CHAPTER THREE: Zwischen Trümmern und Freundschaft

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Die kommende Nacht schlafe ich schlecht und auch den Rest der Woche wälze ich mich die meiste Zeit hin und her, anstatt wirklich ein Auge zu zubekommen. Ein paar Mal überlege ich, ob ich einen weiteren Versuch starten und mich zum Labor aufmachen soll, verwerfe den Gedankendaran aber meist sogleich wieder. Ich gehe nicht davon aus dort nochmal auf Steve oder einen von den anderen zu treffen, aber mir ist nur zu deutlich bewusst geworden, dass ich mich eben nicht alleine hier aufhalte. Immer wieder sage ich mir selbst, dass niemand herausfinden darf, dass ich hier bin, geschweige denn, dass ich noch lebe, aber meine Neugierde bleibt, wie ein lästiges Insekt, welches sich an meinem Gehirn festgesetzt hat. Die meiste Zeit verschanze ich mich in meinem Zimmer, habe Kopfhörer auf den Ohren und lausche der Stimme von Billy Ocean. Heute jedoch nicht. Zwar muss jede Verbindung die zu mir, dem Labor und allem was darin vor sich gegangen ist, unbedingt im Dunkeln bleiben, aber dennoch spricht nichts dagegen, dass ich mich unter die Menschen mische. Ich brauche Ablenkung, muss mich von den Alpträumen abgrenzen, die mich jedes Mal dann heimsuchen, sobald ich die Augenschließe.

Das Wetter ist besser als bei meiner Ankunft, auch wenn die Luft immer noch kühl ist. Der Regen hat sich verabschiedet und hier und da stiehlt sich sogar die Sonne durch die tiefen Wolken. Wie immer trage ich ein langärmliges Oberteil; dieses Mal einen Pullover in senfgelb und darüber meine schwarze Lederjacke. Sie ist alt und hier und da ist der Stoff so dünn, dass man durchsehen kann, aber sie ist das einzige Kleidungsstück welches ich über all die Jahre behalten habe. Sie ist ein Geschenk von Jemandem, der nach meinem Leben in Hawkins, für lange Zeit so etwas wie Familie für mich gewesen ist. Eine Art Großmutter oder ältere Tante. Ich höre noch immer ihre Stimme und sehe ihr faltiges Gesicht vor mir, welches mich anlächelt, als sie die Bettdecke über mich schiebt und mir eine meiner Locken aus dem Gesicht streicht.

Ich schlucke den Kloß herunter, der sich in meiner Kehle aufbaut und verschließe meine Erinnerung sorgfältig hinter einer imaginären Tür mit dickem Vorhängeschloss. Während ich weiter gehe, fällt mir auf, dass mir kaum ein Mensch entgegen kommt, aber als ich schließlich in der Stadt ankomme, oder dem was davon übrig ist, bleibe ich stockend stehen. Eine Art Spalt zieht sich durch die Straßen. Einige Häuser sind eingestürzt und in ihm verschwunden; andere wiederum stehen noch zur Hälfte, aber alle haben eins gemeinsam – sie wirken kalt und leblos; als hätte seit ewigen Zeiten niemand mehr darin gewohnt. Hier und da meine ich eine Silhouette hinter den Vorhängen zu erkennen, aber meistens bin ich mir nicht einmal sicher, ob mein Gehirn mir vielleicht nur einen Streich spielt.

Es ist ein grausiger Anblick, aber dennoch habe ich nicht vor umzudrehen. Ich gehe weiter, biege um die nächste Ecke in eine der Straßen ein, in denen die Häuser weniger zerstört aussehen und atme auf. Auch hier ist deutlich zu erkennen wie viele ihr Zuhause fluchtartig verlassen haben, aber immerhin sehe ich ein paar Menschen, die ebenfalls nach draußen gekommen sind. Es ist kein idyllisches Bild; keiner von ihnen sitzt grillend im Vorgarten; aber es gibt mir ein wenig das Gefühl von Hoffnung. Als wäre ich nicht am Eingang der Hölle angekommen, obwohl es sich für mich eigentlich genau danach anfühlt. Damals, vor all den Jahren, bin ich nie wirklich in der Stadt gewesen. Ich erinnere mich dunkel daran, dass wir mit einem Auto an einem Wohnwagenpark vorbeigefahren sind und irgendwo habe ich ein Bild abgespeichert, wie ein Polizist aus einem Gebäude geht und in ein Auto steigt, doch dann ist da nichts weiter in meinem Kopf. Nichts, außer den weißen Wänden im Labor. Weiße Fliesen, unzählige davon, als hätte es einen Preis dafür gegeben, wenn man nur genug davon verlegt.

Eine ganze Weile gehe ich einfach weiter, dann sehe ich eine ältere Dame, wie sie an ihrer Haustür steht und Trümmer aus ihrem Gartenstapelt. Wieder flammt eine kurze Erinnerung in mir auf. Ich sitze an dem kleinen Tisch in der Mitte einer buntzusammengewürfelten Küche; vor mir ein Kuchen mit 15 Kerzen. Allesliebe zum Geburtstag, Megan. Ihre vertraute Stimme, die grauen Haare, die zu einem Zopf gebunden sind. Ichschüttle den Kopf um die Bilder zu vertreiben und zwinge mich dazu wieder in der Gegenwart anzukommen. Das Erdbeben scheint hier in dieser Gegend zwar nicht den gleichen Schaden angerichtet zu haben, doch auch hier kann man deutlich erahnen, was diese Menschen und diese Stadt durchgemacht haben.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now