CHAPTER FIFTEEN: Noch mehr Antworten

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Als meine Stimme verstummt, merke ich, dass ich nervös an den Ärmeln meines Pullovers herum gezupft habe. Ich lasse den Stoff sofort los. Einen Moment lang dauert es, dann kann ich mich überwinden und den Blick heben. Ich blicke in jedes einzelne Gesicht. Sie alle sehen mich an, als hätten sie einen Geist gesehen. Zum Schluss bleibt mein Blick auf Elfie liegen. Sie sitzt vor dem Sofa auf dem Boden, zwischen Mikes Beinen. Er hat seine Hände auf ihren Schultern liegen. Ihre Miene ist angespannt.

»Oh mein Gott, Megan!«

Robin sitzt mir am nächsten. Sie hat sich in ihrem Sessel so weit nach vorne gelehnt, dass ihre Ellenbogen auf ihren Knien liegen. Ihre Augen sind gerötet und feucht. »Das ist -«

»- grausam«, beendet Nancy ihren Satz. Ich bin überrascht, dass sie etwas sagt, habe ich sie doch den ganzen Tag noch nicht reden hören. Sie sieht mich sanft an. »Es tut mir so leid, dass ich dich überreden wollte mit uns zu reden. Du hast jedes Recht nicht darüber reden zu wollen.«

Ich winke ab. »Schon gut, wirklich. Ich hätte es euch sagen sollen. Zumindest einen Teil. Das wäre fair gewesen.«

»Allerdings«, pflichtet Dustin mir bei und erntet einen leichten Schlag gegen seinen Oberarm. Als er den vorwurfsvollen Blick von Steve sieht, lispelt er: »Lass mich doch ausreden, verdammt.« Er hält sich die Stelle, an der die Hand von Steve ihn getroffen hat. »Es wäre besser gewesen, wenn sie gleich mit uns geredet hätte, aber es ist nachvollziehbar, weshalb sie es nicht wollte.«

Meine Mundwinkel zucken. Ich bin erleichtert, dass aus seinem Mund zu hören. »Danke. Ich weiß, dass du ziemlich wütend warst, aber ich schwöre, dass ich euch nie irgendwas getan hätte.«

Er nickt nur, antwortet aber nicht. Keiner scheint so richtig zu wissen, was er noch sagen soll, aber die Stille ist nicht unangenehm. Jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken nach; meine kreisen vor allem um Elf und um alles, was in den letzten Jahren in dieser Stadt geschehen ist, einschließlich dem Erdbeben. Ich habe so viele Fragen, dass ich gar nicht weiß wo ich anfangen soll. Ein lautes Seufzen entfährt mir und aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Steve mich fragend mustert. Als erstes tue ich so, als würde ich es nicht bemerken, dann kann ich nicht anders und mein Blick trifft auf seinen. Es ist kein intensiver Blick und ich kenne ihn noch nicht besonders gut, aber ich erkenne die stummen Fragen in seinen Augen, ohne dass er etwas sagen muss. Mit wird noch deutlicher bewusst, dass wir alle noch eine Menge zu bereden haben.

Ich atme tief ein, behalte die Luft einen Moment in der Lunge, dann stoße ich sie geräuschvoll aus.

»Ich weiß, dass ihr keinen Grund habt, mir zu vertrauen«, sage ich so leise, dass ich mir erst nicht sicher bin, ob sie mich überhaupt verstehen. Als ihre Blicke sich mir zuwenden, spreche ich einfach weiter. »Bis jetzt habe ich euch noch keinen Grund gegeben es zu tun, aber - « Angestrengt durchforste ich meinen Kopf nach den richtigen Worten. »Ich muss wissen, was hier passiert ist. Meine letzte Erinnerung an diese Stadt ist meine Flucht aus dem Labor, weil diese Demogorgons - « Das Wort fühlt sich eigenartig auf meiner Zunge an. »- oder wie ihr sie nennt, uns angegriffen haben. Danach hab ich mich nie wieder für diese Stadt interessiert, sondern sie gemieden und das nächste was ich höre, ist dass es ein Erdbeben gab, welches aber wohl kein einfaches Erdbeben war, oder?« Ich sehe erst zu Elfie und Mike, dann wandert mein Blick über Lucas und Nancy und bleibt schließlich auf dem kleinen Sofa hängen, auf dem Dustin, Steve und Robin aneinander gequetscht sitzen. Erneut kehrt Stille in den hölzernen vier Wänden ein und sie bleibt eine ganze Weile bestehen.

»Ich war das.«

Es ist Elfie, die zuerst antwortet.

»Wegen mir sind sie dort gewesen.«

»Wegen dir?«, wiederhole ich fragend. Ich sehe ungläubig zu ihr. Sie wirkt so sanft und so zerbrechlich, wie sie so da sitzt und auf ihre Finger starrt, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass irgendwas von all dem ihre Schuld ist. »Was meinst du damit?«

Ich sehe, dass Mike über ihre Schulter streicht und sie sich unter seiner Berührung ein kleines bisschen entspannt. Sie strafft die Schultern unmerklich und sieht zu mir hoch. »Papa hat gelogen, als es um Eins ging. Eins war niemals fort. Er hat alle getötet. Zehn, siebzehn, zwei... Einfach alle.«

»Du hast Eins vorhin schon erwähnt. Ich habe nie von ihm gehört.«

Elfie seufzt nur.

»Dann wird es dafür wohl allerhöchste Zeit«, klinkt sich Dustin in das Gespräch ein. Er ist aufgestanden und kramt nun in einem dunkelgrünen Rucksack, der ihm zu Füßen liegt. Bislang habe ich ihn kaum bemerkt, aber er scheint ziemlich voll gestopft zu sein. Über den Rand quellen die Ecken von Papier und ein Bleistift fällt heraus und rollt über den Fußboden. Es dauert nicht lange, bis er ein erleuchtetes »Aha, na bitte!« hören lässt und ein kleines Heft herauszieht.

Ich lehne mich nach vorne um besser sehen zu können. »Was hast du da?«

Dustin lächelt verschmitzt. »Das, Megan, ist ein selbstgemachtes, absolut einmaliges Handbuch, welches ich mit, zugegebenermaßen ein wenig Hilfe von Will, angefertigt habe. Es steht alles drin was in den letzten Jahren passiert ist und was wir darüber wissen.«

»Ich wusste nicht, dass du so was hast!«, sagt Steve mit einem beleidigten Tonfall in der Stimme. Er wirft einen Blick über Dustins Schulter auf die Papierseiten, die sich in dessen Hand befinden und welche er nun aufschlägt. Sein Blick strahlt gleichermaßen Neugierde und Fassungslosigkeit aus.

»Du musst auch nicht immer gleich alles wissen, oder?«, gibt Dustin trotzig zurück und beachtet ihn dann nicht weiter. Ich unterdrücke ein Glucksen, als Steve das Gesicht zu einer Grimasse verzieht.

»Es fängt alles an dem Tag an, als wir Elfie im Wald gefunden haben...«

Auf den ersten Seiten stehen mehrere handgeschriebene Zeilen und ich erkenne ein ziemlich perfekt gezeichnetes Bild von Elfie. Eine meiner Augenbrauen hebt sich. »Das ist wirklich gut getroffen«, sage ich anerkennend.

»Danke, Megan«, strahlt Dustin stolz. »Will hat das gezeichnet. Nach meinen Vorgaben zwar, aber ich muss zugeben, dass man es nicht hätte besser umsetzen können.«

»Okay, Dustin, komm zur Sache, ja?« Robin stupst ihn von der Seite an.

Dustin verdreht kurz die Augen, gehorcht aber und blättert weiter. »Schon gut, schon gut.«

Seine Stimme wird eine ganze Spur dunkler und ernster, als er weiter erzählt. Immer wieder schlägt er die Seiten um und auf beinahe jeder davon prunkt ein neues gezeichnetes Bild, welches mich das ein oder andere Mal schaudern lässt. Es zeigt unzählige Monster; Gesichter, die ich hier neben mir wiederfinde und welche, die ich noch nie gesehen habe. Will, den Dustin als Hilfe bei dem Buch erwähnt hat, taucht auf den ersten Seiten am meisten auf. Es folgen weitere mit der Hand beschriebene Seiten. An einigen Stellen erkennt man, wie fest aufgedrückt wurde. Bei dem Gesicht einer ziemlich abscheulichen Gestalt hält er schließlich das Buch hoch, sodass es nur wenige Zentimeter von mir entfernt in der Luft schwebt. Die Fratze die mich anstarrt hat jegliche menschliche Züge verloren und ein Schauer läuft mir den Rücken hinab, als mir die Tentakeln auffallen, die aus seinem Körper zu wachsen scheinen.

Vecna, steht in großen, dick geschriebenen Buchstaben als Überschrift auf der Seite.

Ich kneife die Augen zusammen.

»Wer ist Vecna?«, erkundige ich mich. Oder besser gesagt was, rast der Gedanke durch meinen Kopf, aber ich spreche ihn nicht aus. Meine Stimme klingt dünn und man kann die Nervosität nur zu deutlich heraushören. Ich weiß nicht was es ist, was in mir diese Unruhe auslöst, aber als Dustin mir nun direkt in die Augen sieht, habe ich das unheilvolle Gefühl, dass der Demogorgon vor zwei Tagen erst der Anfang war und dass, egal wie gefährlich mein Leben bis zu dem Moment gewesen ist, mir noch etwas viel schlimmeres bevor stehen wird. Es ist eine dunkle Vorahnung, die mich beschleicht und kaltblütig überwältigt.

Das letzte KapitelWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu