CHAPTER SEVEN: Monster

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Während ich renne, kann ich Steves Stimme ganz deutlich hinter mir hören, doch ich blende sie aus. Sie entfernt sich nicht, weshalb ich mir sicher bin, dass er nicht weit hinter mir ist, aber meine Priorität liegt woanders. Immer wieder versuche ich mir einen Grund für den Schuss auszumalen, aber mir fällt keiner ein, der auch nur annähernd mit einem Erdbeben zu tun haben könnte. Nicht hier, nicht in dieser Stadt. Mir kommt es so vor, als würde die Erde sich unter mir verändern, als würde der Schutt und die Trümmer nicht mehr da sein, sondern durchnässtes Laub und matschige Erde an deren Stelle treten. Sogar die Regentropfen meine ich, für einen kurzen Moment, auf meiner Kopfhaut zu spüren.

Es ist wie in jener Nacht, damals; vor vier Jahren, als ich alleine, von Schreien verfolgt, durch den Wald gerannt war. Als sich mein Leben von Grund auf verändert hatte. Dieses Mal renne ich allerdings nicht vor der Gefahr weg, sondern laufe direkt auf sie zu.

Diese Stadt scheint verflucht zu sein.

Das Gesicht einer Nachrichtensprecherin taucht vor meinem Inneren Auge auf. Ich hab sie als erstes über das Unglück in Hawkins sprechen sehen. Mit einer Tasse Tee auf meinem Sofa hatte ich dagesessen; wie gelähmt von den Erinnerungen, die in dem Moment durch meinen Kopf gerast waren.

Menschen von Überall auf der Welt, ganz besonders aber die Bewohner von Hawkins, fragen sich wohl einmal mehr, wie viel eine einzige Stadt ertragen kann.

Ich schlittere um die nächste Ecke. Mein Instinkt sagt mir, dass ich in die richtige Richtung gelaufen bin und nur wenig später, kann ich einen Schrei aus einer der Ruinen hören, der dies bestätigt. Mein Puls rast, als ich mein Tempo noch ein wenig beschleunige, mit einer Hand nach der Pistole greife, die in meinem Hosenbund steckt und in das, was von dem Gebäude noch übrig ist, renne. Für einen Moment schaue ich mich hektisch um, dann erblicke ich Nancy etwa drei Meter von mir entfernt stehen. Sie hat ihren Rücken gegen eine Wand gepresst. Angst spiegelt sich in ihren Augen und lässt ihr Gesicht viel jünger aussehen, als noch vor einigen Stunden. Ich kann sehen, dass sie weder ein Gewehr, noch eine Pistole in der Hand hält, aber sie ist die einzige die geschossen haben kann. Gehetzt sehe ich mich um und entdecke einen Revolver. Er liegt wenige Schritte von ihr entfernt, aber ist zu weit weg, als dass sie ihn erreichen kann; ebenso wenig wie ich auch nur den Hauch einer Chance habe, ihn in die Hände zu bekommen. Einige Sekunden, die mir vorkommen wie eine halbe Ewigkeit, überlege ich angestrengt was ich tun kann, dann fällt mir auf, dass Nancy nicht zu ihrer Waffe sieht und auch nicht zu mir. Sie verfolgt mit ihren Augen etwas, was meine noch nicht erfasst haben.

In meinem Nacken kriecht eine Gänsehaut herauf und eine dunkle Vorahnung beschleicht mich, als ich ihrem Blick folge. Augenblicklich erstarre ich und kann absolut nichts dagegen tun. Mein ganzer Körper reagiert mit Panik. Schweiß läuft mir den Nacken herab und meine Hände beginnen so sehr zu zittern, dass mir die Pistole aus der Hand rutscht. Ein erstickter Schrei steigt meine Kehle hinauf und verliert sich dann doch. Ich bringe keinen Ton heraus, kann nur in die selbe Richtung wie Nancy starren; meine Augen weit aufgerissen und den Mund immer noch zum Schrei geöffnet. Am Rande nimmt mein Gehirn ein Detail wahr, welches nur kurz aufflackert, dann aber wieder verschwindet. Sie scheint Angst zu haben, aber nicht überrascht zu sein. Das, was sich vor ihr befindet, ist ihr nicht Unbekannt. Einen Moment stutze ich, weil mich die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht trifft. Dann lenkt mich das pulsierende Geräusch meines eigenen Herzschlags wieder davon ab.

Die Stadt scheint verflucht zu sein.

Heilige Scheiße, wie Recht die Frau aus den Nachrichten damit gehabt hat und wie dumm ich gewesen bin, hierher zurück zu kommen.

Vor mir, nur wenige Schritte entfernt, steht eine Kreatur, die ich gehofft habe, nie wieder zu sehen. Sie hat einen Körper, der dem eines Menschen ähnlich sieht, nur die Haut wirkt dicker und ist gräulich. Dicke, unförmige Sehnen drücken sich durch die Haut und dort, wo sich bei mir die Hände befinden, sind lange Klauen. Mein Blick wandert weiter nach oben, dorthin wo ein Gesicht sein sollte, doch an der Stelle befindet sich nichts. Mir wird schlecht, als ich mich daran erinnere, was sich hinter der Haut verbirgt. Ich sehe es vor mir, höre das kreischende Geräusch, als eine dieser Kreaturen seinen Schlund öffnet und eine Reihe von kleinen, zackigen Zähnen frei gibt.

»Megan, weg da!«

Steve ist bei uns angekommen. Er steht ein paar Schritte hinter mir. Ich möchte mich zu ihm umdrehen und zu ihm rennen, aber meine Füße versagen ihren Dienst. Wie versteinert starre ich weiter auf das Monster, welches mir aus meinen Erinnerungen und Alpträumen nur all zu bekannt ist. Erneut kann ich das Blut riechen; die Schreie und Sirenen hören. Ich sehe einen Wärter vor mir, der gurgelt und dann schließlich an seinem eigenen Blut erstickt.

»Megan, verdammte Scheiße, was machst du denn?«

Ich höre einen Schuss, dann noch einen, immer wieder, aber mein Gehirn kann die Situation nicht erfassen. Es muss Steve sein, der schießt, eine andere Erklärung gibt es nicht und als das Monster sich kreischend zu uns umdreht, habe ich darüber absolute Gewissheit. Lauernd hat es sich von Nancy abgewandt und geht nun direkt auf Steve zu, der hinter mir vorgetreten ist und sich schützend vor mich stellt. Ich meine ihn immer noch mit mir sprechen zu hören, aber seine Worte kommen nicht an. Angst hat sich in jeder Zelle meines Körpers breit gemacht und lässt keinen Raum für etwas anderes.

Nur verschwommen nehme ich wahr, dass Steve sich von mir entfernt. Er scheint von mir ablenken zu wollen, was augenscheinlich funktioniert, denn die Kreatur folgt ihm weiterhin. Steve feuert einen weiteren Schuss ab und dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Ein weiteres, dieses Mal rasendes Kreischen ertönt, das Monster springt nach vorne und Steve wird gegen die Mauer hinter ihm geschleudert. Ich höre wie Nancy verzweifelt aufschreit und sehe dabei zu wie die langen Klauen sich dem zusammengesunkenen Körper von Steve nähern. Seine Hände liegen über seinem Gesicht, als würde ihn das beschützen können, doch ich weiß es besser. Wut ergreift von mir Besitz. Meine Fingerspitzen beginnen zu kribbeln und noch ehe ich wirklich darüber nachdenken kann, habe ich die Hand gehoben. Ich strecke sie verkrampft in die Richtung aus, in der Steve liegt, fixiere aus zusammengekniffenen Augen das Monster, welches im Begriff ist ihn zu töten und kanalisiere sämtliche Kraft, die ich in diesem Moment aufbringen kann. Ich spüre wie ein Tropfen Blut aus meiner Nasse rinnt und sich auf meinen Lippen verliert, dann drehe ich meine Hand herum. Ein lautes, bedrohliches Knacken ist zu hören, als der unförmige Kopf des Monsters nach hinten gerissen wird.

Meiner Kehle entfährt ein Schrei. Meine Muskeln zittern. Ich drehe meine Hand noch ein weiteres Stück und höre das Geräusch von reißender Haut. Blut und Gewebefetzen spritzen durch die Luft, dann fällt zuerst der Kopf und schließlich der Körper der Kreatur leblos zu Boden.

Meine Sicht verschwimmt und ich spüre wie mein Herz kraftlos in meiner Brust schlägt, dann überrennt mich völlige Dunkelheit und ich sacke zusammen.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now