CHAPTER TWELVE: Die Hütte

61 8 0
                                    

Hunderte von Bäumen fliegen an dem leicht geöffneten Beifahrerfenster vorbei, als Robin einen alten, rostigen Chevrolet über eine schmale Waldstraße lenkt. Ein paar Mal schrammen wir beinahe an den Stämmen entlang, bevor sie das Lenkrad ruckartig herumreißt. Ich sehe sie von der Seite aus argwöhnisch an und erkenne, dass sich ein dünner Schweißfilm auf ihrer Stirn gebildet hat.

»Sorry«, stößt sie zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor, als sie meinen Blick auf sich bemerkt. »Ich fahre nicht sehr oft.«

»Merkt man gar nicht«, entgegne ich schnippisch. Automatisch krallt sich meine Hand an dem Griff der Tür fest und ich drücke so fest zu, dass die Haut an meinen Fingern weiß wird.

»Was denn? Du hast übernatürliche Kräfte und hast Angst vorm Auto fahren?«

»Für gewöhnlich nicht, aber du fährst wie eine Wahnsinnige und meine Kräfte retten mich wohl nicht, wenn wir bei voller Fahrt gegen einen Baum krachen«, sage ich. Es fühlt sich komisch an, so offen mit ihr zu reden, gleichzeitig macht es mich auch auf eine seltsame Art und Weise beinahe unbeschwert.

Robin sieht nicht von der Straße weg, aber von der Seite sehe ich, dass sie die Augen verdreht. »Keine Bange, dir passiert schon nichts«, verspricht sie. Sie biegt viel zu schnell um eine weitere Kurve und tritt dann so heftig auf die Bremse, dass ich nach vorne in den Gurt geworfen werde. »Siehst du -«, ruft sie aus. »Geschafft!«

Ich hebe den Kopf und sehe durch die Windschutzscheibe nach draußen. Vor uns, etwa zehn Meter entfernt, sehe ich eine kleine Hütte. Sie wirkt fehl am Platz, so tief im Wald und ich frage mich unwillkürlich wem sie wohl gehört und ob hier wirklich jemand lebt. Gerade als ich darüber nachdenke ob ich fragen soll, nimmt Robin mir die Entscheidung ab. Sie schaltet den Motor aus und steigt sofort aus. Vorsichtig lockere ich meine Finger, die sich immer noch um den Griff der Autotür schließen und hole tief Luft. Der Pulsschlag in meinen Adern ist schnell und so heftig zu spüren, dass ich beinahe denke ihn in dem alten, muffigen Innenraum des Wagens, hören zu können. Es macht mich nervös nicht zu wissen, was mich hinter der Tür dieser Hütte erwartet. Allein der Gedanke wie die anderen wohl auf mich reagieren werden, lässt mein Herz stolpern. Am liebsten würde ich wieder umdrehen, aber es ist zu spät. Von draußen winkt Robin mir ungeduldig zu, also atme ich noch einmal tief ein und öffne die Tür. Sofort kommt mir ein kühler Luftzug entgegen und ich ziehe die Ärmel meines Pullovers über meine Hände. Beinahe mechanisch folge ich Robin über den feuchten Waldboden, an stämmigen Bäumen vorbei und trete schließlich auf die Stufen der kleinen Holztreppe, die nach oben zur Eingangstür führt. Unter meinen Schuhen knarrt es, was sich unnatürlich laut in der Stille des Waldes anhört. Ich lausche angestrengt und kann gedämpfte Stimmen hinter den Holzwänden vernehmen. Unwillkürlich bleibe ich stehen.

»Du musst dir keine Sorgen machen«, ermutigt Robin mich. Sie greift nach meinem Arm und zieht mich neben sich. Es ist eine so selbstverständliche Berührung, dass ich lächeln muss. Sie scheint tatsächlich keine Angst vor mir zu haben, was in mir ein freudiges Gefühl auslöst. Immerhin.

Ich straffe die Schultern, als sie nach der Klinke greift und die Tür aufstößt. Die Stimmen verstummen sofort, als sie mich erblicken. Keiner scheint sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Es erinnert mich ein wenig an Stopp tanz und wenn ich nicht selbst so angespannt wäre, dann würde ich über den Anblick lachen. Dustin hat eine Hand erhoben, welche nun bewegungslos in der Luft schwebt. Als ich genauer hinsehe, fällt mir auf, dass Steve nur ein paar Schritte von ihm entfernt steht und eins von den Dekorkissen empor hält und direkt in Dustins Richtung zielt. Als er ebenfalls zu mir sieht, lässt er es sinken und hält es hinter seinem Rücken verborgen. Eine merkwürdige Stimmung breitet sich im Raum aus und umgibt uns wie eine unsichtbare, drückende Hülle.

»Meine Güte, Leute, entspannt euch«, stößt Robin schließlich angenervt hervor. Sie tritt an mir vorbei und lässt sich auf einen der Sessel sinken, als wäre an der ganzen Situation hier überhaupt nichts ungewöhnlich. Ich bin beinahe neidisch auf die Leichtigkeit die sie ausstrahlt.

»Was macht sie hier?« Dustin löst sich aus seiner Starre und sieht, mit undurchdringlicher Miene, zwischen mir und Robin hin und her. Ich sehe wie sie die Augen verdreht, was Dustin wütend zu machen scheint. »Ernsthaft, wir haben das besprochen.«

»Wir haben nichts besprochen. Du hast geredet und ich hab zugehört. Ich hab nicht zugestimmt«, antwortet sie gelassen, während ich unter seinem stechenden Blick zu schrumpfen scheine. Ein Teil von mir fragt sich, was sie wohl meinen, aber ein größerer fühlt sich einfach nur eingeschüchtert.

Dustin holt so tief Luft, dass ich mir sicher bin, dass er jeden Moment die Fassung verliert, aber Steve tritt genau in dem Moment hinter ihn und legt ihm eine Hand auf die Schulter. Unter seinem festen Griff gibt der Stoff ein wenig nach und Dustin lässt die Luft, aus seinen aufgeplusterten Wangen, geräuschvoll entweichen, sagt aber nichts.

Robin sieht zufrieden aus. »Wenn jetzt alle mal tief durchatmen könnten, dann wäre das sicher hilfreich«, meint sie. Ihre Stimme kommt mir in der erdrückenden Stille ungewöhnlich laut vor. »Megan und ich haben geredet-«

»Geredet? Worüber? Robin! Wir haben gesagt, dass-«

»Entspann dich, Dustin, ja?« Sie unterbricht ihn barsch. »Ich hab ihr kaum etwas gesagt, aber sie ist bereit sich mit uns zu unterhalten. Das wolltest du doch, oder?«

Dustin antwortet nicht. Einen Moment lang überlegt er, dann senkt er den Blick und lässt ergeben die Schultern sinken. »Wie auch immer«, sagt er. »Aber du hast sie her gebracht. Deine Verantwortung.«

Robin bleibt unbeeindruckt. Sie wirft mir einen freundlichen Blick zu und deutet auf den Platz neben sich. »Setz dich ruhig hin.«

Unschlüssig bleibe ich in der Tür stehen. Ich fühle mich fast albern; wie ich einfach so da stehe und ihnen zuhöre, als würde ich selbst keine Stimme haben; als wäre es mir egal wie sie über mich denken. Aber das ist es nicht und der Wunsch ihnen zu beweisen, dass von mir keine Gefahr ausgeht, ist groß. Nach allem was ich erlebt habe, möchte ich nicht für ein Monster gehalten werden. Ich weiß nur zu gut, dass die wahren Grausamkeiten von anderen verübt werden.

»Du kannst wirklich reinkommen, Megan.«

Eine andere Stimme dringt durch den Schleier meiner Gedanken hindurch. Steve. Er hat seine Hand nicht mehr auf Dustins Schulter liegen, sondern ist näher an den Sitzbereich und somit an mich herangetreten. Er zeigt auf den Sessel, auf den auch Robin gedeutet hat und obwohl er nicht lächelt, ist sein Blick freundlich, wenn auch skeptisch.

Ich hebe den Kopf und zwinge mich dazu meinen Rücken durchzustrecken. Ich möchte nicht schwach wirken, also gehe ich mit großen Schritten los und lasse mich auf das weiche Möbelstück fallen. Vorsichtig wage ich einen Blick in die Runde. Außer Steve, Robin und Dustin sind noch Lucas und Nancy anwesend. Sie halten sich beide im Hintergrund. Abgesehen von Dustin, scheint besonders Nancy von meiner Anwesenheit nicht begeistert zu sein, was in mir ein schlechtes Gewissen hervor ruft. Ich versuche meinen starren Blick ein wenig entspannter aussehen zu lassen, weiß aber nicht ob es mir gelingt.

»Ich weiß nicht wirklich wo ich anfangen soll«, murmle ich schließlich leise und sehe hilfesuchend zu Robin.

Sie versteht sofort. »Du hast gesagt, dass du schon einmal einen Demogorgon gesehen hast?«

Einen Moment lang komme ich ins straucheln, nicht, weil ich den Begriff immer noch merkwürdig finde, sondern weil ich nicht damit gerechnet habe, dass sie gleich mit der Tür ins Haus fällt, dann konzentriere ich mich und versuche meine Gedanken zu ordnen. Ich erinnere mich an den Moment vor ein paar Jahren; an den Metallkäfig; das Kreischen und an das Blut, welches spät am Abend an mir hinabgelaufen und im Abfluss verschwunden ist. In meinem Kopf taucht jeder einzelne Elektroschock auf; jede Nadel, die gegen meinen Willen in meine Venen gebohrt wurde. Ich sehe jedes Gesicht von den Menschen, die mich haben durch die Hölle gehen lassen, ganz vorne das von Papa. Es ist, als würde ich noch einmal alles im Schnelldurchlauf erleben und ehe ich wirklich weiß, was ich tue, ziehe ich den Ärmel meines Pullovers hoch und strecke mein Handgelenk nach oben, sodass der Blick auf das kleine Tattoo frei ist. 004.

»Es hat alles eigentlich damit begonnen, dass...«, beginne ich zu sprechen, doch ich komme nicht weit, denn Robin und Nancy schnappen beide so erschrocken nach Luft, dass mir die Worte im Halse stecken bleiben. Ich halte inne und sehe erneut in die Gesichter vor mir. Lucas und Dustin starren sich entgeistert an, während Steve von einem zum anderen sieht, als würden sie den Unglauben, der sich auf seinem Gesicht ausgebreitet hat, vertreiben können.

»Heilige Scheiße«, stößt er dann aus, als keiner der anderen etwas sagt. Er tastet nach der Lehne des Sofas und lässt sich nach hinten sinken. Sein ungläubiger Blick liegt so intensiv auf mir und eine Gänsehaut kriecht mir den Nacken herauf.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now