt er an. »Jonathan und ich waren unterwegs zu euch. Wir sind einen kleinen Umweg gefahren, weil wir ein paar Dinge für Mum besorgen sollten. Ungefähr auf der Höhe der Schule ist es uns dann aufgefallen.«

Außer seiner Stimme ist absolute Stille eingekehrt. Niemand rührt sich und ich merke meinen eigenen Herzschlag, der mir polternd gegen die Brust schlägt.

»Die Zerstörung; dass was sich um das Labor ausgebreitet hat, kommt näher. Die Natur, es ist, als würde sie -« Seine Finger schließen sich fester um den Stoff seiner Klamotte. »- sterben«, vollendet er seinen Satz. »Das Gewitter vorhin. Die Blitze. Es sah aus wie dort drüben.«

Dort drüben? Ich verstehe nicht ganz, scheine aber die einzige zu sein, die die Bedeutung seiner Worte, nicht vollends begreift. Robin hält so lange die Luft an, bis ihr Gesicht sich rot färbt, dann stößt sie sie lautstark aus. »Das ist nicht gut«, wimmert sie. »Das ist überhaupt nicht gut.«

In der Hütte scheint es sich augenblicklich noch mehr zu verfinstern, was nun aber weniger am Wetter und viel mehr an der Stimmung liegt, die sich um mich legt und mich frösteln lässt, als wäre sie ein nasses Handtuch.

»Wir wussten, dass das wahrscheinlich passieren wird«, meint Nancy. Sie sitzt in einem alten Ohrensessel, die Hände auf dem Schoß verschränkt und den starren Blick für einen nachdenklichen Moment, auf einen unsichtbaren Punkt vor sich fixiert; dann sieht sie auf und blickt in die Runde. »Es war nur eine Frage der Zeit, oder?«

»Ja, mag sein.« Robin ist aufgestanden und tigert rastlos auf und ab. Ihre Turnschuhe hinterlassen ein unregelmäßiges Geräusch auf dem knarrenden Holzfußboden. »Aber wir sind überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben keinen Plan. Absolut keinen Schimmer was wir tun können. Ich weiß nicht ob ihr es vergessen habt, aber wir wissen immer noch nicht ansatzweise wie man es aufhält. Oder wie wir ihn aufhalten sollen. Wahrscheinlich werden wir es auch nicht herausfinden, also beruhigt es mich nicht, dass wir irgendwie wussten, dass das alles irgendwann passieren wird. Wer weiß wie viele Demogorgons oder Fledermäuse oder eklig aussehende Monsterhunde auf dem Weg hierher sind.«

Bei ihren Worten schüttelt es mich, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen.

»Okay, okay, Leute«, ergreift Steve das Wort. Er ist zu Robin gegangen und legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Beruhigen wir uns erst einmal und dann denken wir in Ruhe nach.«

»Ich versuchs schon«, entgegnet Robin, aber sie klingt nicht so, als würde es ihr gelingen.

»Dich hab ich nicht speziell gemeint.«

»Aber du hast mich angesehen.«

»Ja, weil ich Angst habe, dass du jeden Moment durchdrehst. Dein Blick ist schon völlig wahnsinnig.«

»Ach ja? Wie soll ich deiner Meinung nach denn aussehen, Steve? Mir geht der Arsch auf Grundeis, wenn ich nur darüber nachdenke, dass wir nochmal mit all dem in Berührung kommen. Ich weiß nicht, ob dein Gedächtnis noch richtig funktioniert, aber wir sind das letzte Mal beinahe drauf gegangen und Max.. Sie ist -« Sie hält mitten im Satz inne, als würde ihr jemand Unsichtbares den Mund zuhalten.

»Natürlich hab ich das nicht vergessen«, rechtfertigt Steve sich lautstark. »aber-«

»Leute!«, mischt Dustin sich in das Gespräch ein. Er ist aufgestanden und hat sich zwischen Robin und Steve gestellt. »Kommt runter. Tief einatmen und wieder aus.«

Ich beobachte, wie er Robin und Steve demonstriert, was er meint. Mit einem auffordernden Blick zu den beiden, holt er tief Luft und stößt sie wieder aus. Erst, als die beiden es ihm gleich tun, lässt er zufrieden von ihnen ab. »Na also, geht doch.«

»Ja ja, schon gut, du hast Recht«, stimmt Robin ihm zu. Sie sieht immer noch nervös aus, aber die völlige Panik ist aus ihrem Blick verschwunden. »Tut mir leid«, sagt sie an Steve gewandt.

»Schon gut.«

Während dem kurzen Schlagabtausch zwischen den beiden und Dustins erfolgreichen Versuch sie ein wenig zu beruhigen, versuche ich angestrengt in meinem Kopf die Informationen vom Vortag zu ordnen und irgendwie schlau daraus zu werden worum es hier eigentlich genau geht. Es gelingt mir nur teilweise. Wage erinnere ich mich daran, dass Dustin etwas von einer Uhr, vier Morden und Toren in eine andere Dimension erzählt hat.

»Der Riss«, fange ich meine Frage an. Ich denke an den Tag, als ich zum ersten Mal durch die Stadt gegangen bin und an meine erste Mission in das gelbe Gebiet. »Was hat es damit genau auf sich?«

Nancy setzt zu einer Antwort an. »Vecna hat mit seinen Morden Tore geöffnet«, erklärt sie. »Und mit dem vierten ist die Grenze zwischen dieser und der anderen Seite verschwommen. Sie tritt quasi in unsere über.«

»Was bedeutet, dass... ?«

»Dass wir ziemlich in der Klemme stecken«, vollendet Dustin meinen Satz. »Deshalb konnte euch der Demogorgon angreifen. Deshalb spielt das Wetter so verrückt. Und ich befürchte, dass das erst der Anfang ist. Vecna ist noch da draußen und er wird mit Sicherheit wieder töten.«

»Oder schlimmeres«, ergänzt Will. Ich sehe zu ihm. Sein Gesichtsausdruck ist ausdruckslos, als er sich in einer vorsichtigen Bewegung in den Nacken fasst. »Ich kann es nicht erklären, aber es fühlt sich dieses Mal anders an. Irgendwie stärker.«

»Klasse«, ruft Robin quietschend aus. Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus. »Noch stärker. Dann kann ja eigentlich nichts schief gehen.«

Steve verdreht, hinsichtlich ihrer Worte, die Augen und ich befürchte fast, dass ihre Diskussion in die zweite Runde geht, doch Robin entgeht seine Reaktion. Sie ist vollkommen mit sich selbst beschäftigt.

Ich atme tief ein, wende mich von ihnen ab und werfe Dustin einen fragenden Blick zu. »Will sagt, dass es sich ausbreitet. Wie schnell?«

»Schwer zu sagen«, antwortet er. »Nicht besonders schnell, wenn es erst kurz vor der Schule ist, aber wir wissen nicht, ob das so bleibt.«

»Okay«, sage ich nickend. »Aber bis wir es wissen: Was können wir tun?«

Auf meine Frage folgt eine wilde Debatte, von der ich kaum etwas verstehe, weil alle durcheinander reden. Es ist ähnlich wie in dem Moment, als ich ihnen mein Tattoo gezeigt habe, aber dieses Mal fahre ich nicht dazwischen, sondern hänge meinen eigenen Gedanken nach. Außer meiner damaligen Begegnung mit dem Demogorgon, während des „Unterrichts" mit Papa, habe ich von all dem, was mit der anderen Seite zu tun hat und sonst im Labor vor sich ging, kaum etwas mitbekommen. Nicht, bis zu der Nacht, in der ich entkommen bin. Ich erinnere mich dunkel daran, dass dort wo das Regenbogenzimmer gewesen ist, am meisten Tumult geherrscht hat. Aus den Erzählungen von Dustin und an Hand dessen, was er mir in seinem Heft gezeigt hat, weiß ich, dass Elfie dort das erste Tor geöffnet hat, als sie gegen Eins gekämpft hat, aber nichts von all den Informationen würde uns helfen.

»Ich sehe mir das selbst an«, reißen mich die gelispelten Worte von Dustin aus meinen Gedanken.

»Komm nicht in Frage, dass du da alleine hingehst, Henderson«, greift Steve bestimmt ein. »Ernsthaft, keine Chance.«

Mein Blick wandert wieder zu ihnen, als Dustin gerade den Mund öffnet und zu einer Antwort ansetzt, aber der mahnende Ausdruck auf Steves Gesicht lässt ihn verstummen. Wie ein Fisch behält er den Mund noch einen Moment geöffnet, dann kneift er beleidigt die Lippen aufeinander.

»Ich kann ihn begleiten«, melde ich mich zu Wort, ohne groß darüber nachzudenken. In dem Moment wo ich es ausspreche, drehen sich alle zu mir um, als würde ihnen meine Anwesenheit jetzt erst wieder bewusst werden. Sie sehen nicht begeistert aus und ich unterdrücke das Gefühl von Enttäuschung, weil sie mir immer noch nicht ganz zu vertrauen scheinen. »Mit mir wird ihm nichts passieren, das verspreche ich euch.«

Mir fällt auf, dass sie sich gegenseitig unsichere Blicke zuwerfen. Lediglich Dustin sieht zufrieden aus. »Problem gelöst. Megan kommt mit«, sagt er fast schon enthusiastisch und zum ersten Mal seit wir uns kennen, schenkt er mir ein Lächeln.

»Das klingt zumindest nicht völlig wahnsinnig«, meldet sich Robin zu Wort. Sie zuckt die Schultern, als wäre für sie die Entscheidung bereits gefallen. »Irgendwer muss es sich ohnehin ansehen, oder?«

Zustimmendes Gemurmel geht durch die Hütte.

»Ich komme auch mit.«

Es ist Steve.

»Du musst nicht auf mich aufpassen«, nörgelt Dustin und erinnert mich dabei an ein kleines Kind, was nicht von seinen Eltern zum Bus gebracht werden möchte.

»Und ob ich das muss.«

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now