CHAPTER TWENTYTWO: Ungeahnte Fähigkeiten

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»Vielleicht hab ich eine Idee!«, ruft Dustin hektisch. Der Stuhl auf dem er sitzt, schwankt gefährlich, als er abrupt aufspringt. Erschrocken zucke ich zusammen und starre ihn an. Der Schlaf zeichnet sich noch auf seinen Gesichtszügen ab, aber sein Verstand scheint schon wieder auf Hochtouren zu laufen. Ich frage mich, ob sein Gehirn jemals eine Pause braucht, denn während er sich schon wieder voll und ganz ins Pläne schmieden schmeißt, fühle ich mich als hätte man mir eine übergezogen; mein gesamter Kopf schmerzt.

»Wir könnten eine Nachricht schicken«, fährt Dustin unbeirrt fort, als würde er unsere fragenden Blicke überhaupt nicht bemerken.

»Eine Nachricht?« Steve zieht seufzend die Augenbrauen zusammen. Er fasst sich an die Schläfe und kreist mit seinen Fingern darüber. »Von hier aus?«

»Jep.«

Ich sehe, wie Steve die Augen zukneift. »Oh ja, klar, wenn's weiter nichts ist«, grummelt er. »Und wie? Sollen wir vielleicht eine der Fledermäuse bitten, sie zu überbringen wie eine Briefeule?«

Dustin verdreht die Augen. »Manchmal bist du echt ein Idiot, Harrington, weißt du das?«, motzt er. Mit einem Kopfnicken deutet er in meine Richtung. »Wir haben Megan«, beginnt er zu erklären. »Was ist, wenn sie versucht in den Verstand von Elfie einzudringen und ihr sagt, wo wir sind?«

Ich hole tief Luft um ihm zu widersprechen, komme aber nicht zu Wort. Dustin fängt an nachdenklich zwischen uns hin und her zu gehen. »Elfie und Vecna können so etwas und sie hat ganz ähnliche Fähigkeiten. Was ist, wenn sie eine Verbindung herstellt und so Hilfe holt? Das müsste funktionieren, mal ganz ehrlich.«

»Das mag sein, Dustin -«, entgegne ich schnell, bevor er auf die Idee kommt sofort weiter zu planen. »- aber ich habe überhaupt keine Übung darin.«

In Gedanken gehe ich meine Erfahrungen mit so etwas durch und komme zu dem Entschluss, dass sie bei fast null liegen. Es ist Jahre her, dass ich überhaupt regelmäßig von meinen Kräften Gebrauch gemacht habe und allein der Gedanke daran es wieder häufiger zu tun, widerstrebt mir. Ich weiß, dass uns Dustins Vorschlag retten könnte, aber trotzdem erinnert mich jedes Kribbeln in meinen Fingern an all das, was ich so lange versucht habe zu vergessen.

»Ein Versuch ist es wert, oder?«

Er sieht mich fordernd an; bittend, und ich fühle mich schlecht, weil ich überhaupt darüber nachdenke. Ich möchte helfen, unbedingt, aber ich weiß nicht ob ich dazu in der Lage bin; weiß nicht, ob ich nach allem bereit bin, mich wieder hineinzuwerfen in den Strudel, den meine Fähigkeiten mit sich bringen.

»Megan?«, spricht Steve mich an. Er klingt nicht überzeugt von der Idee, hat aber wohl auch keine bessere. Seine Stimme hallt mir in den Ohren nach.

Es ist das erste Mal, seit dem spannungsvollen, seltsamen Moment zwischen uns, dass er mich mit meinem Namen anspricht und mich direkt ansieht. Ich seufze geräuschlos, traue mich aber nicht, seinen Blick zu erwidern. Stattdessen sehe ich zu Boden und nicke.

»Ein Versuch ist es wert«, wiederhole ich die Worte von Dustin.

*


Etwa zwei Stunden später sitze ich, im Schneidersitz, auf dem kalten Boden. Mein Rücken habe ich vorsichtig gegen die Wand hinter mir gelehnt, während der Schein unserer Taschenlampen das Zimmer gerade genug erhellt, dass ich die anderen beiden sehen kann. Sie sitzen am anderen Ende des Raumes und beobachten mich. In ihren Blicken erkenne ich mehrere Gefühlsregungen, die sich immer wieder abwechseln, als könnten sich beide nicht entscheiden, was sie fühlen sollen. Dustin sieht vor allem aufgeregt und neugierig aus. Ab und zu taucht etwas wie Ungeduld in seinem Blick auf. Steve ist das genaue Gegenteil davon. Er scheint immer noch nicht so recht zu wissen, was er von der ganzen Idee halten soll und beäugt mich mit einer Mischung aus Skepsis und Sorge.

Mein Herz macht einen Satz, als mir klar wird, dass das weitere Vorgehen jetzt von mir abhängt und obwohl ich mich unwohl fühle und ich Angst habe, versuche ich den beiden einen aufmunternden Blick zu zu werfen. Ich nehme das Tuch, welches Dustin mir gegeben hat, atme tief ein und ziehe es mir vor die Augen. Sogleich umhüllt mich Schwärze und ich versuche angestrengt die Panik hinunter zu schlucken, die sich in mir aufbaut und mir die Kehle zuschnürt. Alles wird gut. Es ist nicht das selbe wie früher, rede ich mir selbst ein. Du rettest euch das Leben. Und obwohl ich die Worte wie ein Mantra versuche abzuspeichern, kann ich nicht verhindern, dass meine Hände vor Aufregung zu schwitzen beginnen. Unmerklich verschränke ich sie in meinem Schoß miteinander und hinter der Augenbinde kneife ich meine Augen zusammen um mich besser konzentrieren zu können. Am Rande meines Bewusstseins nehme ich die leise, flüsternde Stimme von Steve wahr, dann antwortet Dustin etwas, aber ich blende sie aus. Es gelingt mir nicht sofort, aber schließlich verändert sich etwas.

Ich stehe alleine in der Dunkelheit. Etwas, wie ein Lichtkegel erhellt meinen Standort, aber um mich herum herrscht vollkommene Finsternis. Kurz sehe ich nach oben, aber ich kann keine Quelle der Beleuchtung erkennen. Meine Beine zittern leicht, aber ich zwinge mich dazu los zu gehen und meine Ängste auszublenden, so gut ich kann. Angestrengt stelle ich mir die Hütte und Elfie vor. Ich versuche mir jedes kleine Detail von ihr und der kleinen Behausung ins Gedächtnis zurück zu rufen; sogar ihren Geruch krame ich aus den Tiefen meines Kopfes hervor. Eine ganze Weile scheitere ich, doch als ich beinahe aufgeben will, höre ich leise, aufgeregte Stimmen; wie durch die Kopfhörer eines anderen zuerst, dann deutlicher. Schnurstracks laufe ich ihnen entgegen und schließlich sehe ich sie.

Sie haben sich in der Hütte versammelt. Mike, Nancy und Will sitzen auf den alten Polstergarnituren. Elfie und Robin stehen fast direkt vor ihnen. Sie bilden einen Halbkreis und unterhalten sich angestrengt. Ich muss gar nicht genau bei ihnen sein um zu wissen, worum es geht.

»Wir wissen überhaupt nicht wo sie hin sind, Robin!«, dringt Nancys Stimme in mein Ohr. Es ist, als wäre sie in Nebel gehüllt und obwohl sie auf eine merkwürdige Art undeutlich klingt, kann ich hören, dass sie aufgebracht ist. Wie lange sie wohl schon darüber sprechen?

»Naund?«, entgegnet Robin barsch. Ich hab sie noch nie so grob gehört. »Sollen wir sie vielleicht einfach sich selbst überlassen?«

»Natürlich nicht! Das habe ich überhaupt nicht gesagt, aber wir können nicht einfach drauf losmarschieren, oder?«

»Ihr Auto steht da noch! Es muss etwas passiert sein. Sie brauchen ganz sicher unsere Hilfe und ich werde nicht hier sitzen bleiben. Am Ende kommen wir vielleicht zu spät!« Robin schüttelt sich, als hätte man ihr Eiswürfel in den Pullover geschüttet.

»Wir werden sie nicht im Stich lassen, Robin. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie -«

Es kostet mich sehr viel Anstrengung ihre Stimmen auszublenden, aber es gelingt mir tatsächlich. Ich wende mich von Nancy und Robin ab und konzentriere mich stattdessen vollkommen auf Elfie. Sie steht etwas abseits, hat den Blick abgewendet und starrt angestrengt auf einen für mich unsichtbaren Punkt auf dem Boden vor sich. Es kommt mir komisch vor mich so an sie heran zu schleichen, aber trotzdem trete ich dicht hinter sie und lege ihr eine meiner Hände auf die Schulter. Kurz warte ich ab, doch als ich mir sicher bin, dass sie nichts davon spüren kann, schließe ich erneut die Augen. Ich weiß nicht so richtig was ich machen soll; habe bis zu diesem Moment meine Kräfte nie derartig eingesetzt. Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht einmal sicher ob ich das kann, was Dustin von mir erwartet.

Du hast es bis hierhin geschafft, mache ich mir im Stillen Mut und hole tief Luft. Du schaffst das.

Ich lehne meinen Kopf nach vorne, sodass mein Mund direkt neben ihrem Ohr ist.

»Elfie«, flüstere ich leise. »Kannst du mich hören?«

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now