CHAPTER TWENTYTHREE: Planänderung

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»Hat es funktioniert?«

Das erste, was ich höre, als ich die Dunkelheit durchbreche und sie hinter mir zurücklasse, ist Dustins Stimme. Sie dringt wie ein schwacher Lichtkegel zu mir hindurch.

»Lass sie erst mal zu sich kommen, Dustin!«, tadelt Steve ihn streng.

»Du hast Recht, tut mir leid«, gibt Dustin zurück, aber ich kann die Ungeduld in seiner Stimme vernehmen; deutlich, auch wenn sie sich mit einem kleinen Funken Besorgnis mischt. »Megan, geht es dir gut?«

Ich öffne die Augen und ziehe mir die kratzige Augenbinde herunter. Langsam blinzle ich und bin froh, dass in dem Zimmer nur gedämpftes Licht brennt. Ein leichter Schmerz zuckt durch meinen Kopf, aber es ist auszuhalten, ansonsten fühle ich mich gut.

»Alles okay«, sage ich und zwinge mich zu einem kleinen Lächeln. Ich kann nicht leugnen, dass ich erschöpft bin, aber vor allem bin ich froh, dass ich es hinter mir habe. »Ich hab keine Ahnung ob ich es geschafft habe, Dustin. Tut mir wirklich leid, aber ich weiß einfach nicht, ob es gereicht hat.«

Ich sehe zu ihm. Entweder er nimmt es mir wirklich nicht übel oder er kann die Enttäuschung, sollte welche in ihm lodern, gut unterdrücken. Er schenkt mir ein Lächeln. »Ich bin sicher, dass du toll warst«, meint er ruhig und ich frage mich ob er von sich aus so geduldig ist.

»Geht es dir wirklich gut?«, erkundigt Steve sich sogleich. Er sitzt gehockt vor mir und obwohl ich immer noch nicht weiß, was zwischen uns abgelaufen ist, zwinge ich mich dazu, ihn anzusehen. Der Blick, der auf seinem Gesicht liegt, ist sanft und kommt mir so vertraut vor. Ein Kribbeln macht sich in meinem Bauch bemerkbar, aber ich ignoriere es.

»Ja, ganz sicher«, versuche ich ihn zu beruhigen. Er sieht nicht überzeugt aus, sagt aber nichts. Stattdessen legt er den Kopf schief und streckt eine Hand aus.

Reflexartig zucke ich ein kleines bisschen zurück.

»Entschuldige, aber -« Er hebt die Hand hoch, sodass ich sie sehen kann. Ein Taschentuch befindet sich darin. Mit einem zurückhaltendem Blick mustert er mich. »Du – Du blutest«, stammelt er, während er mir sanft unter der Nase entlang wischt. Blut zeichnet sich auf dem Tuch ab, als er es zurück in seine Tasche stopft. Die Stelle in meinem Gesicht, die er berührt hat, fühlt sich warm an und erneut macht mein Herz etwas, was sich wie ein Purzelbaum in meiner Brust anfühlt. Verlegen wende ich den Blick von ihm ab und lasse ihn ziellos durch den Raum schweifen. Mir ist leicht schwindelig und ich weiß nicht, ob das noch von meinem Ausflug in Elfies Verstand kommt, oder aber von den plötzlich aufkommenden Gefühlen, die ich in Steve seiner Nähe verspüre.

»Ihr beide benehmt euch eigenartig«, nuschelt Dustin.

Ich drehe mich zu ihm und sehe, wie sein Blick zwischen mir und Steve hin und her wandert. Er sieht nachdenklich aus, genauso wie noch vor einigen Stunden, als er versucht hatte ein anderes Rätsel zu lösen und einen Fluchtweg für uns zu finden. Es ist mir unangenehm, dass er uns so mustert, weshalb ich wegsehe und versuche das Thema zu wechseln.

»Wenn sie bis heute Abend nicht hier sind, sollten wir uns etwas anderes überlegen«, werfe ich stammelnd ein und als würden sie meine Worte unterstreichen wollen, zerreißt das erneute Kreischen der Fledermäuse das Gespräch zwischen uns.

Dustin zuckt zusammen. Er nickt und lässt von uns ab. In mir kocht etwas wie Mitleid und Zuneigung für ihn hoch. Es tut mir unfassbar leid, dass er in seinen jungen Jahren so viel durchmachen musste und ich verstehe, dass Steve den Wunsch hegt, ihm ein wenig von seinem Leid abzunehmen. Ich kenne ihn zwar nicht annähernd so gut wie die beiden sich kennen, aber ich fühle mich ihnen näher, als bislang den meisten Menschen in meinem Leben. Meinen Gedanken nachhängend, dauert es gar nicht lange, da verändert sich meine Stimmung und das Mitleid und die Trauer darüber, was sie alle verloren haben, schwingt in Wut um. Wut darüber, dass wir alle wahrscheinlich für den Rest unseres Lebens geprägt sind, wegen den selben Dingen und doch so unterschiedlich voneinander. Es macht mich sauer, dass wir immer noch kämpfen müssen und dass uns noch so viel bevorsteht. Vor allem aber bin ich beinahe verzweifelt, dass ich nicht beeinflussen kann, dass wir alle lebend aus der Sache herauskommen und sie – wir – eventuell noch mehr verlieren werden, als wir es ohnehin schon getan haben.

Von Verzweiflung und Zorn beflügelt, fühle ich mich plötzlich um einiges stärker, als noch vor ein paar Augenblicken. Ich rapple mich auf, klopfe mir den Schmutz von den Händen und sehe entschlossen zur Tür. Ohne auf die anderen beiden zu achten, schnappe ich mir meinen Rucksack, löse die Taschenlampe vom Gurt und knipse sie an.

»Woah, woah, woah -«, ruft Steve aus. Er steht umständlich auf und greift nach meinem Arm. Vorsichtig, aber bestimmt dreht er mich zu sich herum. »Was hast du bitte vor?«, will er wissen.

»Ich werde nicht abwarten«, sage ich entschlossen. Ich befreie mich aus seinem Griff und weiche einen Stück von ihm zurück, sodass er mich nicht gleich wieder erreichen kann. »Ich hole das Auto und dann verschwinden wir aus diesem gottverdammten Haus!«

»Ist sie übergeschnappt?« Dustin klingt fassungslos, aber keiner von uns beachtet ihn.

»Das machst du ganz bestimmt nicht«, sagt Steve.

»Oh doch.«

»Das ist wahnsinnig, Megan! Elfie und die anderen werden schon -«

»Das wissen wir nicht«, unterbreche ich ihn schroff. »Ich hab keine Ahnung ob es geklappt hat.«

»Du hast selbst gesagt, dass wir abwarten ob sie auftauchen. Es hilft keinem, wenn wir etwas unüberlegtes tun, oder?«

Einen Moment wankt meine Entscheidung, doch dann denke ich daran, dass die zierliche Elfie, Nancy und Robin sich durch die Hölle schlagen müssen, durch die wir gekommen sind und mir wird schlecht. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihnen etwas passieren würde und es kommt mir feige vor mich auf Elf zu verlassen, wo ich doch ebenso über Fähigkeiten verfüge, die uns retten können. »Mir passiert schon nichts«, sage ich. »Und ich kann mich verteidigen.«

»Nicht gegen so viele von diesen Viechern!« Steves Stimme ist lauter geworden. Er wirft die Hände in die Luft und sieht hilfesuchend zu Dustin, der immer noch regungslos an Ort und Stelle steht und uns ansieht. »Das ist doch Wahnsinn, oder?!«

Dustin nickt zustimmend. Er sieht zum Fenster, durch das immer noch eisige Luft hereinströmt. Ein roter Blitz zuckt über den Himmel. Einen kurzen Moment öffnet er den Mund, als wollte er etwas sagen, dann schließt er ihn wieder.

Steve schüttelt derweil immer wieder den Kopf. »Das könnte dich umbringen, Megan«, murmelt er.

»Niemand wird sterben«, erwidere ich. Ich gehe einen Schritt rückwärts in Richtung Tür. Meine Worte sind ernst gemeint, auch wenn sie ihn ebenso beruhigen sollen. Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass noch jemand stirbt. Nicht, wenn es einen Weg gibt, wie ich es verhindern kann. Ich ziehe den Riemen meines Rucksacks zurecht.

»Megan, bitte. Tu das nicht«, haucht Steve gedrückt. Er wirft mir einen flehenden Blick zu.

Mir wird warm ums Herz, als ich die Sorge abermals auf seinem Gesicht aufleuchten sehe und am liebsten würde ich auf ihn hören und zu ihm und Dustin zurückgehen. Stattdessen überbrücke ich das letzte Stück, welches zwischen mir und dem Ausgang liegt. Als ich sehe, wie er Anstalten macht mir hinterher zu gehen, lasse ich mit einem Schlenker meiner Hand die Tür zuknallen. Es fällt mir wesentlich leichter als noch vor ein paar Tagen, meine Kräfte abzurufen und obwohl er von der anderen Seite an der Klinke rüttelt, kostet es mich kaum Mühe, sie verschlossen zu halten. Ich blende seine Stimme aus, ziehe mir meine Kapuze ins Gesicht und schleiche geduckt nach draußen. Abermals zucken rote Blitze vom Himmel und ein Donnergrollen hallt über Hawkins hinweg, als würde er mich begrüßen wollen.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now